Die Turteltaube ist Vogel des Jahres 2020
Sie ist ein Symbol für die Liebe, doch ihre Lebensumstände sind wenig romantisch, denn sie ist stark gefährdet. Daher kürt BirdLife Österreich die Turteltaube (Streptopelia turtur) zum „Vogel des Jahres 2020“. Die Entscheidung wurde gemeinsam mit dem deutschen Partner NABU und seinem bayerischen Partner LBV getroffen.
Dramatischer Rückgang
„In den letzten Jahrzehnten haben wir zwei Drittel der Brutpaare verloren, ganze Landstriche sind turteltaubenfrei“, berichtet Gábor Wichmann, Geschäftsführer von BirdLife Österreich, denn: „Es fehlt geeigneter Lebensraum.“ So ist die Turteltaube ein Symbol für den Verlust an Artenvielfalt, besonders im intensiv genutzten Agrarland. Als einziger Zugvogel unter den heimischen Tauben setzt sich die kleine Wildtaube auch neuen Gefahren aus: dem Klimawandel sowie der legalen und illegalen Bejagung.
Österreichs Sorgenvogel
„Früher hat man das markante Gurren der Turteltaube an jedem Dorfrand oder Flussufer gehört“, weiß Ornithologe Gábor Wichmann. „Strukturreiche Wald- und Feldränder als Lebensraum sind selten geworden. Wildkräutersamen an Feldwegen und Feldfrüchte aus Zwischensaaten fehlen als Nahrung.“ So hat sich seit 1998 ihr heimischer Brutbestand um nahezu zwei Drittel reduziert. Aktuell brüten in Österreich nur noch rund 10.000 Brutpaare. Für den Vogelschutz hat die Turteltaube daher höchste Priorität, wie BirdLife Österreich in einer aktuellen Studie festhält.
Deutschland und Großbritannien
Nur noch rund 4,2 Millionen Turteltaubenpaare werden in Europa zur Brutzeit gezählt. Ihr Bestand ist seit den 1970er Jahren in den meisten europäischen Ländern rückläufig. In den letzten 20 Jahren nahm er europaweit um 79 Prozent ab. Mit minus 90 Prozent in Deutschland und minus 94 Prozent in Großbritannien ist die Turteltaube im freien Fall.
Nahrungs- und Lebensraumprobleme
„Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist der größte Gefährdungsfaktor für die Turteltaube“, so Gábor Wichmann. Die Ausweitung von Anbauflächen geht mit einem Verlust von Brachen, Ackersäumen, Feldgehölzen und Kleingewässern einher. Nistplätze sowie Nahrungs- und Trinkmöglichkeiten verschwinden. „Der Turteltaube schmecken die Samen von Klee, Vogelwicke, Erdrauch und Leimkraut-Pflanzen, die als Unkraut gelten und entsprechend bekämpft werden“, weiß Wichmann. Sämereien aus landwirtschaftlichen Kulturen bieten dafür nur ungenügenden Ersatz, da sie teils früher geerntet werden und dann während der kritischen Phase der Jungenaufzucht nicht mehr zur Verfügung stehen.
Illegale Jagd im Mittelmeerraum
Turteltauben sind die einzigen Langstreckenzieher unter den Taubenarten Mitteleuropas. Sie verlassen zwischen Ende Juli und Anfang Oktober Europa, um in der Sahelzone zu überwintern, und kehren ab Ende April wieder in ihre europäischen Brutgebiete zurück.
Während der jährlichen Wanderung lauert aber eine zusätzliche Bedrohung im Mittelmeerraum, denn jedes Jahr werden hier nach Schätzungen von BirdLife International mehr als 25 Millionen Zugvögel illegal getötet, darunter viele Turteltauben.
Legale Jagd in Europa
Die EU-Vogelschutzrichtlinie erlaubt die Jagd auf die Turteltaube in zehn EU-Staaten. Jährlich kommen mehr als 1,4 bis 2,2 Millionen Turteltauben in der EU legal zu Tode. Auch in Österreich, wo Turteltauben im Burgenland ab Mitte August, in Wien und Niederösterreich ab September geschossen werden dürfen. „Die Jagd auf Turteltauben bei uns und unseren Nachbarn muss völlig verboten werden, nach den Regeln der Vogelschutzrichtlinie ist die Jagd auf sie angesichts der tristen Bestandssituation nicht angemessen!“, so Vogelschützer Gábor Wichmann.
Politik ist am Zug
„Um der Turteltaube noch eine Chance zu geben, ist rasches Handeln notwendig“, weiß Wichmann: „Agrarumweltmaßnahmen müssen ausreichend finanziert werden, artenreiche Brachflächen, die Einschränkung von Pestiziden sowie der Erhalt von Feldgehölzen und Kleingewässern würden ihr Überleben bei uns sichern. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU muss naturverträglich werden und sicherstellen, dass jeder landwirtschaftliche Betrieb auf zehn Prozent seiner Fläche der Natur nützt, und diese Naturschutzmaßnahmen der Landwirte müssen angemessen honoriert werden.“
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