Tag des Lehrers: Wo Pädagogen zu Helden werden

Tag des Lehrers: Wo Pädagogen zu Helden werden
Lehrer können das Leben eines Kinds verändern. Wie, das erzählen Schüler in sieben Geschichten.

Über die Schule wird viel lamentiert – auch im Wahlkampf. Nur logisch, dass es zahlreiche Ideen gibt, wie man das Bildungssystem verbessern kann. Bei den Diskussionen wird aber oft auf jene vergessen, die entscheidend für den Erfolg des Systems sind: die Pädagogen. Sie können die Biografien junger Menschen prägen, weshalb der Lehrerberuf auch ein sinnstiftender ist: „Einen Menschen aufzubauen und ihm den Weg zu ebnen, ist eine weitaus reizvollere und schönere Aufgabe“, resümiert Doris Pfingstner, die mittlerweile Direktorin ist.

Sieben Menschen erzählen hier davon, wie ihr Leben von einem Pädagogen beeinflusst wurde: Manchmal ist der Lehrer, die Lehrerin die einzige Bezugsperson, wenn die private Welt in Trümmern liegt, manchmal ist sie die Person, die eine neue, unbekannte Welt eröfnet. Und manchmal sogt sie dafür, dass ein Kind zur Schule gehen darf, so wie im Fall von Erwin Greiner, dessen Lehrer Ernst Jandl war - der Mann, der später als Dichter bekannt wurde.

Diesen Geschichten sind ein kleines „Danke“ zum Tag der Lehrer, der am heutigen  5. Oktober, begangen wird.

"Sie war da, als die Welt aus den Fugen geriet"

Tag des Lehrers: Wo Pädagogen zu Helden werden

Die Geschichte von Luca und Emma*

„Luca* gehört in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.“ Ein Satz wie ein Schlag in die Magengrube. Klar, dass seine Mutter verzweifelt war, als sie ihn hörte. Luca wäre auch fast dort gelandet, wäre da nicht Emma* gewesen. Wegen seiner Lehrerin ist er heute ein Bub wie viele andere.
Doch die Geschichte von Anfang an: Die begann mit dem Eintritt Lucas in die Volksschule. Damals schien die Welt noch in Ordnung – doch bald geriet sie ins Wanken: Drogen und Alkohol zerstörten das Familienleben, nur auf die Mutter konnte sich der heute elfjährige Luca verlassen. Als dann auch noch die über alles geliebte Volksschullehrerin in Karenz ging, war das alles zu viel für eine Kinderseele. Der Bub rebellierte auf seine Weise: Er wurde laut, störte den Unterricht und machte alles – nur nicht das, was man von ihm verlangte. Der neuen Lehrerin war das zu viel, weshalb sie das Jugendamt einschaltete. Deren Lösung war denkbar einfach: eine Überweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Doch zum Glück hat Luca eine Mutter, die kämpft. Sie suchte und fand eine neue Schule – mit Emma als Lehrerin, die damals erst zwei Jahre im Beruf war. Auch sie wusste anfangs nicht, warum sich Luca derart aufführte: „Er schmiss Dinge durch die Gegend, machte nie Hausübungen und schimpfte“, erzählt sie dem KURIER.
Also gab es lange Gespräche – mit Luca, mit Emma, mit der Mutter und der Direktorin. Erst nach und nach gab der Bub preis, was der wirkliche Grund für sein ungestümes Verhalten war: Er hatte Angst, dass dem einzig noch verbliebenen Anker in seinem Leben – seiner Mutter – etwas zustoßen könnte, während er in der Schule ist. 

Neben der Mama

Deshalb machte Emma einen Vorschlag: „Die Mama darf in die Schule kommen und sich neben Luca setzen, wann immer er das will.“ Wenig erstaunlich: Schon bald beruhigte sich die Situation und Luca hatte keine Angst mehr um seine Mutter. Für das Kind wurde vieles besser, für die Lehrerin nicht. Denn es gab Eltern von Klassenkameraden, die nicht  begeistert waren – weder von Luca, noch von der Sonderbehandlung. „Luca wurde der Buhmann für alles“, erinnert sich die Direktorin. „Er wurde sogar zu Unrecht beschuldigt, Dinge angestellt zu haben.“ 
Und der Lehrerin wurde von Eltern unterstellt, sie würde keinen ordentlichen Unterricht machen. Keine einfache Situation für Emma. Zum Glück standen Direktion und Schulaufsicht hinter hier. Dafür, dass Emma nie aufgegeben hat, ist ihr die Mutter ewig dankbar. Und Luca? Er ist heute ein normaler Bub, der ohne Mama in die Schule geht.

