Ist bald wieder ein Lockdown nötig? Was Virologen sagen
Angesichts dieser Zahlen bleibt so manchem wohl das Gansl im Hals stecken: Von Freitag auf Samstag wurden in Österreich 9.943 Corona-Neuinfektionen registriert – und somit ein neuer Rekordwert seit Beginn der Pandemie verzeichnet. Dieser liegt deutlich über dem Schnitt der vergangenen sieben Tage von 7.148. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei 562,14.
Ein Blick auf die Plattform Our World in Data zeigt im Sieben-Tages-Schnitt, dass Österreich mittlerweile in das weltweite Spitzenfeld aufgestiegen ist: Mit dem Schnitt an neuen Fällen befindet sich Österreich in den Top 15 der Länder mit den meisten Fällen pro Millionen Einwohner. Selbst einstige Sorgenkinder wie die USA und Großbritannien stehen aktuell deutlich besser da.
Als Wellenbrecher soll die ab kommenden Montag in Kraft tretende 2-G-Regel fungieren. Für beinahe alle Lebensbereiche gilt ab dann: Wer nicht geimpft oder genesen ist, kommt nicht mehr ins Restaurant oder Hotel hinein.
Druck aufbauen
Laut dem Virologen Christoph Steininger ist es höchste Zeit für schärfere Regeln: „Die Lage ist sehr besorgniserregend und ich hoffe natürlich, dass es durch 2-G bald besser wird“, sagt der Experte. „Aber es muss jetzt auch in Sachen Kommunikation dringend aufgeholt werden. Also viel intensiver und auf persönlicherer Ebene auf Fragen der noch immer Impfunwilligen eingegangen werden. Und ich würde eine Impfpflicht für den medizinischen Bereich sowie andere Berufe, die viel mit anderen Menschen in Kontakt sind, begrüßen.“
Hätte die Notbremse in Form von 2-G schon früher gezogen werden müssen? „Ich glaube nicht“, sagt Virologin Christina Nicolodi. „Mit den bisherigen Maßnahmen war die Lage in den vergangenen Monaten ganz gut im Griff. Und ich selbst hätte vor ein paar Monaten nicht gedacht, dass sich bis jetzt nur so wenige Menschen impfen lassen.“ 63 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben ein gültiges Impfzertifikat, also zwei Impfungen erhalten. „Da wird jetzt indirekt deutlich mehr Druck auf die Impfunwilligen aufgebaut“.
Bis wieder von so etwas wie „Normalität“ die Rede sein kann, muss laut Steininger eine 80-prozentige Impfrate erreicht werden. „Das sehen wir aus Erfahrungswerten von Portugal oder auch Dänemark. Erst dann bekommen wir aus epidemiologischer Sicht wieder Luft.“
Wichtiger Drittstich
Nicht nur bei den Grundimmunisierungen muss jetzt der Turbo gezündet werden. Epidemiologe Gerald Gartlehner zeigte sich am Freitag in der ZIB2 überrascht, dass die Wichtigkeit der dritten Impfung bisher nicht stärker kommuniziert wurde. „Es ist wahrscheinlich jene Maßnahme, mit der wir in relativ kurzer Zeit einen relativ großen Effekt erzielen können“, betonte Gartlehner. Man sehe, dass der Impfschutz bei den Grundimmunisierten abnehme, Impfdurchbrüche seien mit einem sogenannten Booster gut bekämpfbar. Für die jetzige Welle sei der dritte Stich äußerst wichtig.
„Ja, eine Booster-Impfung wirkt rascher“, sagt Christoph Steininger. „Da sieht man Effekte natürlich in einem kürzeren Zeitrahmen. Rein immunologisch ist meiner Meinung nach die Erst- und Zweitimpfung die Wichtigere. Schließlich handelt es sich hier um jene Menschen, deren Immunsystem noch nie Kontakt mit diesem Virus hatte. Ungeimpfte sind der Treiber der Pandemie.“
Können sich also jene, die im Restaurant oder beim Friseur ab Montag nur noch auf andere Genesene und Geimpfte treffen, in puncto Ansteckungsrisiko beruhigt fühlen? „Natürlich ist nicht auszuschließen, dass man dort auf eine infektiöse Person trifft. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man als Geimpfter schwer erkrankt, ist sehr gering. Das Risiko ist nicht vergleichbar zu jenem in einem Raum voller Ungeimpfter“, weiß Steininger. Jetzt auch Geimpfte und Genesene nur mit PCR-Test in Gasthaus zu lassen, hält Virologin Christina Nicolodi für verzichtbar: „Damit würde man die Wirtschaft auch zu sehr belasten, weil die Menschen vielleicht nicht mehr ins Restaurant kommen.“
Lockdown-Frage
Am 17. November 2020 trat aufgrund explodierender Zahlen der zweite Lockdown in Kraft. Ist dieser bald wieder notwendig? Und dann sogar auch für Geimpfte? „Aus virologischer Sicht glaube ich nicht, dass es soweit kommt“, sagt Nicolodi. Ähnlich sieht es Christoph Steininger. Und appelliert: „Solange wir eine so niedrige Impfrate haben, werden wir auch Maßnahmen wie die Maske noch lange brauchen. Nur mit einer hohen Impfrate können wir darauf verzichten. Jene, die unglücklich über die Maßnahmen sind und sich trotzdem nicht impfen lassen? Diese Logik verstehe ich nicht.“
Nowotny für zweiwöchigen Lockdown
Der Virologe Norbert Nowotny sprach sich am Samstag angesichts des dramatischen Anstiegs an Neuinfektionen für schärfere Maßnahmen aus. "Ich wäre ehrlich gesagt für einen kurzen, harten, kontrollierten Lockdown - zeitnah", sagte Nowotny auf Puls24. Dieser sollte für alle, also auch für Geimpfte, gelten. Starten sollte der Lockdown bereits kommenden Samstag, 13. November - für die Dauer von zwei Wochen.
"Niemand will einen Lockdown, aber das ist die einzige Möglichkeit, die aktuellen Corona-Zahlen mit Sicherheit wieder runterzubringen“, sagt Nowotny in dem Interview. Es sei "die einzige Möglichkeit, Christkindlmärkte, Weihnachtsfeiern und auch die Wintersaison zu retten".
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