Alzheimer: Vergesslichkeit mit einem Hirnschrittmacher behandeln

Alzheimer: Vergesslichkeit mit einem Hirnschrittmacher behandeln
Berliner Wissenschafter haben durch Zufall die Zielregion für eine Elektro-Therapie im Gehirn identifiziert.

In Österreich leben derzeit etwa 100.000 Menschen mit irgendeiner Form von Demenz. Aufgrund des kontinuierlichen Altersanstiegs in der Bevölkerung wird sich diese Anzahl bis 2050 mindestens verdoppeln, schätzt die Österreichische Alzheimer Gesellschaft. Bereits im Mai dieses Jahres berichteten österreichische Forscher von einem Gamechanger in der Behandlung der Krankheit. Nun haben deutesche Kollegen nach einer Zufallsbeobachtung ein Hirnareal bei Patienten identifiziert, das offenbar auf eine elektrische Stimulation anspricht.

Bekanntes Therapie bei neurologischen Problemen

Bei dem Verfahren geht es um Tiefe Hirnstimulation (TSH). Sie ist eine Therapieform, die bereits seit längerem zur Behandlung von neurologischen Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Erkrankung sowie für neuropsychiatrische Erkrankungen (z.B. Zwangsstörungen) zugelassen ist. Im Gehirn der Betroffenen werden dafür feine Elektroden implantiert, die ständig schwache, kurze elektrische Impulse an die jeweiligen Hirnregionen abgeben.

Die Elektroden bleiben im Gehirn und sind über Kabel, die unter der Haut verlaufen, an einen Schrittmacher im Brustraum angeschlossen. Über ihn können Stromstärke und Frequenz angepasst werden. Gute Behandlungserfolge sind vor allem bei Morbus Parkinson belegt.

Zielregion im Gehirn lokalisieren

Andreas Horn von der Klinik für Neurologie mit experimenteller Neurologie der Berliner Universitätsklinik Charite und ein internationales Wissenschafterteam wollen die Alzheimer-Demenz zu einem Anwendungsgebiet dieser "Elektro-Therapie" machen. Der Experte: "Die THS wirkt bei Parkinson sehr gut, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten verbessert sich signifikant." Morbus Alzheimer gehöre wie der Morbus Parkinson zu den neurodegenerativen Erkrankungen, eine mögliche therapeutische Anwendung der THS wäre daher naheliegend. Für eine sichere und wirksame Therapie muss aber eine geeignete Zielregion im Gehirn identifiziert werden, über deren Stimulierung ein positiver Effekt ausgelöst wird.

Plötzliche Erinnerungen aus der Kindheit

Ausgangspunkt einer aktuellen Studie, die in "Nature Communications" erschienen ist, war eine Beobachtung von Kooperationspartnern an der Universität von Toronto in Kanada, teilte die Charite mit. "Die Tiefe Hirnstimulation löste bei einem Patienten, der aufgrund einer Adipositas behandelt wurde, Flashbacks - also plötzliche Erinnerungen aus Kindheit und Jugend - aus", erklärte Ana Sofia Rios von der Berliner Universitätsklinik. "Da lag die Vermutung nahe, dass sich die stimulierte Hirnregion, die sich im Bereich des sogenannten Fornix befand, womöglich auch für eine Behandlung von Morbus Alzheimer eignen könnte."

Fornix mit Elektroden versehen

Der sogenannte Fornix ist eine in beiden Gehirnhälften angelegte Struktur im Limbischen System des Gehirns. Dieses Nervenzell-Fasergewebe spielt eine Rolle beim Umsetzen von Inhalten des Kurz- in das Langzeitgedächtnis und somit in Lernprozessen.

Um der Beobachtung bei dem Adipositas-Patienten nachzugehen, implantierten Forschende an sieben internationalen Zentren im Rahmen einer weiteren multizentrischen Studie bei an leichter Alzheimer-Demenz erkrankten Patienten Elektroden im Bereich des Fornix. "Bei den meisten Patientinnen und Patienten zeigte sich leider keine Verbesserung der Symptomatik.

Doch einige wenige Studienteilnehmer profitierten deutlich von der Behandlung", sagte Ana Sofia Rios. "Wir wollten herausfinden, wie dieser Unterschied zustande kam und verglichen dafür die genaue Position der Elektroden zwischen den Studienteilnehmern."

Erfolg bei richtiger Bild-Interpretation

Horn und sein Team haben sich darauf spezialisiert, Bilder des Gehirns in hoher Auflösung, die mithilfe der Kernspintomographie aufgenommen werden, zu analysieren und in Kombination mit Computermodellen die optimalen Stimulationspunkte für eine THS im Gehirn präzise aufzuspüren. "Eine besondere Herausforderung dabei ist: Jedes Gehirn ist anders. Und das spielt bei der Implantierung der Elektroden eine große Rolle", wurde der Experte in einer Aussendung der Universitätsklinik zitiert. "Liegt man nur wenige Millimeter daneben, bleibt der erwartete Effekt unter Umständen aus."

Auch bei einem Großteil der 46 Studienteilnehmer mit Morbus Alzheimer war das der Fall. Allerdings, bei den Patienten, bei denen die THS eine positive Wirkung zeigte, konnte die Zielstruktur für die Elektroden schließlich genau bestimmt werden. "Sie liegt an einer Zweigstelle zwischen zwei Nervenfaserbündeln - dem Fornix und der Stria terminalis -, die tiefgelegene Hirnregionen miteinander verbinden. Beide Strukturen werden mit der Gedächtnisfunktion in Verbindung gebracht", erklärte der Neurowissenschaftler.

Weiterführende Studien notwendig

Bis eine THS für die Behandlung von Morbus Alzheimer zugelassen und eingesetzt werden kann, sind noch weiterführende klinische Studien nötig. Aber mit den Daten für die punktgenaue Implantation der Elektrode ist eine Grundlage für weitere klinische Studien vorhanden. "Wenn unsere Daten dabei helfen, dass die Elektroden im Rahmen neurochirurgischer Studien zur Erprobung der THS bei Alzheimer zielgenauer platziert werden können, wäre das großartig", sagte Horn. "Denn für Alzheimer benötigen wir dringend eine wirksame und Symptoml indernde Therapie, um den Patienten helfen zu können - die THS ist dafür ein vielversprechender Ansatz."

Behandlungskosten weltweit enorm

Weltweit litten 2019 rund 55 Millionen Menschen an Demenzerkrankungen, die meisten davon an Morbus Alzheimer. Die Zahlen steigen aufgrund der Altersentwicklung ständig. Die Kosten aufgrund solcher Erkrankungen wurden mit mehr als 800 Milliarden Euro pro Jahr berechnet. Die bisher bei Morbus Alzheimer verwendeten Medikamente, zum Beispiel die sogenannten Cholinesterasehemmer haben nur eine relativ schwache Wirkung auf die Symptome. Ursächliche Therapien zielen auf die Beseitigung schädlicher Ablagerungen der Proteine Beta-Amyloid oder Tau ab. Gegen Beta-Amyloid sollen monoklonale Antikörper, zum Beispiel Lecanemab, zum Einsatz kommen. Viele solcher Projekte sind aber bisher fehlgeschlagen. Das führte in der jüngeren Vergangenheit auch zu erheblichen Zweifeln daran, dass Beta-Amyloid- oder die Tau-Proteine wirklich ursächlich etwas mit der Alzheimer-Demenz zu tun haben.

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