*Namen geändert

 

„Die Atmosphäre war so familiär“

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Im Kindergarten

Janina! Die sechsjährige Ilva fällt der Kindergartenpädagogin um den Hals. Über Jahre hat diese das Mädchen im Kindergarten  Altmannsdorf der St. Nikolausstiftung begleitet. „Wir hatten so viel Glück mit Janina Ehrnhofer. Die Atmosphäre ist hier so familiär“, sagt  Mutter Jutta Gansel. 

Kein Wunder, dass beim Abschied im Sommer Tränen flossen. Doch die beiden werden sich im Hort, der im gleichen Haus ist, weiterhin  sehen. Dass Ilva die Schule gut meistern wird, dafür hat Ehrnhofer mit ihrer Herzlichkeit und ihrem fachlichen Engagement die Basis gelegt. „Es braucht Bezugspersonen, auf die sich Kinder verlassen können. Nur so können sie sich auf Neues einlassen“, ist sie überzeugt: „Alles, was das Kind im Kindergarten lernt, ist das Grundgerüst, auf dem später aufgebaut wird.“ 

Der professionelle Blick aufs Kind ist ihr wichtig: „Es geht darum, Kinder in ihrem Selbstwert zu stärken. Sie sollen stolz auf sich sein und die Gewissheit haben, dass sie die Schule und das Leben meistern.“ Dazu braucht es nicht nur Selbstbewusstsein. Sprache, Motorik oder mathematisches Verständnis sind Beispiele, die Kinder spielerisch erlernen. Auch auf ein gutes Miteinander legt Ehrnhofer wert: „Wir haben gelernt, uns nach einem Streit zu versöhnen“, erzählt Ilva. Ehrnhofer freut’s: „Ich habe einen wunderbaren Beruf, den ich jederzeit wieder ergreifen würde.“ 

„Jetzt kann ich viel zurückgeben“

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Die Schülerin als Coach

„Für mich war es Liebe auf den ersten Blick“, erzählt Verena Thiem mit einem Schmunzeln. Als sie in den 90er-Jahren von einem kleinen Ort im Weinviertel in die „große Stadt Mistelbach“ wechselte, traf sie auf Isabella Zins, die ihre Lehrerin in Deutsch und Latein wurde.

Isabella hat mich immer motiviert. Nicht nur, dass wir gemeinsam tolle Bücher wie Schlafes Bruder gelesen haben – sie hat mir die Freiheit gelassen, Texte und Interpretationen zu schreiben. Das hat mich besonders in Latein oft gerettet“, erinnert sie sich. Thiems Klasse war die erste, die Zins als Klassenvorstand hatte. „Es war fast eine familiäre Klasse. Wir unternahmen gemeinsam Reisen und feierten so manche Party“, blickt die Schülerin zurück. 

Auch die Professorin  weiß noch heute, wie ihre erste Klasse war: „Alle waren sehr engagiert, und Verena gründete die erste Schülerzeitung.“ Noch heute schreibt Thiem gerne – sie hat   einen Blog und macht Podcasts.

Zum Geburtstag

Zeitweise war der Kontakt zwischen Zins und Thiem nur lose. Die Schülerin ging nach Wien, um Jus und Betriebswirtschaft zu studieren, und war nur sporadisch in ihrem Heimatort: „Zu den runden Geburtstagen habe ich Isabella eingeladen. So blieb der Kontakt aufrecht.“ 
Richtig gefunden haben sich die beiden wieder, nachdem Verena Thiem sich als Coach selbstständig gemacht hatte: „Ich berate Führungskräfte – nicht nur betriebswirtschaftlich, mir geht es auch darum, dass die Menschen auf sich schauen.“
Einen Coach? Den kann Isabella Zins gut brauchen, hat sie doch mittlerweile fünf Funktionen inne: Sie ist nicht nur Direktorin, sondern u.a. auch kommunalpolitisch aktiv und Sprecherin der AHS-Direktoren. „Man muss lernen, auf sich zu schauen. Dabei hat mir Verena geholfen.“ Ihre Schülerin freut sich: „So kann ich viel zurückgeben.“

