Mittlerweile ist es das eigentliche Motiv der EZB geworden, die Refinanzierungskosten der hochverschuldeten Euro-Länder nicht ansteigen zu lassen, um die politische Handlungsfähigkeit dieser Länder nicht zu beinträchtigen. Aber die zentrale Aufgabe der EZB ist es nun einmal, die Geldwertstabilität zu gewährleisten.
Der Ärger der Sparer ist groß. Bei so einer Zinspolitik sehen sie ihr Geldvermögen dahinschmelzen ...
Ja, wenn die Zinsen so blieben, ist die Substanz von Geldvermögen gefährdet und Geldsparen lohnt sich dann nicht mehr.
Das ist doch grausam..
Für alle, die gegenüber Aktien Skepsis hegen, ist der Vermögenserhalt in der Tat schwierig. Aber wir müssen auch sehen: Die großen Gewinner dieser Geldpolitik sind Österreich und Deutschland. Das Geschäftsmodell dieser beiden Länder ist das exportorientierte Wachstum. Durch diese Geldpolitik hat der Euro deutlich abgewertet. Und davon profitiert in beiden Ländern die Exportindustrie – auch wenn importierte Vorprodukte teurer werden.
Sollte es in der Ukraine zu Krieg kommen und damit massive Sanktionen gegen Russland verhängt werden, droht dann der nächste Inflationsschub?
Bei einem Ausfall der Energieimporte aus Russland, würde es schon zu einem markanten Auftrieb bei den Energiepreisen kommen in Deutschland vermutlich mehr als in Österreich. Im Warenkorb, an dem Inflation gemessen wird, haben Energie-assoziierte Güter ein Gewicht von 10 Prozent. Das heißt: Würden die Energiepreise um 10 Prozent steigen, würde der Verbraucherpreisindex um ein Prozent zulegen.
Allerdings, so ehrlich sollte man sein: Ein großer Teil der Inflation, die wir jetzt haben, kommt nicht von der expansiven Geldpolitik., sondern hat angebotsseitige Gründe. Und durch eine restriktivere Geldpolitik, würden die preistreibenden Wirkungen unterbrochener Lieferketten, fehlender Container oder der Anstieg der Rohstoffkosten nicht geringer werden.
Wäre es nicht eine Idee, im Sinne der Inflationsbekämpfung, dass die Energiekonzerne ihre satten Preiserhöhungen an die Konsumenten einmal nicht weitergeben und so auf Gewinne verzichten?
Das halte ich für völlig falsch. Das gesamte volkswirtschaftliche Preisniveau durch fallweise Eingriffe zu ändern, erachte ich als eine abwegige Maßnahme. Inflation zu bekämpfen, ist nicht die Aufgabe privater Unternehmen.
Man könnte aber die Inflationswirkung bei den Betroffenen reduzieren, indem der Staat ärmere Haushalte entlastet; etwa mittels einer temporären Senkung spezifischer Abgaben, die auf Energie erhoben werden.
Nur die allerwenigsten Staaten der Eurozone halten die Defizitkriterien ein. Wozu braucht man Regeln, wenn sie kaum jemand einhält?
Dazu muss man zunächst fragen: Sind die Regeln sinnvoll? Derzeit liegen bei uns die oberen Grenzen der Staatsverschuldung bei einer Schuldenquote von 60 Prozent und eine Defizitquote von 3 Prozent.
Für diese Regeln gibt es keine ökonomische Begründung. Als man Anfang der 90er-Jahre daran dachte, eine europäische Einheitswährung einzuführen, lag der Durchschnittswert der Staatsverschuldung - mit Ausnahme Italiens - in den infrage kommenden Ländern bei 40 bis 45 Prozent und das nominale Wachstum bei 5 Prozent. Bei einem Wirtschaftswachstum von 5 Prozent und einer Defizitquote von 3 Prozent strebt der Schuldenstand immer gegen 60 Prozent.
