Urlaub ohne Ende: Falle für Arbeitnehmer?
„Wettbewerbsfähiges Gehalt“, „Team-Events“ oder „Weiterbildungsmöglichkeiten“ sind gängige Punkte in Stelleninseraten. Überraschend hingegen: „Unbegrenzter, voll bezahlter Jahresurlaub“. Das ist ein Benefit, mit dem sich vor allem Tech-Unternehmen aus den USA schon länger ins Licht rücken.
Ein prominenter Vertreter vom grenzenlosen Urlaub ist Netflix-Chef Reed Hastings: „Früher haben wir Menschen in Fabriken daran gemessen, wie viele Stunden sie gearbeitet haben. Heute wollen wir uns darauf konzentrieren, Ideen zu haben. Inspiration statt Überwachung.“
Der moderne Arbeitgeber
Auch die Investmentbank Goldman Sachs wirbt seit Kurzem damit, dass alle Abteilungsleiter unbegrenzt viel Urlaub nehmen können. Die Bedingung: Das Arbeitspensum muss erfüllt werden. Avanciert unbegrenzter Urlaub zur Marke des modernen Arbeitgebers?
In Österreich inseriert auch das Krypto-Unternehmen Bitpanda damit. „Unsere Motivation ist es, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei zu unterstützen, Berufsalltag und Privatleben bestmöglich zu vereinen“, sagt Magdalena Hoerhager, Leiterin für Expansion und Wachstum bei Bitpanda.
Gut angenommen
Seit Anfang April ist unbegrenzter Urlaub Teil des Unternehmens. „Bisher wurde das Angebot extrem gut angenommen, aber unsere Erfahrungswerte sind noch sehr jung. Am deutlichsten hat sich die Veränderung in der Einstellung unserer Teammitglieder geändert: Sie müssen keine Urlaubstage mehr zählen.“
Praxistest
Silvia Hruska-Frank, Bereichsleiterin für Soziales bei der Arbeiterkammer (AK) in Wien, sieht, dass gerade schnell wachsende Unternehmen ganz massiv um Arbeitskräfte ringen und mit solchen Benefits werben.
„So etwas klingt natürlich toll, den Praxistest muss es aber erst bestehen.“ Bei Dienstvertragsüberprüfungen habe die Arbeiterkammer noch nicht mit derartigen Fällen zu tun gehabt.
Menge versus Zeit
Kritisch wird das Urlaubsangebot auch von Bettina Stadler gesehen. Sie ist Mitglied des Leitungsteams der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA). „Wir betreiben viel Forschung rund um das Thema flexible Arbeitszeiten und die Ergebnisse machen mich eher skeptisch. Gerade bei flexiblen Arbeitszeiten sehen wir, dass Menschen häufiger länger arbeiten und Überstunden machen.“
Viele Menschen würden oft auch zu viel Urlaub mit ins nächste Jahr schleppen und müssen erinnert werden, diesen auch rechtzeitig zu nehmen. „Hinzu kommt auch die Entwicklung, dass Arbeit immer weniger über Zeit, sondern über die Menge gesteuert wird. Da sehen wir ganz klar eine Verdichtung der Arbeit. Mehr Arbeit soll in weniger Zeit erledigt werden.“ Mitunter sei das ein Resultat jahrelanger Einsparungen und zu geringer Nachbesetzung.
Verglichen mit anderen europäischen Ländern, arbeiten Österreicherinnen und Österreicher bei Vollzeitbeschäftigung länger als der Schnitt. Mit 38,8 Stunden pro Woche befindet sich Österreich im Drittel jener Länder, die mehr Stunden arbeiten. Das ergibt eine EU-Studie zum Thema Arbeitszeit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Der EU-27-Schnitt liegt laut Studie bei 37,8 Stunden pro Woche. Die drei Länder mit der höchsten wöchentlichen Arbeitszeit sind Malta, Griechenland und Kroatien mit je 40 Stunden pro Woche, am Ende des Rankings liegen Deutschland und Frankreich mit je 35,6 Stunden pro Woche
Marketing
An der Johannes Kepler Universität Linz setzt sich die Wissenschafterin Barbara Trost seit 40 Jahren mit der historischen Entwicklung und den Zukunftsperspektiven von Arbeitsrecht und Sozialpolitik auseinander. Sie sieht im unbegrenzten Urlaub eine Marketingmaßnahme.
„Jeder Unternehmer will Gewinn maximieren.“ Bei jedem Benefit stelle sich also die Frage, wie dieser dazu beitragen kann, erklärt die Arbeits- und Sozialrechtsexpertin. Die Trennung zwischen Arbeit und Erholung sei wichtig.
Urlaub zur Erholung
„Der Urlaub, von dem wir hier sprechen, dient der persönlichen Erholung. Es geht nicht darum, sich für anstrengende Tätigkeiten freizunehmen. Wozu wäre ich denn motiviert, wenn ich unlimitiert frei haben könnte? Vielleicht, um diverse Verrichtungen im Sinne der Familie zu machen? Da könnte man schnell in eine geschlechterdiskriminierende Falle geraten.“
Sechste Urlaubswoche
Was bleibt also? Für Hruska-Frank von der AK gehört zu solchen Maßnahmen eine Führungskultur im Unternehmen, die entsprechend sensibel ist. Ein Trend, den sie wahrnimmt: „Es gibt immer mehr Unternehmen, die die sechste Urlaubswoche schon im ersten Jahr anbieten. Das könnte der neue Standard werden.“
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