20 Jahre Viagra: Wie es zur Erfolgsgeschichte kam

20 Jahre Viagra: Wie es zur Erfolgsgeschichte kam
Die Potenzpille kam heute vor 20 Jahren auf den US-Markt – mit ungeahnten Folgen.

Selten war wohl eine Medikamenten-Nebenwirkung so erfreulich – und bei den Betroffenen erwünscht: 1993 berichteten britische Minenarbeiter, die für eine Studie ein neues Medikament gegen Bluthochdruck einnahmen, häufiger und sogar länger andauernde Erektionen zu haben.

Diese Zufallsentdeckung war der Beginn einer am Pharma-Sektor der vergangenen 25 Jahre beispiellosen Entwicklung, die manche mit der Einführung der Anti-Baby-Pille verglichen. Genau heute vor 20 Jahren, am 27. März 1998, wurde der Wirkstoff Sildenafil unter dem Markennamen Viagra vom US-Pharmakonzern Pfizer in den USA auf den Markt gebracht, sechs Monate später auch in Europa. Seither schluckten mehr als 64 Millionen Männer weltweit mehr als drei Milliarden Stück der blauen Pille.

Pfizer verdiente Milliarden

Diese erste orale Tablette gegen Erektionsstörungen spülte nicht nur viel Geld in die Kassen von Pfizer – im Jahr 2017 belief sich der Umsatz auf 1,21 Milliarden US-Dollar. Zudem beeinflusste die blaue Pille auch die Sexualmedizin nachhaltig. „Vieles rund um die Diagnose erektile Dysfunktion hat sich dadurch enorm verändert“, sagt Prim. Michael Rauchenwald, Leiter der Abteilung für Urologie und Andrologie im SMZ-Ost in Wien.

Makel „nicht können“

Nicht zu „können“ – das empfinden die meisten Männer als Makel und soziales Stigma. Heute weiß man, dass rund 80 Prozent aller Erektionsstörungen auf organische Ursachen zurückzuführen sind, sagt Urologe Georg Ludvik, Bundesfachgruppenobmann der Urologen. „Früher haben sich Männer bei Potenzproblemen eher zurückgezogen und nicht darüber geredet. Die Tatsache, dass Potenzstörungen nun nicht mehr allein psychisch angesehen wurden, gab vielen Betroffenen die Möglichkeit, das Thema auch aktiv anzusprechen – und etwas dagegen tun zu können.“ Unter Experten ist dieses Phänomen heute weltweit als sogenannter „Viagra-Effekt“ bekannt.

20 Jahre Viagra: Wie es zur Erfolgsgeschichte kam

Einfache Anwendung

Was noch erleichternd dazu kam: Die einfache Anwendung und Verfügbarkeit als Medikament. Je nach Schwere des Erektionsproblems werden niedrige (25 mg) bis hohe Dosen (100 mg) des Medikaments empfohlen. „In Hinsicht auf die einfache Anwendbarkeit war Viagra ein richtiger ‚Game-Changer’ (Spielveränderer, Anm. )“, betont Rauchenwald. Früher habe man als Arzt nur Injektionen anbieten können, um erektile Dysfunktionen zu behandeln. „Jetzt verordnet man bei passender Indikation schon zu Beginn diese medikamentöse Therapie, die auch in den meisten Fällen hilft.“

Bei Frauen ist es übrigens nicht so einfach. Zwar wirkt Sildenafil auch auf die weiblichen Geschlechtsteile, Sexualstörungen sind aber bei Frauen wesentlich komplexer. „Pink Viagra“ (Wirkstoff Flibanserin), das die Sexlust im Kopf ankurbeln sollte, kam in den USA 2015 auf den Markt – mit wenig Erfolg und vielen Nebenwirkungen.

Erection problem

Symptom für mehr

Das Aufkommen von Viagra (und, als 2013 der Patentschutz auslief, auch von anderen Präparaten) rückte noch einen Aspekt in den Fokus. Erektionsprobleme können auch ein Symptom für Erkrankungen im Herz-Kreislauf-Bereich sein. „Man hat sich in der Folge daher mehr damit befasst und ist draufgekommen, dass Veränderungen in den Blutgefäßen des Penis ein Hinweis auf ebensolche Veränderungen im Herzen sein können“, erklärt Ludvik. Heute sei es längst Standard, die Patienten automatisch zur Abklärung zum Internisten zu schicken. Das kann im Idealfall spätere Infarkte verhindern.

Trotz der 20-jährigen Erfolgsgeschichte gibt es noch immer viel Unwissen um die Potenzpille. Weder Viagra noch Nachbau-Produkte (Generika wie Cialis oder Levitra) sind eine „Lifestyle-Droge“, wie es von unseriösen Anbietern gefälschter Präparate im Internet oft beworben wird, warnen die beiden Experten.

Kein Einfluss auf die Libido

Auf die Libido hat Viagra jedenfalls keinen Einfluss. „Fälschlicherweise wird suggeriert, es handle sich bei Potenzmitteln der PDE-5-Hemmer um ein Aphrodisiakum. Das ist es aber nicht“, sagt Ludvik. Bei jungen, gesunden Männern etwa hat die Potenzpille keine Auswirkung auf die Erektionsfähigkeit. Bei vorliegenden Erektionsproblemen könne es allerdings bei Jüngeren in einer Kurzzeit-Therapie „den psychischen Druck“ etwas mildern, betont Rauchenwald.

Damit Viagra bei Erektionsproblemen überhaupt in die biologischen Abläufe zwischen Blutkreislauf, Hormonen und Botenstoffen eingreifen kann, muss der Mann sexuell erregt sein (siehe auch Grafik) . „Wenn er keine Lust auf Sex hat, muss man andere Parameter, etwa Hormone, anschauen und andere Maßnahmen ergreifen.“

Und der Urologe räumt mit noch einem Mythos auf: Die Dauer der Wirkung – je nach Präparat zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen – führt viele potenzielle Anwender auf die falsche Fährte. „Sofern sexuelle Lust gegeben ist, kann der Mann in diesem Zeitraum auch mehrere Erektionen haben. Aber eine Dauererektion hat man dabei nicht.“

20 Jahre Viagra: Wie es zur Erfolgsgeschichte kam

 Von Darmkrebs bis Diabetes: Viele Viagra-Einsatzgebiete

Bei Lungenhochdruck wird der Wirkstoff Sildenafil schon  länger verwendet. Das Präparat kam aber unter dem Namen Revatio auf den Markt. Die Arznei erweitert in diesem Fall die verengten Lungenbläschen und verhindert eine lebensgefährliche Überlastung des Herzens.

Seit Pfizer den Wirkstoff auf den Markt brachte, wurde laufend an Einsatzgebieten abseits der erektilen Dysfunktion geforscht. So  zeigten etwa Studien in Deutschland, dass sich Viagra bei Diabetikern positiv auf die Gefäßfunktion auswirken kann.

Auch in der Prävention könnte Viagra von Nutzen sein. Forscher des Medical College of Georgia an der Augusta University fanden bei Tests an Mäusen heraus, dass eine geringe Tagesdosis Viagra die Bildung von Darm-Polypen um die Hälfte reduzierte. Diese Gewächse in der Darmwand entwickeln sich  häufig zu Darmkrebs. Zusätzlich zeigten die Ergebnisse, dass sich bei den Labormäusen auch bestimmte Werte erhöhten, die positiv auf das Gewebe der Darmwand auswirkten. Daher sehen die Forscher in ihrem Ansatz eine Präventionsmöglichkeit für Patienten mit hohem Darmkrebsrisiko.

Kommentare