"Schick unsere Männer zurück": Wie Putin wütende Soldatenfrauen mundtot macht
Gefunden haben sie sich online, in Chatgruppen, auf Telegram. Dort, wo sie vermeintlich anonym darüber sprechen konnten, wie grausam dieser Krieg ist, und wie allein sie sich damit gelassen fühlen. Ohne ihre Männer, Brüder, Väter, und vor allem ohne einen Staat, der ihnen zuhört.
Am Montag knieten die Frauen von „Put‘ Domoj“, dem „Weg nach Hause“, deshalb vor dem Moskauer Verteidigungsministerium. Auf ihren T-Shirts stand „Schick unsere Männer zurück“, auch ihre Kinder hatten sie mit, mit Schildern wie: „Ich will meinen Papa wieder haben“. Ein Protest, der im Russland des Jahres 2024 fast unmöglich scheint: Jede noch so leise Kritik an Putins Krieg kann im Gefängnis enden.
Mobilisierte haben kaum Rechte
Seit Herbst gibt es die Frauengruppe „Put Domoj“, und sie wächst stetig. In ihr versammeln sich Russinnen aus dem ganzen Land; manche lehnen den Krieg ab, manche sind neutral. Andere wieder finden ihn sogar gut, ebenso wie ihren Präsidenten, aber haben trotzdem denselben Wunsch wie die anderen Frauen: Ihre Männer, Brüder, Väter sollen von der Front heimkehren, endlich.
Die Männer sind allesamt Mobilisierte, also Zivilisten, die eingezogen wurden. Die, so sieht es das russische Gesetz vor, haben kaum Rechte: Sich juristisch gegen den Einberufungsbefehl zu wehren, endet meist damit, dass man erst recht in der Ukraine landet, gewaltsam und womöglich in einer noch gefährlicheren Zone als geplant. Ein Recht auf Heimkehr haben die Mobilisierten nicht: Wer freiwillig in den Krieg zieht, hat feste Vertragslaufzeiten und ein gutes Salär, rekrutierte Häftlinge erhalten sogar bereits nach sechs Monaten die Freiheit. Wehrpflichtige hingegen müssen bis zum Kriegsende dienen. Und wann das ist, weiß nur Putin allein.
Sprachrohr gegen die Ungerechtigkeit
Der Bedarf nach Bewegungen wie „Put‘ Domoj“ ist darum groß, das sieht man an den Followern. Bis zu 60.000 hatte die Gruppe zeitweilig auf Telegram, und in den Kommentaren dort ging es mitunter derb her. Anonymisiert schimpft es sich leichter auf das System, das einem die eigenen Männer nimmt.
Nach außen hin gab sich die Gruppe aber bisher bewusst zurückhaltend. In Moskau etwa begannen sie, jeden Samstag mit weißem Kopftuch rote Nelken an der Kremlmauer niederzulegen, am Grab des unbekannten Soldaten. Zudem veröffentlichten sie eine Wunschliste an den Kreml, mit der Bitte, den Kriegsdienst für Mobilisierte auf ein Jahr zu limitieren. Und Fronturlaub, das wünschte man sich auch; den bekommen Mobilisierte laut NGOs nämlich so gut wie nie.
Putins Angst vor den Soldatenmüttern aus dem Tschetschenienkrieg
Trotz ihrer Subtilität nimmt der Kreml die Gruppe aber als Gefahr wahr. Nicht wenige, die öffentlich auftraten, erhielten Besuch von der Polizei - obwohl sie sich namentlich nicht zu erkennen gaben. Zudem hat der Kreml begonnen, Gruppen wie „Katjuscha“ oder „Frauenbewegung“ zu finanzieren, die in den Medien die Werbetrommel für den Krieg rühren und öffentliche PR-Veranstaltungen organisieren. Kürzlich etwa eine Fashion-Show mit Frauen und Töchtern von Soldaten, die unter dem Motto „Ich warte - ich liebe“ Tarnkleidung präsentierten.
Damit zieht der Kreml seine Lehren aus den Tschetschenienkriegen, in denen sich Soldatenmütter mit der Staatsmacht anlegten. Weil die Behörden in den 1990ern keine Informationen über Gefallene und Verschollene im Kaukasus preisgaben, fuhren die Mütter auf eigene Faust nach Tschetschenien und suchten nach ihren Söhnen, verhandelten sogar mit den Separatisten. Viele Kriegsgefangene kamen so frei, der Kreml war bloßgestellt.
Jetzt sind sie "ausländische Agentinnen"
Im Zweiten Tschetschenienkrieg wurden die Soldatenmütter schon massiver bedrängt, da war auch schon Wladimir Putin Präsident. Heute wären Eigeninitiativen wie damals ohnehin undenkbar, denn dafür wird vorgesorgt: Vor einigen Tagen wurde „Put‘ Domoj“ vorsorglich zum „ausländischen Agenten“ abgestempelt. Das ist jenes Register, in dem der Kreml alle angeblich „staatsfeindlichen“ Akteure listet, die er als Marionetten des Westens diffamiert. Wer darauf landet, muss ständig all seine Finanzen offenlegen, und jede öffentliche Äußerung muss mit dem Label „Diese Organisation ist ein ausländischer Agent“ versehen werden. Andernfalls droht das Gefängnis.
„Put‘ Domoj“ lässt sich damit aber nicht den Mund verbieten. „Wir wurden noch nie von jemandem finanziert. Trotzdem sind wir jetzt Feinde des Regimes. Es wird immer absurder“, posteten die Frauen. Auch bei ihrer Protestaktion am Montag stritten sie offensiv mit den Polizisten an, die ihretwegen gerufen worden waren.
Danach schrieben sie kämpferisch: „Es ist eine Schande. Wir haben zwar vor dem Ministerium gekniet, aber in Wahrheit ist es der Staat, der auf den Knien ist."
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