Antikörper Lecanemab: "Start in eine neue Ära der Alzheimer-Therapie"
"Für mich ist das eindeutig der Aufbruch in eine neue Ära der Alzheimer-Therapie." So bewertet die Neurologin und Alzheimer-Spezialistin Elisabeth Stögmann, Leiterin der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am Wiener AKH / MedUni Wien, die Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, den Antikörper Lecanemab (Handelsname Leqembi) zur Behandlung einer frühen Alzheimer-Erkrankung in der EU zuzulassen. Die Zulassung durch die EU-Kommission (ein Formalakt) steht aber noch aus.
Was ist das Besondere an diesem neuen Medikament?
Erstmals werden nicht nur die Symptome der Alzheimer-Erkrankung behandelt. "Es ist das erste Medikament, das an einer Ursache von Alzheimer ansetzt und den Krankheitsverlauf verlangsamt", sagt Stögmann: "Das ist ein Meilenstein für die Betroffenen." Der Antikörper heftet sich an schädliche Ablagerungen des Eiweißes Amyloid-beta, das mit der Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung gebracht wird. Abwehrzellen des Gehirns werden aktiviert und bauen diese Eiweißklumpen ("Plaques") ab.
Für welche Alzheimer-Patienten wird der Antikörper zugelassen?
Für Patientinnen und Patienten mit leichten Gedächtnis- und Denkstörungen bzw. leichter Demenz als Folge einer Alzheimer-Krankheit. Beim sogenannten "Mini-Mental-Status-Test" erreicht diese Gruppe mindestens 20 von 30 möglichen Punkten. "Das sind die ersten Jahre der Erkrankung - sicher nicht die späteren Jahre", sagt Stögmann. In dieser Phase kommen die Betroffenen in der Regel noch relativ gut allein zurecht.
Durch eine Nervenwasser-Untersuchung (Liquor) und / oder eine Positronen-Emissions-Tomografie (PET) müssen Amyloid-Ablagerungen nachgewiesen sein. Zusätzlich muss ein Gentest durchgeführt werden: Patienten, die zwei Kopien der Genvariante für das Protein Apolipoprotein E4 (ApoE4) haben, dürfen das Medikament nicht erhalten. Bei ihnen ist das Risiko für Nebenwirkungen der Therapie wie Schwellungen oder Blutungen des Gehirns deutlich höher als bei Patienten, die keine oder eine Kopie dieser Genvariante tragen.
Wie groß ist die Gruppe jener, die wegen dieses genetisch bedingten Risikos für stärkere Nebenwirkungen die Therapie nicht bekommen können?
In der Zulassungsstudie von Leqembi waren zirka 15 Prozent der Patientinnen und Patienten Träger von zwei Kopien dieses Gens, sagt Stögmann. "Die Genvariante ApoE4 ist der bekannteste genetische Risikofaktor für Alzheimer und steht auch mit den Nebenwirkungen in Zusammenhang." Erst als die EMA bei ihrer Beurteilung des Nutzen/Risiko-Verhältnisses von Lecanemab diese Gruppe aus der Bewertung herausnahm, kam sie zu dem Schluss, dass "der Nutzen von Leqembi durch die Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheitssymptome größer ist als die Risiken". Deshalb sprach sie sich im Gegensatz zu ihrer ersten Beurteilung im Juli jetzt für die Zulassung aus. Diese Entscheidung der EMA sei ein "gelungener Kompromiss", sagt Stögmann.
Lecanemab konnte in der Zulassungsstudie den Krankheitsverlauf um zirka fünf Monate verlangsamen. Wie relevant ist das?
Das Medikament kann Alzheimer nicht heilen und auch nicht aufhalten. "Aber innerhalb von 18 Monaten reduzierte es das Risiko, in das jeweils nächste, schwerere Stadium von Alzheimer überzugehen, um 30 Prozent", betont Stögmann. Das entspricht einem Zeitraum von zirka fünf Monaten. "Das kann den Patienten sehr viel bringen denke ich. Es verbesserte sich in den Studien auch die Lebensqualität in der Therapiegruppe deutlich. Und wir hoffen, dass bei früherer und längerer Anwendung die Effekte noch größer werden."
Diese Therapie sei nicht nur ein Meilenstein für die Wissenschaft, sondern auch für alle Alzheimer-Patienten, auch die, die das Medikament letztlich nicht bekommen werden. "Denn jetzt können kognitive Störungen nicht mehr so leicht abgetan werden nach dem Motto 'Da kann man eh nichts machen'. Im Gegenteil: Wir Ärztinnen und Ärzte - auch im niedergelassenen Bereich - müssen jetzt bei Menschen mit Gedächtnisproblemen viel genauer hinschauen, früher eine Diagnostik einleiten. Erkrankungen, für die es eine Therapie gibt, bekommen viel mehr Aufmerksamkeit. Die längerfristigen positiven Effekte können wir jetzt noch gar nicht abschätzen."
Lecanemab ist auch nur das erste Präparat, das in den Krankheitsverlauf eingreift: "Wir erwarten im Jänner die Zulassung eines weiteren Antikörpers, Donanemab. Und weitere werden folgen, vielleicht mit weniger Nebenwirkungen. Denn das Wirkprinzip funktioniert, und jetzt versucht man, es zu verfeinern."
Wie groß wird der Anteil der Alzheimer-Patienten sein, die für die neue Therapie in Frage kommen?
"In unserer Ambulanz sind es rund zehn Prozent - und das ist auch in anderen Kliniken so ähnlich", sagt Stögmann. "An sich müsste es mehr Menschen in Österreich in einer frühen Phase einer Alzheimer-Erkrankung geben, aber die Diagnose wird häufig erst relativ spät gestellt." Insgesamt seien es am AKH derzeit maximal 50 Patienten, die für die Therapie in Frage kommen.
Wann wird Lecanemab in Österreich verfügbar sein - und wie sieht es mit den Behandlungskapazitäten aus?
"Das ist noch offen, die tatsächliche Zulassung durch die EU-Kommission steht ja noch aus, ebenso die Frage der Kostenübernahme (die Therapie für ein Jahr kostet rund 25.000 Euro, Anm.) und die organisatorische Durchführung", sagt Stögmann. Die Patientinnen und Patienten erhalten alle zwei Wochen eine Infusion, zu Beginn der Behandlung und vor der 5., 7. und 14. Dosis müssen MRT-Scans durchgeführt werden, ebenso beim Auftreten von Warnzeichen wie Kopfschmerzen oder Schwindel. "Das ist sehr aufwendig, und die dafür notwendigen personellen Kapazitäten sowie die Infrastruktur für die Infusionen müssen erst aufgebaut und geschaffen werden - da sind noch einige Fragen ungeklärt."
Wird es sich um eine lebenslange Therapie handeln?
"Das wird derzeit international heftig diskutiert", sagt Stögmann. Derzeit ist eine Therapiedauer von 18 Monaten vorgesehen. Allerdings gibt es (noch wenige) Daten, die einen Anstieg der Symptome und ein Wiederauftreten der krankhaften Amyloid-Ablagerungen nach dem Absetzen der Therapie anzeigen. Vermutlich wird danach eine monatliche Erhaltungsdosis gegeben werden." Wird die Therapie fortgesetzt, scheint der Effekt des verlangsamten Krankheitsverlaufs fortzubestehen.
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