Albert Einstein: Vom Rassisten zum Menschenfreund

Biograf Rosenkranz hat ein Aufregerbuch über den Physiker geschrieben. Im Interview sagt er, was ihn am meisten schockierte.

Das Leben von Albert Einstein bestimmt auch das Leben von Ze’ev Rosenkranz. Der Historiker an der California Institute of Technology sichtet seit 30 Jahren Briefe, Tagebücher und Dokumente des berühmten Physikers. Für Aufsehen sorgt jetzt seine Veröffentlichung vom Reisetagebuch Einsteins aus den Jahren 1922 bis 1923, in dem sich der Physiker abfällig über andere Völker äußerte. Während eines Wien-Besuchs des Biografen sprach der KURIER mit ihm über sein neuestes Buch, den Rassismus der 20er-Jahre, über Einsteins Wandlung und, was Rosenkranz besonders schockierte.

Rosenkranz selbst lebte acht Jahre in Wien, machte hier die Matura und besuchte zwei Jahre die Universität, bevor er nach Israel und dann in die USA auswanderte.

Als er das Tagebuch herausgab, entdeckte Rosenkranz Sätze wie etwa diese über die Chinesen: „Hinter dem Hafen lauter Essläden, vor denen [sie] auf Bänken bei der Mahlzeit nicht sitzen, sondern hocken wie Europäer, wenn sie im grünen Walde ihre Notdurft verrichten.“ Und: „Es wäre doch schade, wenn diese Chinesen alle andern Rassen verdrängten.“ In Sri Lanka beobachtete Einstein „das primitive Leben“ der lokalen Einwohner. Sätze von einem Mann, der „Rassismus als Krankheit des weißen Mannes“ bezeichnete.

Albert Einstein: Vom Rassisten zum Menschenfreund

 

KURIER: Herr Rosenkranz, Sie haben wie Einstein jüdische Vorfahren. Sind Sie deshalb so entsetzt, dass er sich über andere Völker so abfällig äußerte?

Ze’ev Rosenkranz: Ja. Als ich mich daran machte, sein Reisetagebuch herauszugeben und die historische Einleitung zu schreiben, wurde mir bewusst, dass Einstein rassistische Bemerkungen machte, als er diese Zeilen geschrieben hat. Er hat es nicht unbedingt abwertend gemeint, er hat aber in rassistischen Kategorien gedacht – das hat mich schockiert. Damals wurden die Juden ja von vielen als eigene Rasse angesehen. Mir wurde da erst klar, dass auch unter den deutschen Zionisten und unter assimilierten Juden einige gesagt haben: „Wir sind eine eigene Rasse.“ So dachte aber eine verschwindend kleine Minderheit.

Wie verbreitet waren in den 20er-Jahren solche Ansichten unter den Intellektuellen?

Rassistische Meinungen waren weit verbreitet – wie weit, wissen wir natürlich nicht, da es keine Meinungsumfragen gab. Einstein war da keine Ausnahme: Viele Intellektuelle und Wissenschaftler haben an die Ungleichheit der Rassen geglaubt – darunter so berühmte Namen wie Immanuel Kant, Karl Marx oder Voltaire. Doch es gab auch andere Meinungen: die von Soziologen wie dem Deutsch-Amerikaner Franz Boas oder dem Afroamerikaner W.E.B. Du Bois.

Einstein wurde später ein großer Kämpfer für Menschenrechte. Ist das einer persönlichen Entwicklung geschuldet? Oder war der öffentliche Mensch ein anderer als der private?