Die Obergrenzen waren daher letztlich eine Abbildung der damaligen Verhältnisse. Aber heute haben wir andere Verhältnisse. Hinzu kommt: Regeln sind nur dann sinnvoll, wenn ihre Einhaltung sanktioniert werden kann. Und das war in der Vergangenheit faktisch nicht der Fall. Und auch heute könnte eine nachhaltige Einhaltung dieser Regeln nicht gewährleistet werden.
Können Griechenland und Italien überhaupt jemals auf die 60-Prozent Schuldenquote zurückkommen?
Das würde Jahrzehnte dauern…
Also muss man die Regeln doch ändern?
Auf absehbare Zeit erwarte ich nicht, dass die etablierten Regeln verändert werden. Dafür wird es keine Mehrheiten geben. Aber man wird die Regeln sehr elastisch interpretieren, sich also irgendwie über die bestehenden Vorgaben herummogeln und dies augenzwinkernd dulden Das Problem sehe ich anderswo: Die Kompetenz für die Finanz- und Wirtschaftspolitik liegt nach wie vor bei den Nationalstaaten. Zudem haben sich die Eurostaaten in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in den vergangenen 20 Jahren nicht wie erwartet wirklich angenähert. Es ist schwierig, für sehr unterschiedlich entwickelte Staaten gleiche Regeln zu setzen.
Das könnte man nur machen, wenn es eine zentrale wirtschafts- und finanzpolitische Institution in der EU gäbe – aber die gibt es nicht. Dafür müssen dann auch die institutionellen Voraussetzungen gegeben sein: Es muss eine Instanz da sein, die die Durchsetzung der Regeln erzwingen kann. Und derzeit haben wir das Gegenteil. Wenn die EU etwas beschließt, sagen nicht selten die nationalen Gerichte: Die EU habe hier kein Durchgriffsrecht oder ihre Kompetenz überschritten.
Gibt man ohne strikte Einhaltung der Regeln den hoch verschuldeten Staaten nicht eine Art Freibrief, dann weiter frank und frei Schulden zu machen?
Letztlich ja, aber man muss auch akzeptieren: Auf Dauer wird die Eurozone keinen Bestand haben, wenn sie keine zentrale Instanz dafür ausbildet. In Deutschland und Österreich herrscht die Angst, dass sich die EU dann zu einer Transfergemeinschaft entwickelt.
Und die befürchtete Schuldenunion…
Eine Schuldenunion haben wir ja schon. Der ESM-Rettungsschirm wurde über Gemeinschaftsanleihen gefüllt, und der Corona-Wiederaufbaufonds über Gemeinschaftsanleihen, also Eurobonds finanziert - und Österreich hat dem zugestimmt.
Aber unter der Bedingung, dass das gemeinsame Schuldenaufnehmen die Ausnahme bleibt..
Gewiss, man könnte aber auch vom Präzedenzfall reden. Eine Staatengemeinschaft kann nur zusammenwachsen, wenn es so etwas wie eine gemeinschaftliche Finanz- und Verschuldungspolitik gibt. Langfristig gesehen halte ich dies sogar aus einem geopolitischen Grund für nötig.
Warum?
Wenn sich die EU nicht zusammenschließt, wird sie gegenüber den USA und China geopolitisch eine Zwergengemeinschaft bleiben. Und Zwerge stellt man in den Garten. Wenn man will, dass europäische Interessen geopolitisch durchgesetzt werden, muss eine Gemeinschaft zusammenwachsen. Und es kann dann nicht sein, dass es eine uneingeschränkte nationale Autonomie gibt.
Für besser hielte ich es, wenn es langfristig einen europäischen Finanzminister, sogar eine europäische Armee geben würde. Denn ökonomisch und geopolitisch kann Europa langfristig nur dann bestehen, wenn es die Kleinstaaterei überwindet und sich als eine ökonomische und damit auch als politische Einheit versteht.
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