Designer-Babys in China: Der letzte Tabubruch im Gen-Labor?

Die Geburt der ersten genmanipulierten Babys in China hat weltweit heftige Kritik ausgelöst.
Die Geburt der ersten genveränderten Babys in China wirft neue Fragen auf.

Die Nachricht ging um die Welt: In China wurden erstmals Zwillinge geboren, deren Erbgut von Wissenschaftlern verändert wurde. Das gab der Forschungsleiter des Experiments, He Jiankui, von der Universität Schenzen in einem Youtube-Video bekannt. Lulu und Nana, so die Namen der Kinder, seien ganz normale Babys. "Gesund und weinend" seien sie vor wenigen Wochen zur Welt gekommen – wie andere Säuglinge auch.

Doch sie sind eben keine normalen Babys: Die Mädchen sind die ersten Designer-Babys, deren Gene nicht nur im Reagenzglas verändert wurden, sondern die auch in eine Gebärmutter eingesetzt und geboren wurden. Nach eigenen Angaben verwendete Jiankui die CRISPR/Cas9-Gen-Schere. Diese Technik ermöglicht, bestimmte Abschnitte aus der DNA zu entfernen und durch neue Gensequenzen zu ersetzen. Im konkreten Fall soll der Eingriff die Kinder gegen HIV resistent gemacht haben.

"Verrückt"

He Jiankuis Verkündung löste bei chinesischen Forschern Empörung aus. Mehr als 120 Wissenschaftler kommentierten die Geburt der Mädchen als "verrückt" und "unethisch". Auch internationale Gen-Experten verurteilten das chinesische Vorpreschen massiv. Die US-Forscherin Jennifer Doudna, eine der beiden Entwicklerinnen der Gen-Schere, kritisierte: "Wenn sich das bestätigt, stellt diese Arbeit einen Bruch mit dem zurückhaltenden und transparenten Vorgehen der globalen Wissenschaftsgemeinde bei der Anwendung der Gen-Schere dar", sagte die US-amerikanische Biochemikerin und Molekularbiologin in Hongkong.

Doudna hatte das Verfahren, mit dem das menschliche Erbgut verändert werden kann, gemeinsam mit der Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier entwickelt. Letztere hatte zuvor dazu auch in Wien geforscht. Die Erstveröffentlichung zu der Methode erfolgte im Jahr 2012 im Fachmagazin Science. Laut Doudna sei es dringend erforderlich, der Genmanipulation bei Embryos klare Grenzen zu setzen. Sie dürfe ausschließlich dort zum Einsatz kommen, wo eine medizinische Notwendigkeit bestehe und keine andere Behandlungsmethode existiere.
 

Tabu gebrochen

Auch für den renommierten österreichischen Genetiker Markus Hengstschläger sind die Experimente in China eine Grenzüberschreitung. "Der Mensch in seiner Gesamtheit war immer tabu. Auch bisher wurden Versuche an Embryonen durchgeführt, aber sie wurden niemals transferiert und sind niemals auf die Welt gekommen. Das ist kein guter Tag für die medizinische Genetik", sagte Hengstschläger dem KURIER.

Designer-Babys in China: Der letzte Tabubruch im Gen-Labor?

Genetiker Hengstschläger lehnt Genmodifikation am Embryo ab.

Die Gen-Schere CRISPR/Cas9 ist laut dem Genforscher grundsätzlich eine sehr gute Methode: "Ich war immer ein Befürworter der somatischen Gentherapie. Sie wird dafür verwendet, Gewebe und Organe, die nicht funktionstüchtig sind, zu therapieren. Das ist in Österreich auch erlaubt." Bei der somatischen Gentherapie werden Stammzellen entnommen, genetisch verändert und wieder rückinjiziert. Ein Beispiel: Die Sichelzellenanämie ist eine Erbkrankheit, bei der rote Blutkörperchen durch eine genetische Fehlbildung im roten Blutfarbstoff vermehrt abgebaut werden. Mittels Gentherapie können Stammzellen aus dem Blut eines Patienten isoliert und im Reagenzglas korrigiert werden. Die Zellen werden dann zurückinjiziert. Nun können rote Blutkörperchen gebildet werden, die nicht mehr fehlerhaft sind.

Das ist derzeit noch nicht routinemäßig möglich, wurde aber weltweit bereits bei Menschen angewandt. Patienten mit Erbkrankheiten wie Zystischer Fibrose oder Muskeldystrophie könnten davon profitieren.

Hinweise auf Krebs

Der Eingriff in die Keimbahnen, also den Embryo selbst, ist hingegen in Österreich verboten und laut Hengstschläger abzulehnen. "Der Embryo vererbt diese genetische Veränderung auch an die nächste und übernächste Generation und so weiter. Dafür ist die Technik nicht sicher genug. Welche Folgen das für die Menschen hat, kann man heute noch nicht abschätzen." Eine Vererbung genetischer Veränderungen könne nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Hinzu kommen erste Hinweise von schwedischen Wissenschaftlern, dass dort, wo die Gen-Schere zum Einsatz kam, ein erhöhtes Krebsrisiko besteht. Auch Fehlentwicklungen und Krankheiten aufgrund des Eingriffs wären denkbar. Die Methode wurde jedoch bisher zu wenig eingesetzt, um langfristige Folgenabschätzungen vornehmen zu können.

Baby designen

Neben den naturwissenschaftlichen Fragen wirft die Geburt der Designer-Babys auch zahlreiche ethische Fragen auf: Was darf genetisch verändert werden? Wie weit dürfen wir gehen? Sollen Eltern in Zukunft neben Augen- und Haarfarbe auch Intellekt und Verhaltenseigenschaften ihres Babys bestimmen können?

Letzteres ist derzeit technisch (noch) nicht möglich. Haar- und Augenfarbe sowie Verhaltenseigenschaften und Intelligenz hängen von mehreren Genen ab. Die Gen-Schere CRISPR/Cas9 kann jedoch nur bei Erkrankungen eingesetzt werden, an denen ein einzelnes Gen beteiligt ist. Das Verhalten wird zudem stark von Umwelteinflüssen bestimmt.

Hengstschläger sieht das chinesische Experiment als Weckruf, Eingriffe in menschliche Gene noch besser zu regulieren. Viele Länder hätten noch keine entsprechenden Gesetze.

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So funktioniert die Gen-Schere.

Die staatlichen Gesundheitsbehörden Chinas sind jedenfalls alarmiert. Die Lokalregierung der Provinz Guangdong, wo die Experimente stattfanden, wurde zu einer "unverzüglichen Untersuchung" aufgefordert. Ein rasches Handeln der Aufsichtsbehörden hatte sich auch die chinesische Forschungsgemeinschaft in ihrem Protestbrief gewünscht.

Man hoffe außerdem, dass die "Büchse der Pandora", die durch das Experiment geöffnet wurde, geschlossen werden könne, "bevor der Schaden irreparabel ist".

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