„Mir wurde eine neue Welt eröffnet“

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Sanela Bräuhofer erzählt

Zunächst war die Freude bei Sanela Bräuhofer nicht besonders groß: „Ich wäre so gerne aufs Gymnasium gegangen, doch dann ist es die Mittelschule in der Konstanziagasse geworden“, erinnert sich die 24-Jährige. Doch das Schicksal hat es noch gut mit ihr gemeint – in Form der Lehrerin Doris Pfingstner. „Sie hat mich in so Vielem unterstützt und mir eine neue Welt eröffnet – das hat mein Leben verändert.“
Pfingstner hat als Lehrerin nicht den üblichen Weg beschritten – sie hat Lehramt und BWL studiert und daher einige Jahre in England im Marketing gearbeitet. Was sie später aus ihrem Berufsleben erzählte, hat Bräuhofer besonders fasziniert. Etwa die Geschichte aus China: „Da saßen wir alle an einem Tisch, keiner hatte seinen eigenen Teller, jeder aß aus den Schüsseln in der Mitte.“ Als die Schülerin diese Anekdote hörte, dachte sie: „Einmal eine ganz andere Kultur erleben, das möchte ich auch.“

Alles auf Englisch

Ein Glück für Schülerin und Lehrerin war, dass Pfingstner die Klasse in mehreren Fächern, etwa Geografie und Kunst, unterrichtete – und das oft auch auf Englisch. „In der 2. Klasse wollte ich ein Referat auf Englisch halten“, erzählt die ehemalige Schülerin. „Dabei hat sie mich sehr unterstützt. Ich sagte ihr auf Deutsch, was ich sagen wollte, und sie hat mir beim Übersetzen geholfen. Am Ende war ich so richtig stolz.“
Bräuhofer ist heute froh, dass sie in der NMS Konstanziagasse im Wien-Donaustadt war. Maturiert hat sie dennoch. Mittlerweile macht sie den Master in internationaler BWL und arbeitet beim Unternehmensberater Deloitte
Das Schöne: Nicht nur für Bräuhofer war die Begegnung schicksalhaft, sondern auch für Pfingstner: „Sanela war ein außergewöhnliches Kind. Wäre sie nicht gewesen, wäre ich womöglich wieder zurück in die Wirtschaft gegangen.“ Doch da hätte sie profane Ziele verfolgt, etwa 250.000 statt 200.000 Autos zu verkaufen. Anders in der Schule: „Einen Menschen aufzubauen und ihm den Weg zu ebnen, ist eine weitaus reizvollere und schönere Aufgabe.“

Ernst Jandl: „Der Bub bleibt in der Schule“

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Erwin Greiner ist heute noch dankbar

Weil zwei Lehrer an ihn glaubten, durfte Erwin Greiner maturieren. Erwin Greiner, Jahrgang 1949, erinnert sich: „Wir hatten ab der 3. Klasse Katharina Sladek –  sie war das Gegenteil meiner ersten Lehrerin, die mit Demütigungen und Ohrfeigen arbeitete. Sladek versuchte, jedes Kind in seinen Stärken zu fördern und war unglaublich motivierend. Sie war es, die 1958 meine alleinerziehende, meist arbeitslose Mutter überredete, mich für die Aufnahmsprüfung am heutigen Realgymnasium Waltergasse im 4. Bezirk in Wien anzumelden, die ich auch bestand.“
Klassenvorstand sowie Deutsch- und Englischlehrer war dort Ernst Jandl, damals als Lyriker noch unbekannt. Aus späteren Gesprächen weiß ich, dass er diesen Beruf nicht sonderlich gerne ausgeübt hat. Umso bemerkenswerter ist, wie er das – zumindest in meinem Erleben – getan hat. In der 2. Klasse musste jeder ein Referat halten. Ich, als Fußballnarr, wählte „Die Geschichte des Fußballsports in Österreich“ – ein Thema, das nicht zu Jandls Top-Interessensgebieten zählte. Dementsprechend unsicher war ich, wie mein Referat ankommen würde. Sein Kommentar: „Ich habe zwar nach wie vor keine Ahnung von Fußball, aber das liegt an mir, nicht an deinem Referat. Sehr gut.“

Am Anfang der 4. Klasse machte meine Mutter klar, dass ich die Schule beenden müsste. Das war nachvollziehbar – erlebte ich doch jeden Tag, was für ein Kampf ums Überleben der Alltag für meine Mutter war. Dennoch machte mich diese Ankündigung sehr traurig, da ich mich in der Schule sehr wohl fühlte und eine Geborgenheit erlebte, die ich zu Hause in unserer 20 m² Substandardwohnung nicht empfand. Ich erzählte Jandl davon. 

