In sämtlichen Regionen des Landes „gelten den ganzen Tag über Stromverbrauchbeschränkungen“, erklärte kürzlich der staatliche Stromversorger Ukrenergo. Russische Militärblogger frohlocken seit Herbst 2022, „die Ukraine ins 19. Jahrhundert zurückzubomben“ – dass es noch nicht so weit ist, hat Kiew auch Stromimporten aus der EU zu verdanken.
Importe aus Europa
Das ukrainische Stromnetz ist seit mehr als zwei Jahren mit dem kontinentaleuropäischen verbunden. Kurz vor dem russischen Angriff wurde es testweise vom russischen Netz abgekoppelt, ein dauerhafter Inselbetrieb war aber nicht vorgesehen. Die Anbindung an das europäische Stromnetz diente vor allem der Stabilisierung, denn kleine Stromnetze sind tendenziell instabiler als große. Die Kapazitäten für den Austausch sind dabei limitiert. Die Ukraine ist nicht Teil des europäischen Strommarktes, sondern importiert lediglich zum eigenen Verbrauch. Transite, wie sie im europäischen Netzgebiet üblich sind, finden nicht statt.
Im Jahr 2023 importierte die Ukraine laut Daten des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) 722 Gigawattstunden (GWh) Strom aus der EU. Diese Menge entspricht weniger als einem Prozent der ukrainischen Stromproduktion von 96.800 GWh im Jahr 2023, sagt Leo Lehr von der Regulierungsbehörde E-Control zum KURIER.
Als es in Folge der russischen Angriffe vermehrt zum Ausfall von Kraftwerken kam, stiegen die Importe an, vor allem aus Ungarn und der Slowakei. Im laufenden Jahr summierten sie sich auf etwa 1.100 GWh. Flüsse in die Gegenrichtung gibt es inzwischen kaum noch. Zur Relation: Ein großes Donaukraftwerk produziert pro Jahr etwa 1.000 GWh Strom (bzw. 1 TWh). Im Vergleich zum gesamten EU-Strommarkt sind das aber „weiterhin eher untergeordnete Mengen“, sagt Lehr.
Stromnetz im Bunker
Negative Auswirkungen auf die Stabilität des europäischen Stromnetzes gibt es dadurch nicht, denn Stromausfälle sind auch in der Ukraine regional. Sie werden eingegrenzt, indem die betroffenen Bereiche vorübergehend abgetrennt werden, auch die Verbindungen zum europäischen Netz können gegebenenfalls getrennt werden.
Dass Strom bis in den Osten der Ukraine fließen kann, ist den befestigten Umspannwerken zu verdanken. Einerseits sind bereits Projekte im Gange, diese tief unter die Erde zu verlegen, sodass sie von Luftangriffen verschont werden. Dies kostet jedoch Zeit und Geld. Bestehende Umspannwerke werden in „Hochbunker“ verwandelt: Stahlträger und massive Betonmauern bieten Schutz gegen russische Raketen und Drohnen – zumindest hält sich der Schaden meist in Grenzen und kann nach einem Luftangriff in der Regel rasch behoben werden.
Luftabwehr essenziell
Bis Moskau seine Luftangriffe besser synchronisiert und auf die neuen Gegebenheiten zuschneidet, ist es jedoch nur eine Frage der Zeit. Nach wie vor benötigt die Ukraine vor allem eine starke Luftabwehr, will sie ihre kritische Infrastruktur schützen – und damit die Energieversorgung ihrer Bürger sicherstellen. Doch wann und wie viel Kiew erhält, entscheiden die Staaten im Westen.
Kommentare