Hunderttausende weiße Sklaven: Als Afrika das Mittelmeer beherrschte

„Amerikaner!“, ruft ein Wachtposten. Doch es ist zu spät. Leutnant Stephen Decatur Jr. und seine Mannen sind schon nahe genug an der USS Philadelphia, entern, töten jeden, der sich ihnen entgegenstellt. Rasch setzen sie ihr ehemaliges Flaggschiff in Brand, fliehen auf der Intrepid, einem Zweimaster aus dem Hafen von Tripolis.
Keine zwanzig Minuten hat die Aktion gedauert, die den noch jungen USA eine gewaltige Blamage erspart. Es ist der 16. Februar 1803 – und das Blatt scheint sich zugunsten der jungen Nation zu wenden. In ihrem ersten Krieg im Ausland. Seit 300 Jahren gelten sie als gefürchtete Piraten, Hunderttausende Europäer haben sie gefangen genommen und versklavt oder gegen hohes Lösegeld eingetauscht. Fürstentümer und ganze Staaten zahlen ihnen Tribut, Handelsschiffe laufen ohne Geleitschutz nicht mehr aus. Algiers, Tunis und Tripolis sind die inoffiziellen Herrscher des Mittelmeeres. Zwar haben die Europäer immer wieder erfolgreiche Strafexpeditionen ausgesandt, doch das Handwerk konnten sie den Korsaren nicht legen.
Auch die USA zahlen den „Barbaresken“ Schutzgeld – und nicht zu knapp: 20 Prozent des Staatshaushalts müssen sie aufwenden, damit ihre Schiffe unbeschadet durch das Mittelmeer fahren dürfen. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien – die Royal Navy hatte im Mittelmeer Geleitschutz gegeben – ist die junge Nation leichte Beute für die erfahrenen Korsaren. Bis Thomas Jefferson 1801 als dritter US-Präsident vereidigt wird – und die Zahlungen verweigert.
Der Herrscher von Tripolis erklärt den USA den Krieg, Algier, Tunis und Marokko tun es Tripolis gleich. Doch die USA waren nicht untätig, haben in den vergangenen Jahren moderne Kriegsschiffe gebaut. Schiffe wie die „USS Philadelphia“. Mit 44 Kanonen, davon 16 32-Pfündern, war sie sogar den Schiffen der Royal Navy überlegen. Die hohen Bordwände und starken Schiffskörper aus Virginia-Eiche schützen die Mannschaft bestens vor feindlichem Feuer, selbst Kanonenkugeln prallen vom Rumpf ab. Mit vier dieser Fregatten und einem Schoner setzen die USA über den Atlantik, Algier und Tunis geben rasch auf. Doch Tripolis und Marokko geben nicht auf. Die USA blockieren ihre Häfen mit den überlegenen Schiffen – doch im Oktober 1902 läuft die Philadelphia beim Hafen von Tripolis auf Grund. Die Kämpfer des Pasha erobern das Schiff, versklaven die Besatzung. Die 32-Pfünder der Fregatte schießen auf US-Amerikaner.
Als Handelsschiff getarnt
Eine Schmach, die Leutnant Stephen Decatur Jr. nicht auf sich sitzen lassen will. Mit 43 Kameraden besteigt er die Intrepid, die als Kaufmannschiff getarnt und britisch beflaggt ist, und fährt in den schwer bewachten Hafen von Tripolis. Wäre die List aufgeflogen, hätte das Sonderkommando keine Chance gehabt: Schwerbewaffnete Schiffe im Hafen, Kanonen auf allen Mauern. Doch sie kommen unerkannt bis zur Philadelphia. Das Chaos, das der Brand auslöst, erlaubt ihnen die Flucht – bis auf einen Leichtverletzten kehren die Männer unbeschadet zur Flotte zurück. Und die hat mittlerweile Verstärkung aus den USA erhalten.
Die Blockade dauert an, immer wieder kommt es zu kleineren Seeschlachten – bis das US Marine Corps im Mai 1805 die „Barbaresken“ bei Derna vernichtend schlägt. Tripolis ergibt sich, bricht aber später den Friedensvertrag. Bis 1815 Stephen Decatur Jr., inzwischen Kommodore, mit seiner Flotte vor Algier steht. Nur die Androhung, die Stadt in Schutt und Asche zu schießen, reicht aus, dass seine Gegner kapitulieren. Doch erst 1830 bricht Frankreich mit der Eroberung der afrikanischen Nordwestküste die Macht der Korsaren im Mittelmeer.
Ende 15. Jahrhundert
Nach der spanischen Reconquista erobern vertriebene Mauren und Araber die nordafrikanische Westküste und begannen mit Raubzügen zur See.
16. Jahrhundert
Die Korsaren gingen auch mit christlichen Ländern Allianzen ein, unterstützen etwa die Franzosen bei den Eroberungen von Nice und Korsika.
1609
Mit Spanien verbindet die Korsaren eine tiefe Feindschaft – 1609 besetzt Spanien Teile Marokkos, die Korsaren überfallen Galicien.
Anfang 17. Jahrhundert
Die Korsaren fahren über die spanische Atlantikküste bis nach Island, überfallen auch Irland und englische Ortschaften. London erklärt den Krieg.
1627
Allein in Algier werden 20.000 Iren und Isländer und Briten versklavt, die Korsaren erpressen Lösegeld von Adelshäusern in ganz Europa.
1669
Gemeinsam mit Dänemark schaffte es England, eine algerische Flotte zu besiegen und den mehr als 40 Jahre dauernden Krieg zu beenden.
Anfang 18. Jahrhundert
Die Überfälle und Lösegeldforderungen häufen sich dermaßen, dass Dänemark eine „Sklavenkasse“ einführt. In Kirchen werden Spenden gesammelt.
1770
Die Korsaren kapern mittlerweile auch US Schiffe, im selben Jahr attackieren die Korsaren eine österreichische Handelsflotte.
1801 bis 1805
Erster Barbareskenkrieg der USA, den die junge Nation gewinnen kann. Zehn Jahre später folgt der zweite Krieg gegen Algerien.
1827
Frankreich erklärt Algerien den Krieg, nimmt es in den folgenden Jahren ein. 1829 startet die Österreichische Marine einen Angriff auf Marokko.
Kommentare