"Die Not der Eltern früher erkennen"

Eltern von Neugeborenen sind unter Stress, einige wenige werden gewaltätig.
Wäre der Tod des kleinen Maximilian vermeidbar gewesen? Experten setzen auf "Frühe Hilfen" als Prävention: Mütter werden nach der Geburt von Hebammen oder Sozialarbeitern besucht.

In einer WhatsApp-Nachricht beklagte sich die Mutter des getöteten Babys Maximilian, dass der Kleine ständig schreie – so zumindest meldete es die Polizei. Im KURIER-Interview sprach die Mutter über diese Stresssituation: "Er kam deutlich zu früh auf die Welt. Vielleicht ist das der Grund, warum er viel geschrien hat. Es war manchmal schon anstrengend."

Weshalb die Eltern die Nerven verloren haben, muss jetzt geklärt werden. Aber wie schon nach dem Tod des kleinen Lucca und anderer Babys, stellt sich die Frage: Wie hätte man diesen Tragödie verhindern können? Psychologin Susanne Rautenberg von der Salzburger Initiative Birdi kennt die Antwort. Sie begleitet junge Eltern in Krisensituationen und fordert: "Wir müssen die Not der Eltern früher erkennen, denn nur dann können wir eingreifen. Vom eigenen Umfeld kommt nämlich oft keine Unterstützung, sondern nur Unverständnis." Junge Mütter müssten sich oft folgende Binsenweisheiten anhören: "Wir alle mussten da durch." Oder: "Kinder schreien halt am Anfang." Vielen Menschen sei nicht bewusst, dass Schwangerschaft und Elternschaft Umbrüche im Leben sind – ähnlich kritisch wie etwa die Pubertät. Extremsituationen, in der Mütter und Väter Unterstützung brauchen.

Die meisten Familien hätte zum Glück das Selbstbewusstsein, dass sie sich in dieser Situation Hilfe holen, und das entsprechende familiäre Umfeld. Bei den Eltern des kleinen Maximilian war das offensichtlich anders. Zwar erkundigten sie sich bei der Jugendinfostelle des Magistrats St. Pölten, wie Leiter Gerhard Karner weiß, "aber sie haben später gesagt, dass sie zurechtkommen."

Unterstützung kurz nach der Geburt

"Die Not der Eltern früher erkennen"
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Genau hier setzt das Konzept der Frühen Hilfenan. Die Idee: Junge Familien werden zu Hause von Experten wie Hebammen oder Sozialarbeitern besucht, bevor es zu einer Krisensituation kommt. Doris Staudt von der Gesellschaft für seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit fordert sogar: "Jede Familie sollte kurz nach der Geburt besucht werden. In Dänemark ist das ganz selbstverständlich – dort erhält sogar die Kronprinzessin Besuch, sobald sie frischgebackene Mutter ist." Der Vorteil: So vermeidet man das Stigma, dass nur diejenigen kontaktiert werden, die von Behörden als besonders betreuungswürdig angesehen werden.

Man erreicht aber auf jeden Fall diejenigen, bei denen mehrere Risikofaktoren zusammen kommen: "Der bedeutendste ist die Armut. Wenn die Eltern zudem sehr jung sind, eine Einwanderer- oder gar Fluchtgeschichte haben und dann noch mehrere Kinder in geringem Abstand folgen, kommt es eher zu Krisen", sagt Barbara von Kalckreuth, die im deutschen Freiburg ein Babyzentrum leitet. "Wenn diese Eltern einmal einen Kontakt mit einer Hebamme hatten, ist die Hemmschwelle niedriger, sich Hilfe zu holen." Sie wünscht sich, dass auch Kinder- und Frauenärzte sowie Sozialarbeiter und Polizisten für das Thema sensibilisiert werden. Und dass im Mutter-Kind-Pass zukünftig Risikofaktoren abgefragt und Hilfe angeboten wird.

Eigene Kindheit

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Überfordert sind junge Mütter und Väter schnell: "Schlafentzug ist eine Form der Folter", sagt Doris Staudt. Zudem hätten Eltern keine Moment mehr für sich persönlich. Gesellschaft und Werbung suggerieren jungen Müttern, dass sie jetzt glücklich zu sein hätten. Auch unaufgearbeitete Erlebnisse aus der eigenen Kindheit spielen beim Umgang mit dem Neugeborenen eine Rolle: "Das hat viel damit zu tun, was ich selbst erlebt habe. Wenn das Kind schreit, werden alte Gefühle, wie etwa von Ohnmacht, ausgelöst. In solchen Fällen geht es nicht ohne Hilfe von Profis", betont Staudt.

Würde ein Elternführerschein für alle vor der Geburt Abhilfe schaffen? "Realistisch betrachtet werden wir nie alle Eltern erreichen, auch nicht durch Zwang", sagt Psychologin Rautenberg. Sie verweist auf das Projekt "Safe", entwickelt vom Münchner Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch. Sein Programm, das vereinzelt auch in Österreich umgesetzt wird, konzentriert sich auf eine gute Eltern-Kind-Bindung und erfordert schon vor der Geburt wöchentliche Gruppentreffen. In einem Brennpunkt-Viertel nutzte er Supermarkt-Gutscheine als Anreiz: "Aber nach wenigen Wochen sagten viele: Jetzt kommen wir auch ohne Bons."

Mit einem leisen Surren öffnet sich das elektronische Gartentor, vor der Eingangstür eines kleines Einfamilienhauses im Osten St. Pöltens steht Monika Z. Sie führt an einem Kinderwagen vorbei ins Wohnzimmer, lässt sich in einen Couchsessel fallen, ihre Hände zittern.