Da muss man wohl drei Faktoren beachten. Erstens: Die Tagebücher waren ganz privat, er hat nicht daran gedacht, dass sie eines Tages veröffentlicht werden könnten. Zweitens: Sicher machte er eine Entwicklung durch – und zwar schon einige Zeit, bevor er die Folgen des deutschen Nationalsozialismus am eigenen Leib erfahren musste. Auslöser war wohl ein Besuch in den USA in den frühen 30er-Jahren. Da gab es im Jahr 1931 den Fall der Scottsboro Boys, bei dem neun schwarzen Jugendlichen zwischen zwölf und zwanzig Jahren vorgeworfen wurde, zwei weiße Mädchen vergewaltigt zu haben – fast alle wurden zum Tod verurteilt. Der Prozess erregte damals nicht nur in den USA Aufsehen, unter anderem, weil das Verfahren alles andere als fair war – eine Form der Menschenrechtsverletzung. Die Todesstrafen wurden später in lebenslange Haft umgewandelt und Jahrzehnte später aufgehoben. Das hat Einstein live erlebt und sich gegen Menschenrechtsverletzungen ausgesprochen. Zudem hat er sich in den 1940er-Jahren massiv dafür eingesetzt, dass die Praxis des Lynchens gestoppt wurde, von der zumeist Schwarze betroffen waren. Er hat Briefe an den US-Präsidenten geschrieben und er war Teil eines Komitees. Da gab es also eine Entwicklung bei ihm.

Und drittens?

Es war damals seine erste Reise in den Nahen und Fernen Osten. Einstein entdeckte eine neue, für ihn vollkommen fremde Welt. Er hatte Konzepte vom Fernen Osten im Kopf, die wohl aus seiner Jugend stammen, als er Bücher über exotische Länder gelesen hatte. Deshalb war er auch so aufgeregt, dass er Japan besuchen konnte. Über dieses Land äußert er sich ja zum Teil sehr positiv, abschätzend spricht er allerdings über die mangelnde intellektuelle Neugierde. In Japan war er viel länger – etwa fünfeinhalb Wochen –, während er sich in China nur vier Tage aufgehalten hatte. Einstein kämpfte auf seiner Reise offensichtlich mit seinen extremen Eindrücken.

Albert Einstein: Vom Rassisten zum Menschenfreund

 

Einstein war als Privatperson ein oft unangenehmer Mensch. Wundern Sie sich da über abfällige, rassistische Aussagen? Ja, doch. Ich kenne seine Tagebücher und beschäftige mich als Archivar und Redakteur seit 30 Jahren mit seinem Nachlass, seit 16 Jahren publiziere ich seine Schriften. Diese Sätze hatte ich auch früher schon gelesen, und sie haben mich damals schon gestört. Ich habe sie aber zuerst als einen Teil seiner sehr lustigen und ironischen Sätze wahrgenommen. Erst als ich mich vor einigen Jahren intensiver mit dem Tagebuch beschäftigt und für diese spezielle Edition mit der Sekundärliteratur über Kolonialismus und Orientalismus auseinandergesetzt habe, wurde mir bewusst, wie rassistisch seine Äußerungen waren.

Aber richten wir da heute nicht allzu einfach? War das damals nicht auch der Zeitgeist?

Ich persönlich mag solche Analysen und Entschuldigungen nicht. Es gab eben auch Menschen, die sich bereits damals gegen Rassismus ausgesprochen haben.

Wie sehr spielt Einsteins Lebensgeschichte eine Rolle dabei, dass er sein Denken änderte?

Das ist schwer zu sagen. Sicher haben die Ereignisse in den USA ihn zum Nachdenken gebracht. Gesichert ist, dass sein Leben schon in den 20er-Jahren gefährdet war – es gab konkrete Todesdrohungen gegen ihn. Diese Reise nach Fernost war eine Art Flucht. Nur wenige Monate zuvor wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau – ein Jude – ermordet, mit dem Einstein einen engen Kontakt pflegte. Das zeigt, wie gefährlich die Situation schon damals in Deutschland für Juden war.

Was war für Sie in den Tagebüchern besonders überraschend? Bemerkungen, die Einstein über die orthodoxen Juden gemacht hat, die in Palästina an der Klagemauer gebetet haben. Diese bezeichnete Albert Einstein als „stumpfsinnig“.

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