Kollektiver "Online-Rausch"

ARCHIV - ILLUSTRATION - Das Logo von Google spiegelt sich am 12.08.2010 in einem Auge. Vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) beginnt am 26.02.2013 eine mündliche Verhandlung über das Recht von Verbrauchern auf Löschung ihrer Daten im Internet. Im konkreten Fall geht es um einen Spanier, der vom Internetdienst Google verlangt, seinen Namen vom Index ihrer Suchmaschine zu löschen. Foto: Julian Stratenschulte dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Ein Psychiater warnt: Online-, Spiel- und Kaufsucht bedrohen die Gesellschaft.

„Unsere Gesellschaft shoppt, zockt und surft sich in einen kollektiven Rausch. Unsere Drogen heißen nicht Heroin, Kokain oder LSD, sondern Kaufen, Internet und Spielen. Sucht ist kein Randgruppenphänomen, Sucht ist Mainstream.“ Mit derart dramatischen Worten warnt Prim. Kurosch Yazdi in seinem heute, Donnerstag, erscheinenden Buch „Junkies wie wir“ vor einem massiven Anstieg der Verhaltenssüchte. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ist Leiter der Suchtabteilung der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz.

KURIER: Herr Prim. Yazdi, Sie fürchten, dass in Zukunft eine „Armada von jugendlichen Internetsüchtigen“ zu behandeln sein wird. Ist das Problem tatsächlich so groß?

Kollektiver "Online-Rausch"
Kurosch Yazdi, Suchtexperte
Kurosch Yazdi: Deutsche Untersuchungen gehen davon aus, dass vier bis acht Prozent der Jugendlichen einen derart exzessiven Umgang mit dem Internet und Social Media haben, dass man von Sucht sprechen kann. Und die Verfügbarkeit etwa von preisgünstigen Smartphones und damit auch von Online-Glücksspielen und Rund-um-die-Uhr-Einkaufsmöglichkeiten explodiert. Unsere Ambulanz für Online- und Glücksspielsucht gibt es seit drei Jahren, die Nachfrage hat sich seither vervielfacht. Im vergangenen halben Jahr hatten wir fünf Mal so viele Anfragen von verzweifelten Eltern wie das halbe Jahr davor.

Sind Verhaltenssüchte vergleichbar z.B. mit Alkoholsucht?

Auf jeden Fall. Der Alkoholiker weiß, dass die Leber zugrunde geht – und trinkt weiter. Der Online-Spielsüchtige weiß, dass er kein Geld mehr für die Kinder hat – und zockt weiter. Und der Online-Süchtige weiß, dass er eigentlich schlafen gehen sollte – spielt aber trotzdem weiter und meldet sich am nächsten Tag krank. Es kommt immer zu einem Kontrollverlust, unter dem die Umgebung und auch der Betroffene leidet. Wenn die Weltgesundheitsorganisation von Impulskontrollstörungen statt Süchten spricht, so ist diese Klassifikation veraltet. Es sind eindeutig Süchte.

Fehlt das Bewusstsein dafür?

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es mit der Online-Sucht eine neue Art von Erkrankung, die es in der Elterngeneration noch nicht gab. Viele Eltern sprechen mit ihren Kindern zwar über Alkohol und andere Drogen – da haben sie ja auch Erfahrungen aus ihrer Generation –, aber mit Gefahren der Verhaltenssüchte kennen sie sich nicht aus.

Sie werfen Konzernen vor, krankhafte Verhaltensmuster durch geschicktes Marketing zu fördern. Wie funktioniert das?

Indem sie die Problematik relativieren, verharmlosen und umdeuten: Wer mit einem Mausklick bei einer Sportwette Hunderte Euros verliert, dem wird suggeriert, dass das Leben ja nur „ein Spiel“ – das Ganze also eh nicht so schlimm – sei. Prominente Werbestars vermitteln, dass es cool ist, auch um zwei Uhr in der Früh Online-Poker zu spielen. Oder dass man unbedingt dieses oder jenes Kleidungsstück haben muss, um cool zu sein.

Wer ist besonders gefährdet?

Hinter jeder Sucht steht der Wunsch nach Beziehung. Wird ein Kind von seinen Eltern sehr gelobt, schüttet das Gehirn Glückshormone aus. Dieses Belohnungssystem motiviert uns dazu, mit anderen Menschen in Beziehung zu bleiben – auch wenn es oft anstrengend ist. Habe ich zu wenig Belohnungen durch Beziehungen, kann ich dieses System auch durch Alkohol, Glücksspiele oder exzessives Einkaufen aktivieren. Je frustrierter ich bin, desto mehr werde ich zu so einem Verhalten neigen, weil es mir eine wunderbare Ablenkung von der Frustration bietet. Deshalb sind gute Beziehungen – mit dem Partner, in der Familie – wichtig für die Suchtprophylaxe. Virtuelle Beziehungen im Internet sind dafür kein Ersatz.

Was raten Sie Eltern konkret?

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Kurosch Yazdi, Suchtexperte
Den Kindern durch das eigene Vorbild zeigen, wie man das Internet sinnvoll verwendet, dass die Nutzung in einem überschaubaren zeitlichen Ausmaß bleiben muss. Und die Kinder einbinden, ihnen vernünftige Anwendungen vermitteln: Etwa gemeinsam das Ziel für den nächsten Ausflug im Internet suchen. Damit lernen die Kinder ganz automatisch ein sinnvolles Verhalten von den Eltern, und sie haben das Gefühl: Die Eltern interessieren sich für mich als Kind, nehmen mich ernst – und das verstärkt die Beziehung.

Zur Person

Prim. Kurosch Yazdi,36, ist Spezialist für Verhaltenssüchte wie Online-Sucht und an der Linzer Nervenklinik Wagner-Jauregg einer der jüngsten Primarärzte Österreichs.

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