Astra Zeneca: Für EMA überwiegt der Nutzen das Risiko

Impfung mit Astra Zeneca: Bei jüngeren Frauen scheint das Risiko für eine Hirnvenenthrombose erhöht zu sein.
Europäische Arzneimittelagentur sieht möglichen Zusammenhang mit sehr seltenen Thrombosen, hält aber am Impfstoff fest. Österreich folgt der Empfehlung.

Die Europäische Arzneimittelagentur EMA sieht einen möglichen direkten Zusammenhang - "strong association" - zwischen sehr seltenen Formen ungewöhnlicher Thrombosen und dem Impfstoff von Astra Zeneca (Vakzevria), empfiehlt den Impfstoff aber weiterhin uneingeschränkt so wie bisher für alle Altersgruppen ab 16 Jahren. Der Nutzen sei viel größer als das Risiko, an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung zu sterben. Das gab die Chefin der Europäischen Arzneimittelagentur, Emer Cooke, Mittwochnachmittag in einer Pressekonferenz in Amsterdam bekannt. Diese ungewöhnlichen Thrombosen sollten aber als sehr seltene Nebenwirkungen aufgelistet werden.

"Covid-19 ist eine sehr schwere Erkrankung", sagte Cooke, "die jeden Tag tausende Todesfälle innerhalb der EU verursacht.  Der Impfstoff ist hocheffektiv, verhindert schwere Erkrankungen und Spitalsaufenthalte und rettet Leben." Es müssten aber alle Impfstoffe genützt werden, um diese Erkrankungen zu verhindern.

Österreich folgt EMA-Empfehlung

Das Nationale Impfgremium entschied am Abend, der jüngsten Empfehlung der EU-Arzneimittelbehörde zu folgen. Astra Zeneca wird in Österreich weiter verimpft. Derzeit soll das Impfprogramm in Österreich unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation und der verfügbaren Impfstoffe unverändert weitergeführt werden, hieß es Mittwochabend nach einer Sitzung des Nationalen Impfgremiums.

Auch wenn diese Thrombosen bisher vor allem bei Frauen im Alter von unter 60 Jahren binnen zwei Wochen nach der Impfung aufgetreten sind: Die EMA betonte, dass bisher keine spezifischen Risikofaktoren, also zum Beispiel durch das Alter, das Geschlecht oder die Krankheitsgeschichte, festgestellt werden konnten.

Der EMA wurden bis 22.3. insgesamt 62 Fälle der seltenen Hirnvenenthrombosen gemeldet (aus der EU und Großbritannien) und zusätzlich 24 Fälle von seltenen Thromboseformen im Bauchraum, 18 dieser Fälle verliefen tödlich. Alle diese Fälle wurden von der EMA detailliert untersucht. Insgesamt wurden bis 22.3. 25 Millionen Menschen mit dem Vakzin geimpft.

Insgesamt sind bis 4.4. 169 Fälle von Hirnvenenthrombosen berichtet worden, bei mittlerweile 34 Millionen Geimpften.

Großbritannien: Nur mehr für über 30-Jährige

In Großbritannien hingegen soll für unter 30-Jährige ein anderer Impfstoff eingesetzt werden, falls ein solcher vorhanden ist, gab die britische Arzneimittelbehörde ebenfalls Mittwochnachmittag bekannt.

Darauf angesprochen sagte Cooke, dass in England derzeit bereits viel mehr junge Menschen geimpft werden als in der EU. "Wir werden das sicher in unseren weiteren Untersuchungen berücksichtigen."

Bei den anderen Impfstoffen gibt es bisher folgende Zahlen an Gehirnvenenthrombosen:

3 Fälle weltweit (4,5 Millionen Geimpfte) bei Johnson & Johnson, Biontech-Pfizer 35 Fälle weltweit (54 Millionen Impfungen in der EU) und bei Moderna 5 Fälle (vier Millionen Impfungen weltweit). Diese sei nicht höher als die zu erwartende ganz normale Häufigkeit.

An der Pressekonferenz nahmen neben Emer Cooke auch Sabine Straus, Vorsitzende des Sicherheitskomitees der EMA (PRAC), und Peter Arlett, Chef der Datenanalyse-Abteilung, teil.

Eingeschränkter Einsatz in einigen Ländern

Bisher wurde stets von der EMA betont, ein kausaler Zusammenhang zwischen den seltenen Hirnvenenthrombosen und der Impfung mit Astra Zeneca könne nicht endgültig bestätigt werden, sei aber möglich. Allerdings sagte der Chef der EU-Impfabteilung, Marco Cavaleri, Dienstag in einem Zeitungsinterview, es sei "klar", dass es einen "Zusammenhang" gebe. Er betonte allerdings auch, dass der Nutzen des Impfstoffes die Risiken klar überwiege.

Mehrere Länder, darunter Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Kanada, haben den Einsatz von Astra Zeneca bereits eingeschränkt. Dänemark setzte die Verwendung vollständig aus. 

WHO empfiehlt Impfstoff weiterhin

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich am Mittwoch vorerst für die weitere Verwendung des Impfstoffs ausgesprochen. Nach aktueller Datengrundlage scheine ein Zusammenhang mit Thrombosen zwar plausibel, aber nicht bestätigt, teilten die Experten des Impfkomitees der WHO am Mittwochabend mit. Es bedürfe noch weiterer Studien, um eine mögliche Verbindung zwischen Impfung und etwaigem Risiko zu untersuchen.

