Warum vergessen?
35 Jahre zuvor, im Februar 1865, lauschten 60 Mitglieder des Naturforschenden Vereines Brünn mehr oder weniger gelangweilt einem gewissen Pater Gregorius. Der Mann aus der örtlichen Augustinerabtei referierte über Erbsen. 300.000 muss Mendel eigenhändig abgezählt haben, ob sie rund oder runzlig, grün oder gelb waren. In unendlich langen Versuchsreihen dokumentierte er akribisch Unmengen von Daten und zog daraus seine Schlüsse. Die Vorstellung, dass sich die belebte Natur mithilfe eines mathematischen Modells begreifen lasse, war zu seiner Zeit revolutionär.
Mendel begriff auch, dass die einzelnen Merkmale unabhängig voneinander vererbt werden – und einige Eigenschaften sogar im Verborgenen: Während sie bei den direkten Nachkommen unsichtbar bleiben, treten sie plötzlich in der Enkel- oder Urenkelgeneration wieder unverändert auf. Diese Erkenntnisse sind Bausteine, die später im Gebäude der Genetik eine tragende Rolle spielen sollten.
„Mendel hat seine Ergebnisse völlig richtig und genial interpretiert, ohne eine Vorstellung von Genen zu haben. Damals war ja noch nicht einmal bekannt, dass Chromosomen die Träger von Erbinformationen sind“, weiß Ortrun Mittelsten Scheid, Molekularbiologin am Gregor Mendel Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Und so kam es, dass die 1866 erschienene schriftliche Fassung seiner Forschungsarbeit mit dem Titel Versuche über Pflanzenhybriden wenig Beachtung fand.
Viel mehr als der Text zweier Vorträge in Brünn und eine Handvoll Briefe sind daher von Mendel nicht erhalten. „Man weiß also sehr wenig über ihn als Person.“
Nur so viel: „Mendel ist auf dem Land aufgewachsen und war mit landwirtschaftlichen Problemen vertraut – und wohl auch mit Vererbung von Eigenschaften“, erzählt die Molekularbiologin. „Seine Neugier und sein Interesse sind aufgefallen, er wurde gefördert und durfte auf das Gymnasium gehen – eine Ausnahme für Leute aus seinem Umfeld“.
Gegen den Mainstream
Wie schwer es Pater Gregorius gehabt haben muss, erklärt sich auch durch die Tatsache, dass es damals noch an zellbiologischem Wissen mangelte. Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen jene, die sich Gedanken darüber machten, an, dass sich elterliche Merkmale bei Tieren wie auch Pflanzen wie zwei Flüssigkeiten vermischen. So auch Charles Darwin, dessen 1859 erschienenes Werk Die Entstehung der Arten die Biologie revolutionierte und dominierte. Dass ein Augustinerpater diese Theorie umkrempeln sollte, erwartete damals niemand.
1900 war es dann doch so weit: Die Chromosomen waren inzwischen nachgewiesen worden, auch den Vorgang der Zellteilung hatten die Biologen sorgfältig studiert.
Mendel selbst sei sich der Tragweite seiner Erkenntnisse immer bewusst gewesen, ist Mittelsten Scheid sicher: „,Meine Zeit wird kommen!‘, soll er gesagt haben“.
P.S. Übrigens unterstützte das Kloster Mendels Versuche: Als Getreidelieferant für die örtlichen Bierbrauereien hofften die heiligen Männer nach den Experimenten auf bessere Erträge bei der Getreidezucht.
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