„Vielen Staaten gefällt, was sie in China sehen“
Die USA und China sind zwar bei der Entwicklung von Technologie Europa weit voraus. Die Europäische Union hat aber über die Regulierung großen Einfluss auf die digitale Wirtschaft.
Die Rechtswissenschafterin Anu Bradford untersucht in ihrem jüngsten Buch „Digital Empires“ den Kampf um die Vorherrschaft in der digitalen Welt. Der KURIER hat mit ihr über Gewinner und Verlierer in dieser Auseinandersetzung gesprochen.
KURIER: In der EU wurde vor Kurzem das weltweit erste Regelwerk für Künstliche Intelligenz (KI) verabschiedet. Wird es eine Vorbildwirkung auf andere Märkte haben?
Anu Bradford: Künstliche Intelligenz ist sehr vielschichtig. Es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten. Nicht jedes Unternehmen wird die EU-Regeln für jedes KI-Produkt übernehmen. Aber viele werden die EU-Regeln in ihren Produkten auch in anderen Ländern der Welt anwenden.
Sie nennen das den „Brüssel-Effekt“, der es der EU aufgrund der Größe ihres Marktes ermöglicht, weltweit Standards zu setzen. Er wird also auch bei Künstlicher Intelligenz zum Tragen kommen?
Es gibt eine Reihe von Gründen, warum wir einen solchen Überlaufeffekt sehen werden. Einer ist, dass KI-Modelle, wie etwa ChatGPT, besser werden, je mehr Daten beim Training zum Einsatz kommen. Wenn also ein Modell auch mit Daten aus der EU trainiert wurde, unterliegt es den EU-Regeln. Unternehmen werden es vermutlich nicht mit weniger Daten für andere Märkte trainieren. Viele Unternehmen wissen auch, dass die Regulierung der Technologie anderswo ebenfalls bevorsteht. Wenn sie die EU-Regeln anwenden, gehen Sie davon aus, dass sie damit auch diese Anforderungen erfüllen werden.
Werden sich auch andere Gesetzgeber an den EU-Regeln orientieren?
Sie fangen sicher nicht bei null an. Die EU-Gesetzgebung ist ein umfassender Rahmen und wird in vielen Aspekten als Vorlage dienen.
Die finnisch-amerikanische Rechtswissenschafterin und Expertin für internationalen Handel forscht und lehrt an der Columbia Law School in New York. Sie ist Autorin mehrerer Bücher zur Regulierung digitaler Technologien.
Sie prägte den Begriff „Brüssel-Effekt“, mit dem sie die Übernahme europäischer Regulierungsmaßnahmen außerhalb des europäischen Binnenmarktes aufgrund der Marktmacht der EU beschreibt. In ihrem jüngsten Buch „Digital Empires“ beleuchtet sie, wie die USA, China und die EU mit unterschiedlichen Regulierungsansätzen ihren Einfluss auf digitale Märkte sicherstellen wollen.
Gilt das auch für die USA? Sie sagen, dass der US-Ansatz bei der Regulierung, der den Techkonzernen weitgehend freien Lauf lässt, an Bedeutung verliert?
Der amerikanische Wilde Westen funktioniert nicht mehr. Auch viele Amerikaner wollen mehr Regulierung der großen Technologieunternehmen. Es braucht Eingriffe, um digitale Rechte zu schützen und die Demokratie zu verteidigen. Der US-Kongress ist zwar heillos zerstritten, es herrscht aber Einigkeit darüber, dass Big Tech ein Problem ist. Die Regulierung wird aber trotzdem nur sehr halbherzig ausfallen.
Warum?
Es geschieht alles im Schatten des Technologiekriegs mit China. Die Technologiefirmen sind ein Aktivposten in dieser Auseinandersetzung. Sie haben auch viel Lobby-Macht. Sie sind für die Entwicklung von KI zentral und die USA müssen diesen Krieg gewinnen.
China setzt bei der Technologieregulierung auf staatliche Steuerung, inklusive Massenüberwachung und Zensur. Welche Rolle wird dieses Modell künftig spielen?
Vielen Staaten gefällt, was sie in China sehen. In China werden Aufnahmen vom Sturm auf das US-Kapitol im Jänner 2021 auf und abgespielt. Man sagt, dass genau das passieren wird, wenn Medien nicht kontrolliert werden. Viele autoritär geprägte Länder werden sich am chinesischen Modell orientieren. Auf der anderen Seite wird es die demokratischen Länder geben, die sich lose hinter dem europäischen Modell zusammenschließen.
Sie sagen aber auch, dass es auch in der EU mehr Regulierung von Technologie braucht.