Die 26-Jährige ist die Mutter des kleinen Maximilian O., der in der Nacht auf Sonntag auf der Kinderklinik des SMZ-Ost in Wien den Kampf um sein Leben verlor. Staatsanwaltschaft und Polizei gehen davon aus, dass der dreieinhalb Monate alte Bub so schwer misshandelt wurde, dass er an seinen Verletzungen starb. Für den 33-jährigen Lebensgefährten der jungen Polin, Waldemar O., klickten noch am Sonntag die Handschellen. Sie selbst stritt in einem Gespräch mit dem KURIER Dienstagvormittag vehement ab, selbst in den Tod ihres Kindes verwickelt zu sein. Doch im Laufe des Tages überschlugen sich die Ereignisse.

Gewalteinwirkung

Kurz nach dem Interview bekam Monika Z. Besuch von der Kriminalpolizei. Ebenso wie der Kindsvater steht die Frau nun unter Mordverdacht, auch sie wurde Dienstagnachmittag festgenommen. Das vorübergehende Obduktionsergebnis der Gerichtsmedizin hat für die Staatsanwaltschaft St. Pölten den Ausschlag gegeben, Ermittlungen wegen Mordverdachts zu führen.

Es sind schaurige Details, die bei den Untersuchungen des toten Säuglings ans Tageslicht gekommen sind. "Als Todesursache wurde eindeutig ein Schädel-Hirn-Trauma festgestellt", erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft St. Pölten, Karl Wurzer. In der Schläfenregion des Kopfes wurde ein "massives Trauma" festgestellt. Mit diesem Ergebnis kann man davon ausgehen, dass es eine beträchtliche Gewalteinwirkung gegen den Kopf des Kindes gegeben hat, heißt es. Eine derartige Verletzung könne nicht von einem gewöhnlichen Sturz oder ähnlichem herrühren.

Als das Kind Samstagabend in lebensbedrohlichem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war zwar nur der Kindsvater zu Hause. Dies entlaste die Mutter jedoch noch nicht, meint Wurzer. Denn es gäbe Indizien dafür, dass gewisse Verletzungen des Kindes von einem früheren Zeitpunkt herrühren. Um dies zu klären, wird es von Seiten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen noch weitere Untersuchungen am Leichnam geben, so Wurzer.

Er rechnet mit einem Ergebnis in den kommenden Tagen. Neben dem Schädelbruch hatten bereits die behandelnden Ärzte im Spital Rippenbrüche, Hämatome und eine Netzhautablösung bei dem Säugling festgestellt und sofort die Polizei über den schwerwiegenden Verdacht informiert.

Die Erhebungen wurden nicht von der Mordkommission des nö. Landeskriminalamts, sondern von Kriminalbeamten des Stadtpolizeikommandos St. Pölten übernommen. Nun gilt es, die genaue Verantwortung der Eltern zu klären. Der Kindsvater bestreitet die Vorwürfe, die Eltern belasten sich gegenseitig.

Monika Z. berichtete, dass sie zum Zeitpunkt der Tragödie Samstagabend mit Freunden in Wien zusammen war. "Dann kam eine eMail von meinem Lebensgefährten, dass es Maximilian nicht gut geht." Sie habe sich sofort auf den Heimweg gemacht, doch zu Hause erreichte sie die Nachricht, dass die Ärzte den Kampf um ihr Baby verloren hatten. "Die Polizei sagte mir, dass er heftig geschüttelt worden sein soll. Es ist alles so schrecklich."

Laut der 26-Jährigen sei Maximilian eine Frühgeburt gewesen. Am 29. Oktober 2016 hatte er deutlich zu früh das Licht der Welt erblickt. "Vielleicht ist das der Grund, warum er viel geschrien hat. Es war manchmal deshalb schon anstrengend. Aber wenn ich ihn zum mir auf den Bauch gelegt habe, hat er sich eigentlich wieder schnell beruhigen lassen."

WhatsApp-Nachricht

Zu diesen Aussagen der Mutter passt eine WhatsApp-Nachricht, auf die die Polizei bei der Auswertung ihres Mobiltelefons gestoßen ist. Sinngemäß soll sich die 26-Jährige über das Geschrei ihres Babys beklagt haben. Ein Beweis für ihre Überforderung mit dem Kind?

Laut dem Leiter des St. Pöltner Jugendamtes, Gerhard Karner, haben sich die Eltern zwar bei der Jugend-Infostelle des Magistrats über Möglichkeiten der Unterstützung erkundigt. "Sie haben aber später gesagt, dass sie zurecht kommen. Daher ist kein weiterer Termin mit ihnen zustande gekommen", sagt Karner. Es gab sonst keinerlei Auffälligkeiten, von denen man Kenntnis hatte.

Das Jugendamt kümmert sich seit der Tragödie um die Obsorge des eineinhalbjährigen Bruders von Maximilian. Das Kind war während der Geschehnisse Samstagabend in dem St. Pöltner Wohnhaus ebenfalls unter der Aufsicht des Vaters. Laut Polizei sind bei der Untersuchung des älteren Buben aber keine Verletzungen festgestellt worden.

Aggressiv

Im Gespräch mit dem KURIER erzählte Monika Z., dass die Beziehung zu ihrem Lebensgefährten äußert problematisch und belastend gewesen sei: "Mein Freund war in letzter Zeit nervös, manchmal auch aggressiv. Als wir noch in Deutschland wohnten, drehte er einmal durch und hat mir sogar ein Messer an den Hals gesetzt. Außerdem hat er gelogen. Er hat immer wieder davon erzählt, dass er einen Job hat, doch das glaube ich ihm nicht. Er war ja meistens daheim. Ich wollte mich deshalb schon lange von ihm trennen. Es ist mir in den vergangenen zweieinhalb Jahren aber nicht gelungen", schilderte die 26-Jährige noch vor ihrer Festnahme.

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