EMA-Chefin Emer Cooke betonte bei der Pressekonferenz auch, dass solche nationalen Entscheidung immer auf die aktuelle Situation der Pandemie in dem jeweiligen Land Rücksicht nehmen müssen. Die Auslastung der Spitäler beispielsweise oder die jeweilige Verfügbarkeit von Impfstoffen in dem Land spielen dabei zum Beispiel eine Rolle, gab sie zu denken. 

Bis Ende der vergangenen Woche wurden vom Astra-Zeneca-Impfstoff 607.200 Dosen nach Österreich geliefert (Biontech/Pfizer: 1.229.085; Moderna: 196.800).

EU-Gesundheitsminister tagen am Abend

Heute, Mittwochabend, berieten die EU-Gesundheitsminister in einer außerordentlichen Videokonferenz über die möglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Impfstoff von Astra Zeneca. Das virtuelle Treffen startete um 18 Uhr.

Ebenfalls am Abend beriet das Nationale Impfgremium über den weiteren Einsatz von Astra Zeneca. Man entschied sich, das Impfprogramm wie gehabt fortzusetzen (mehr dazu hier)

Aus Österreich gibt es laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen bisher zwei bestätigte und drei Verdachtsfälle von Sinusvenenthrombosen "im zeitlichen Zusammenhang nach einer Impfung mit Astra Zeneca".

Zwei Drittel RNA-Impfstoffe

Von den rund sieben Millionen Impfdosen, die laut Gesundheitsministerium im zweiten Quartal erwartet werden (im April rund 300.000 pro Woche), entfallen rund zwei Drittel auf die mRNA-Impfstoffe von Biontech / Pfizer und Moderna und ein Drittel auf Astra Zeneca sowie Johnson & Johnson.

Da derzeit der Fokus der Impfkampagne auf den über 65-Jährigen und den Risikopatientinnen und -patienten liegt, ist der größte Teil der Geimpften derzeit ohnehin über 60 Jahre alt.

Die Jüngeren werden erst später, und dann möglicherweise größtenteils mit anderen Impfstoffen als mit Astra Zeneca geimpft werden, so der Impfstoffexperte Herwig Kollaritsch zum KURIER.

Im Gesundheitsministerium geht man davon aus, dass "jedenfalls mehr als genug Impfdosen für alle Menschen in Österreich vorhanden sind".

Nebenwirkung in der Produktinformation

Bisher wurde jene Hinrvenenthrombose als Warnhinweis in der Produktinformation des Vakzins ausgewiesen. Neben Warnhinweisen findet man in dieser Produktinformation auch noch Nebenwirkungen und Gegenanzeigen. Warnhinweise sind „die mildeste Kategorie aus regulativer Sicht“, sagt der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger. Nun hat die EMA entschieden, jene seltene Form der Thrombose als sehr seltene Nebenwirkung zu listen. 

Unklar bleibt aber weiterhin, was genau diese spezielle Thrombose bei den wenigen Geimpften auslöst. Konkret geht es um eine Sinusvenenthrombose im Gehirn und den gleichzeitigen Mangel an Blutplättchen. Aber auch im Bauchraum oder in den Schlagadern kann es dabei zu Thrombosen kommen. Da es aber zum Mechanismus selbst schon eine erste wissenschaftliche Untersuchung und Erklärung gibt, könne man die seltenen Thrombosen auch schon gut behandeln. 

Wie kommt es überhaupt zur Thrombose?

Die Theorie kommt vom Greifswalder Forscher Andreas Greinacher und einem Team internationaler Forschender, auch aus Österreich. In einer vorläufigen Studie ("Pre-Print") stellen sie einen möglichen Mechanismus vor, wie die seltenen Thrombosen nach Impfungen entstehen könnten. Ihrer Hypothese nach bilden sich durch die Impfung Antikörper, welche sich gegen Oberflächenstrukturen (Antigene) der Blutplättchen und insbesondere gegen den Plättchenfaktor 4 (ein Protein, das auch Blutplättchen freigesetzt wird) richten. Es kommt dadurch zu einer Aktivierung und einer daraus folgenden Verklumpung der Thrombozyten (Blutplättchen), die dann Gerinnsel bilden.

"Unabhängige Fachleute schätzten diese Hypothese zwar als plausibel ein, allerdings basierten die ersten Untersuchungen nur auf sehr wenigen Fällen und wichtige Fragen bleiben bisher ungeklärt. Ob die Impfung die sehr selten aufgetretenen Thrombosen (nur) über den beschriebenen Mechanismus verursacht, ist somit noch nicht abschließend geklärt", schreibt das Sciencemediacenter in einer Zusammenfassung zum Thema. 

Wie kann die seltene Thrombose behandelt werden?

Ist an der Theorie etwas dran, würde das auch in der Behandlung helfen – man könnte intravenös hoch dosierte Immunglobuline (spezielle Antikörper) und generell blutgerinnungshemmende Medikamente verabreichen. „Gebe es jetzt einen solchen Fall in Österreich, würden wir diese Therapie im AKH höchstwahrscheinlich anwenden“, sagte der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger zum KURIER. 

Auf welche Symptome sollte man achten?

Grippeähnliche Symptome (Gelenks-, Muskel und Kopfschmerzen) über ein bis drei Tage unmittelbar nach der Impfung sind kein Anlass zur Sorge, sondern treten vergleichsweise häufig als Impfreaktion auf und klingen auch rasch von selbst wieder ab. Achten sollte man aber auf Kopfschmerzen, Schwindel oder Bauchschmerzen von Tag 4 bis 20. „Wenn man schnell ins Spital geht, ist das recht gut behandelbar. Man sollte das also ernst nehmen“, sagte der Thromboseforscher Paul Kyrle von der MedUni Wien zum KURIER. Er ist Teil des Teams rund um Greinacher. 

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