Stammheim-Gefängnis: Die Terroristen-Festung fällt

Stammheim-Gefängnis: Die Terroristen-Festung fällt
Die JVA Stuttgart wurde in den 1970ern durch den Prozess gegen die RAF bekannt. Jetzt wird der Gerichtssaal abgerissen.

Als die Rote Armee Fraktion (RAF) in Stammheim einsaß, roch es nach Pizza. Jedenfalls erzählten das später jene, die in den 1970ern dort gearbeitet hatten und dem Geruch nachgegangen waren. Denn Pizza stand keineswegs auf dem Speiseplan der linksextremen Terroristen, als deren Führung die Journalistin Ulrike Meinhof sowie das Paar Gudrun Ensslin und Andreas Baader galten.

Während ihrer Jahre in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart bauten sich die geschickten Häftlinge so manches, das ihnen den Gefängnis-Alltag gemütlicher machte. Besonders Jan-Carl Raspe, der vor seiner RAF-Zeit Chemie studiert hatte, galt als der Erfinder in der Gruppe. So soll er etwa mit zwei leeren Kaffeedosen und einem Schlauch, der eigentlich zur Zwangsernährung bei Hungerstreiks eingesetzt wurde, Schnaps destilliert haben. Und Keksdosen dürfte er in Pizza-Öfen umgewandelt haben. Kam ein Wärter, verschwanden die Bauten in ebenso kreativen Zellen-Verstecken.

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Wie war Todesnacht möglich?

Geschichten wie diese lassen den Ideenreichtum der RAF erkennen, der sich in ihren Anschlägen furchtbar widerspiegelte. Von ihrer Geburtsstunde – der Befreiung Baaders 1970 aus einem Berliner Gefängnis –, über Banküberfälle, Morde und Geiselnahmen bis hin zur „Stammheimer Todesnacht“: Die RAF hielt Deutschland jahrelang in Atem, stellte die Polizei immer wieder vor Rätsel.

Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wie Ensslin, Baader und Raspe in der Nacht auf den 18. Oktober 1977 nach einer gescheiterten Flugzeugentführung durch die zweite RAF-Generation kollektiven Selbstmord in ihren Zellen begehen konnten. Eigentlich hatten sie keinen Zugang zu Nachrichten, jegliche Kommunikation untereinander war unterbunden worden, so glaubte man. Und es gab sogar Zweifel, ob es überhaupt Selbstmord war. RAF-Mitglied Irmgard Möller, die man nach der Todesnacht schwer verletzt auffand, behauptete, jemand habe sie angegriffen. In den Zellen wurden Elektroleitungen und Morseapparate gefunden, mit denen die Terroristen kommuniziert haben könnten.

Symbolort mit Ablaufdatum

Stammheim ist Symbolort für den deutschen Kampf gegen den Terrorismus geblieben. Hier bereiteten die Gefangenen sich auf den Monsterprozess vor. Dafür wurde extra ein Gerichtssaal gebaut und über einen unterirdischen Gang mit dem Gefängnis verbunden, um Fluchtversuche zu erschweren.

Bald ist genau dieses Stück Geschichte wirklich Geschichte. Der Saal wird im Herbst abgerissen. Wo bis 2019 über Schuld und Unschuld von Terroristen verhandelt wurde, entsteht ab 2027 ein JVA-Krankenhaus.

Und das berühmte „Haus 1“, in dem die RAF den siebten Stock quasi für sich hatte? Das marode Gebäude hätte wegen Sanierungen stillgelegt werden sollen, doch der hohe Belegungsdruck führte dazu, dass stattdessen das Notwendigste renoviert wurde. Ab Oktober können erstmals seit 2020 Hunderte neue Häftlinge einziehen.

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