Ich denke, dass die Europäer nicht genug tun, um ihre Regulierung durchzusetzen. Die Behörden haben zu wenig Geld und Personal. Bei Künstlicher Intelligenz stellt sich auch die Frage, ob sie genug kompetentes Personal finden werden, um die Regeln effektiv durchzusetzen. Es gibt also noch viele Herausforderungen. Bisher hat sich die EU auch zu sehr darauf verlassen, das Geldbußen ihre Wirkung tun.
Tun sie das nicht?
Die Technologieunternehmen haben so viel Geld. Sie preisen die Bußgelder ein und bezahlen sie gerne, solange sie nichts an ihrem Geschäftsmodell ändern müssen. Die neuen Digitalgesetze, das Gesetz über Digitale Märkte (DMA) und das Gesetz über Digitale Dienste (DSA) könnten das ändern, denn sie zielen auf das Herz ihrer Geschäftsmodelle, indem sie etwa Interoperabilität durchsetzen wollen und auch die Verwendung von Nutzerdaten stark einschränken.
Man hat den Eindruck, dass sich etwa Apple bei seinen Anpassungen für den App Store eher darüber lustig macht. Kann das gelingen?
Der App Store ist für Apple sehr lukrativ, also werden sie alles daran setzen, die Auswirkungen der Regulierung gering zu halten Aber ich glaube nicht, dass Apple es sich erlauben kann, alle Vorschriften zu bekämpfen. Dazu sind sie mit zu vielen regulatorischen Anforderungen konfrontiert. Die Umsetzung wird eine Zeit dauern, sie wird nicht perfekt sein, aber sie wird aber auch nicht nichts sein.
Kritiker führen ins Treffen, dass die Regulierung vor allem europäische Unternehmen in ihren Innovationen hemmt.
Regulierung ist sicher nicht immer vorteilhaft, aber das sind Innovationen auch nicht. Die Regulierung trägt dazu bei, dass es weniger schädliche Innovationen gibt. Das ist keine schlechte Sache, wenn man etwa daran denkt, wie Gesichtserkennung in China zur Massenüberwachung eingesetzt wird. Es gibt viele andere Gründe, warum sich europäische Unternehmen mit Innovationen schwer tun. Die haben mit der Regulierung nichts zu tun.
Und zwar?
Es gibt keinen wirklichen digitalen Binnenmarkt in Europa, der es Unternehmen ermöglicht, in der gesamten EU zu expandieren und eine echte Wachstumstrategie zu verfolgen. Auch der Kapitalmarkt ist nicht so gut entwickelt. Wenn Unternehmen viel Geld brauchen, müssen sie sich an US-Risikokapitalgeber wenden. Unternehmen, die scheitern werden in Europa bestraft. Auch die Einwanderungsgesetze tragen nicht dazu bei, die besten Talente für Innovationen gewinnen zu können. Das alles wäre wichtig, um sicherzustellen, dass auch der europäische Technologiesektor voranschreitet.
Wir sehen in vielen Ländern eine Tendenz in Richtung autoritärer Regime. Wie gefährlich ist das?
Für mich ist das der wichtigste Kampf. Unsere Demokratien werden zunehmend fragil. Wir haben es vor Jahren in Polen gesehen. Wir sehen es in Ungarn. Es gibt auch andere europäische Länder, in denen die Demokratie nicht sehr robust ist. Und wir sehen es in den USA. Gleichzeitig habe ich auch große Sorge über den Verlust der Demokratie durch die obsessive Macht, die Techfirmen angehäuft haben.
Die USA haben einen Export-Stopp für KI-Technologie nach China verhängt. Wie wird sich dieser Konflikt entwickeln?
Es gibt kein einziges Land auf der Welt, das technologisch unabhängig ist. US-Firmen verdienen viel Geld auf dem chinesischen Markt. Das brauchen sie, um Innovationen finanzieren zu können. Es wird keine Entkopplung der Märkte geben. Die USA werden versuchen, ihre nationalen Sicherheitsinteressen mit ihren kommerziellen Interessen in Einklang zu bringen. Phasen der Eskalation werden sich mit Phasen der Deeskalation abwechseln.
Sehen sie einen gemeinsamen Nenner bei der Regulierung von Technologie?
Im Bereich der Künstlichen Intelligenz gibt es Versuche. Denn manche Sicherheitsfragen sind universell. Weder China, noch die USA und Europa wollen, dass die Technologie in die Hände von Bösewichten gerät. Es könnte also ein gewisses Maß an Kontrolle über existenzielle Risiken geben.
Hinweis: Die Reisekosten zur Sphere Konferenz nach Helsinki wurden von WithSecure übernommen.
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