Warum die Energiepreise gerade explodieren
Gas und Strom sind in Europa so teuer wie lange nicht. Vor dem Winter wird befürchtet, dass Haushalte Rechnungen nicht bezahlen können.
Aus diesem Grund wird die am Sonntag verkündete CO2-Bepreisung von 30 Euro pro Tonne auch erst mit Juli 2022 eingeführt. Man wolle eine weitere Verteuerung vermeiden, erklärte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) gestern.
Was steckt also hinter dem aktuellen Preisanstieg - und was kann die EU tun? Am Montag wollen sich die Finanz- und Wirtschaftsminister der Euro-Länder mit dem Thema befassen.
Wie hat sich der Energiepreis zuletzt entwickelt?
Seit Anfang des Jahres steigen internationale Energiepreise rasant. Laut Simone Tagliapietra von der Denkfabrik Bruegel liegt das vor allem am Gaspreis. Der Großhandelspreis von Erdgas ist zwischen Jänner und Oktober um rund 440 Prozent gestiegen. Gas wird genutzt zum Heizen, aber auch zur Stromerzeugung - der fossile Brennstoff hat also auch Einfluss darauf, wie viel Strom kostet. In Deutschland ist Strom an der Börse seit Jänner rund 140 Prozent teurer geworden, in Italien 340 Prozent und in Spanien sogar 425 Prozent.
Was bedeuten die hohen Preise für Verbraucher?
Der Preisanstieg spiegelt sich auch in den Strom- und Heizkostenrechnungen von Haushalten wider - auch wenn noch nicht so dramatisch wie im Großhandel. Und meist auch erst mit Verzögerung, weil viele Kunden eine Preisgarantie bis Jahresende haben.
Warum sind die Energiepreise so rasant gestiegen?
Es gibt verschiedene Faktoren. Zunächst ist die Nachfrage nach Energie während der Erholung von der Coronapandemie weltweit gestiegen, da die Wirtschaft wieder mehr produziert. Gleichzeitig ist das Angebot an Energie gesunken - etwa durch Dürren in Brasilien, wo viel Strom aus Wasserkraft produziert wird. Dann war der Winter vielerorts besonders hart, wodurch Reserven geschmälert wurden. Thilo Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) weist darauf hin, dass im Sommer weniger erneuerbare Energie produziert wurde.
Darüber hinaus wird vermutet, dass große Firmen die Entwicklungen am Markt ausnutzen. Georg Zachmann von Bruegel sagt, der russische Gasproduzent Gazprom habe zwar seine Lieferverträge mit Europa erfüllt, jedoch die Nachfrage darüber hinaus trotz der attraktiven Preise nicht bedient. Damit könnte Gazprom darauf abzielen, die Preise hochzutreiben - oder Druck auszuüben, damit die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 schneller in Betrieb genommen werde.
Hat die Energiewende etwas mit dem Preisanstieg zu tun?
Kritiker machen dafür auch Klimaschutzmaßnahmen verantwortlich. Der Preis von Kohlenstoffdioxid (CO2) im Handel mit Emissionsrechten ist gestiegen, was die Energieerzeugung aus Kohle unattraktiver macht, aber auch Strom teurer machen kann, wenn es keine Alternativen gibt. Im Emissionshandelssystem der EU müssen etwa Stromanbieter für den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 zahlen. Kritiker fürchten, dass eine Ausweitung des Systems Verbraucher zusätzlich belastet. Der Handel mit Emissionsrechten ist laut Tagliapietra nur für ein Fünftel des Preisanstiegs verantwortlich. Das EU-System habe zudem dafür gesorgt, dass Kohle bei den hohen Gaspreisen keine Alternative wird - und so höhere Emissionen verhindert. Aus Sicht von Zachmann kann die Alternative nur Energieeffizienz und sauberer Strom sein.
Ist der Anstieg nur für kurze Zeit?
