Trotz Sanktionen: Warum Russland sein Öl wieder teuer verkaufen kann

Russisches Öl wird bei 70 Dollar pro Fass (je 159 Liter) gehandelt. Das ist der höchste Stand seit November 2022 und der höchste Stand seit der Sanktionierung durch die G-7-Staaten und in weiterer Folge die EU. Diese sollten den Preis für russisches Öl eigentlich unter 60 Dollar drücken.
Der Westen wollte erreichen, dass Russland sein Öl weiterhin verkauft, dabei aber weniger verdient. Denn täte es das nicht, käme es zu einer Knappheit am Weltmarkt und Mangel insbesondere in ärmeren Regionen, denn Russland gehört zu den Top-3-Ölproduzenten der Welt. Profitiert haben davon etwa die Türkei, China und Indien, die ihre Importe von russischem Öl deutlich erhöht haben.
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Insbesondere für Indien entstand hier ein lukratives Geschäftsfeld: Denn die EU-Staaten haben vor dem Ukraine-Krieg „enorme Mengen“ russischen Diesels importiert, sagt der Ölmarktexperte Johannes Benigni im Gespräch mit dem KURIER. Inzwischen importieren die EU-Staaten Diesel unter anderem aus Indien, denn das Land hat große Raffineriekapazitäten und kauft russisches Öl mit Preisabschlägen ein.
Dreimonatshoch
Nicht nur der Preis für russisches Öl steigt (siehe Grafik). Der Kurs der Nordseesorte Brent hat mit gut 85 Dollar sein höchstes Niveau seit drei Monaten erreicht. Ausschlaggebend dafür sind einerseits die Förderkürzungen der in dem Ölförderkartell organisierten Staaten der OPEC+, insbesondere Saudi Arabien und Russland.

Zweitens verbessern sich die Konjunktur-Aussichten wieder, insbesondere in den USA. Experten von den Großbanken Goldman Sachs und UBS erwarten, dass die Ölpreise in den kommenden Monaten weiter ansteigen. Allerdings erwarten sie keine großen Sprünge: Bis Ende des Jahres könnte der Brent-Preis auf etwa 90 Dollar steigen. Wie viel Öl in Europa kostet, liegt unter anderem auch am Euro-Dollar-Wechselkurs. Steigt der Dollar, wird das in der US-Währung gehandelte Öl teurer.
An der Tankstelle wirken sich die Schwankungen beim Ölpreis nicht 1:1 aus, denn die Spritpreise werd durch andere Kostenanteile sowie Steuerung und Abgaben stabilisiert. Der Preis von Treibstoffen schwankt zudem abhängig von den Lagerbeständen.
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Generell ist von steigenden Preisen auszugehen, meint Benigni. Insbesondere Diesel werde verstärkt nachgefragt, an österreichischen Tankstellen wären bis Jahresende Literpreise von 1,80 oder 1,90 Euro zumindest nicht verwunderlich.
Der Preisunterschied von russischem Öl zu Brent ist schrittweise auf etwa 15 Dollar geschrumpft, der „Rabatt“ fällt also immer geringer aus. Laut Benigni liegt das an der robusten Nachfrage: „Es wird alles gekauft, auch russisches Öl“.
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Vasily Astrov, Russlandexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) schätzt, dass der Preisdeckel „keinen direkten Effekt“ auf den Preis russischen Öls gehabt hat. Ausgewirkt hätte sich aber zum Beispiel das Importembargo der EU. Russland war dadurch gezwungen, neue Abnehmer zu finden und war in einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber den Käufern. Dass der Preisdeckel für Exporte in Drittländern nicht wirklich durchzusetzen sei, war für Astrov „von Anfang an absehbar“.
Denn der Zugriff erfolgt dabei über die Infrastruktur: Europäische Reeder und Versicherungen dürfen sich nur an Geschäften mit russischem Öl beteiligen, wenn der Verkaufspreis maximal bei 60 Dollar pro Fass liegt. Zwar können die G-7 und EU-Staaten Wirtschaftstreibenden in anderen Staaten keine Vorschriften machen, sie können sie aber sanktionieren.
Schattenflotte
Keinen Zugriff haben sie allerdings auf die Schattenflotte von Tankschiffen, die Russland seit dem Vorjahr auf- und ausbaut. Diese Schiffe operieren generell ohne Kenntnis des Westens und schalten beispielsweise auch ihre Ortungssysteme aus, Hinweise gibt es auch auf gefälschte Signale. Wer sie besitzt und wer sie betreibt, wird verschleiert. Schätzungen zufolge handelt es sich inzwischen um bis zu 900 Schiffen, die effektiv ohne Versicherungsschutz auf den Weltmeeren unterwegs sind. Auch andere sanktionierte Staaten wie der Iran und Venezuela haben sich in der Vergangenheit dieses Instruments bedient.
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Außerdem gibt es die Möglichkeit, Öl auf hoher See umzuladen, um die Herkunft zu verschleiern. Laut dem Recherchenetzwerk Investigate Europe beteiligen sich an diesen Manövern auch europäische Reedereien. Benigni schätzt, dass diese von Umweltschützern als riskant kritisierte Praxis zunehmen wird. Denn die Vertuschung wird ja erst interessant, wenn der Preis über 60 Dollar liegt.
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