Vorladung

Er lud meine Mutter zum Gespräch ein. Genauer gesagt, er lud sie vor. Jandl konnte sehr bestimmt auftreten, weshalb meine Mutter auch der Aufforderung. „Sie nehmen den Buben nicht aus der Schule, der kann was‘ folgte.
Ohne den Einsatz meiner beiden Lehrkräfte wäre mein Start ins Leben wohl anders verlaufen. Möglicherweise wäre es auch ein guter Start gewesen, aber nicht jener, der es mir ermöglichte, selbst Pädagoge zu werden – ein Beruf, der mir Zeit meiner Laufbahn viel Freude gemacht hat. Ich bin froh, dass ich mich bei beiden noch zu ihren Lebzeiten bedanken konnte. 
Es gibt so manches an unserem Bildungssystem zu kritisieren, aber es erfüllt mich mit Zuversicht, wenn ich miterleben darf, wie viele Pädagogen sich mit großem Engagement dafür einsetzen, dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen faire Bildungschancen bekommen.“

„Sie glaubt  an mich“

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Merve Ocak erwirbt Selbstvertrauen

„Aus dir wird nie etwas!“ Diesen Satz hatte Merve Ocak im Ohr, als sie vom Gymnasium in die Neue Mittelschule Eibengasse wechselte.  Diesen furchtbaren Satz  wiederholte

eine AHS-Professorin so oft, bis die Schülerin an sich  zu zweifeln begann. 
Die Demütigung schlug sich auf die Psyche und den Körper: Ocak hatte Bauchkrämpfe, sobald sie in  der Schule war. Sie, die einst so gerne gelernt hatte, strengte sich bald nicht mehr an. Dabei hatte die heute 19-Jährige Träume: Sie wollte studieren. 
Jetzt kann der Traum doch wahr werden: Im Frühjahr wird Ocak maturieren – an der  Handelsakademie  Polgarstraße in Wien
Zu verdanken hat sie das vor allem Claudia Schuecker, die in der Eibengasse Deutsch und Geschichte unterrichtet. „Sie glaubte an mich und hat mir mein  Selbstvertrauen zurückgegeben“, erzählt die Schülerin. „Sie hat mich z.B. motiviert, dass ich Referate halte. Vorher hätte ich nicht einfach so vor einer Klasse stehen können.“
Was die Schülerin ärgert, ist das Image der AHS: „Die ist nicht besser als die Mittelschule. Hier hatte ich  Lehrer, zu denen ich  eine Beziehung aufbauen konnte“, erläutert sie ihre These. „Claudia Schuecker war so etwas wie eine Mutter.“ Und so darf die Lehrerin  stolz sein, wenn Ocak bald auf die Uni geht.

Wenn man sich im falschen Körper fühlt

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Sie war der Rettungsanker

Die letzten Wochen vor der Matura konzentrieren sich die meisten Schüler auf die Prüfung. Ganz anders war das bei  Eli*. Für sie wurde damals die Schule zur Nebensache. So Vieles ging in ihr zu dieser Zeit vor. Zu Vieles hatte ihre junge Psyche zu bewältigen.
Das Mädchen fühlte sich nämlich schon lange im falschen Körper gefangen: Sie empfand sich als Mann, weshalb sie sich zu einer Geschlechtsumwandlung entschloss. Eine schwerwiegende Entscheidung, bei der es eine emotionale Unterstützung braucht. Von ihrer Familie bekam Eli die nicht. Im Gegenteil. Statt mit Verständnis reagierte die mit Schlägen. 
Die Rettung in dieser Lebenskrise war Lisa Müller*: „Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit ohne meine Lehrerin überstanden hätte“, sagt er heute. „Lisa hatte immer ein offenes Ohr für mich, und sie hat für mich gekämpft.“
Die Lehrerin sorgte nicht nur dafür, dass Eli eine Wohnung außerhalb der Familie bekam. Sie sorgte auch dafür, dass der junge Mann, der Eli mittlerweile war, nicht die Schule geschmissen hat, was er zu dieser Zeit am liebsten gemacht hätte. Am Ende hat er die Matura geschafft – mittlerweile studiert er. Seine ehemalige Lehrerin sieht er nach wir vor. Er besucht  sie regelmäßig. „Ich bin ihr unendlich dankbar.“

*Namen geändert

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