Politiker und Experten halten den Preisanstieg für vorübergehend. Schäfer vom IW schätzt, dass es eine Erholung geben könnte, sobald sich die Reserven wieder füllen oder Nord Stream 2 in Betrieb geht. Laut Tagliapietra könnte sich der Gaspreis bis April halbieren.
Wie reagieren die EU-Staaten?
Einige EU-Länder haben Maßnahmen eingeleitet, um Verbraucher zu schützen. Frankreich hat eine Tarifbremse für Strom und Gas angekündigt und will ärmeren Haushalten je 100 Euro zahlen. Italien will 3 Milliarden Euro ausgeben, um Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnungen zu erlassen, etwa durch Steuersenkungen. Spanien hat Maßnahmen auf EU-Ebene gefordert, etwa eine gemeinsame Plattform für Gaseinkäufe. Luxemburg macht Spekulation am Gasmarkt für den Preisanstieg mitverantwortlich und schlug eine Überarbeitung der EU-Richtlinie vor. "Wir müssen das extrem spekulative Verhalten einiger Händler unterbinden", sagte Luxemburgs Energieminister Claude Turme. Polen fordert ein Umdenken im EU-Emissionshandel.
Forderung
Mehrere Euro-Länder fordern außerdem ein gemeinsames europäisches Vorgehen gegen die massiv gestiegenen Energiepreise. Spanien, Frankreich und Griechenland machten am Montag vor Beratungen der Finanzminister der Eurozone in Luxemburg Druck zum Handeln. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire betonte, vor allem einkommensschwache Verbraucher seien "mit einem unerträglichen Anstieg der Gaspreise konfrontiert".
Die spanische Wirtschaftsministerin und Vize-Regierungschefin Nadia Calviño brachte eine gemeinsame "strategische Gasreserve" der EU ins Gespräch. "So können die 27 Mitgliedstaaten mit einer Stimme sprechen, wenn sie mit Erdgaslieferanten verhandeln", betonte Calviño unter Anspielung auf Russland.
Der französische Ressortchef Bruno Le Maire nannte den Gaspreisanstieg "brutal". Er sprach sich für eine "bessere Regulierung" und langfristige Lieferverträge aus. Dabei verwies er auf die Ankündigung der französischen Regierung von vergangener Woche, die Strom- und Gaspreise bis April einzufrieren. Angesichts der nötigen Milliarden-Investitionen in klimafreundliche Techniken sei aber auch die CO2-neutrale Atomenergie eine "Schlüssel-Antwort", betonte Le Maire.
Der griechische Finanzminister Christos Staikouras forderte ebenfalls "eine europäische Antwort" auf den massiven Energiepreisanstieg. Im September hatte sich Energie in den Euro-Ländern laut Statistikamt Eurostat im Schnitt um 17,4 Prozent verteuert, während die Verbraucherpreise insgesamt um 3,4 Prozent stiegen.
Vertreter der EU-Kommission äußerten in Luxemburg die Ansicht, dass der Preisanstieg nur "vorübergehend" sei. Auch das Bundeswirtschaftsministerium hatte am Freitag für Abwarten plädiert. Es führt laut einer Sprecherin unter anderem die wiederbelebte Weltkonjunktur nach der Corona-Krise an.
Energie ist in der EU weitgehend nationale Kompetenz. Das Thema steht wegen seiner Brisanz für Verbraucher und Industrie aber auch auf der Tagesordnung des Gipfeltreffens am 21. und 22. Oktober in Brüssel.
Was kann die EU tun?
Kurzfristig kann die EU wenig eingreifen, sagen Experten. Es liege bei den Mitgliedstaaten, die sozialen Konsequenzen abzufedern, so Schäfer. Die EU-Kommission kann laut Tagliapietra die Staaten beraten und Maßnahmen koordinieren, vor allem, um Marktverzerrung zu verhindern. Die Brüsseler Behörde hat eine "Toolbox" angekündigt, die einen solchen Leitfaden enthalten könnte. Langfristig sollte die EU ihr Klimapaket schneller umsetzen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, sind sich Experten einig. Gas billiger zu machen, löse langfristig nicht das Problem, sagt Zachmann.
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