Statistiker: "Haufenweise Gifte in und um uns"

Die Natur werde verharmlost, "Künstliches" zu kritisch betrachtet, sagt Krämer.
Statistikprofessor Walter Krämer kritisiert die Panikgesellschaft, die sich vor dem Falschen fürchtet.

Der deutsche Bestsellerautor Walter Krämer ärgert sich über Fortschritts- und Technikfeindlichkeit. Er lehrt auch in Wien und findet, dass es den Österreichern besser geht als den Deutschen.

KURIER: Soeben hat Greenpeace gefordert: "Antibiotika-Einsatz jetzt reduzieren". Sind Antibiotika im Essen eine Gefahr?

Walter Krämer: Ich bin kein Lebensmitteltoxikologe, sehe aber immer dasselbe Muster: Man sagt "Ätsch, ich hab’ etwas gefunden." Das wäre nur eine Meldung wert, wenn tatsächlich kritische Schwellenwerte überschritten sind. Es wird die Existenz als Meldung verkauft. Aber jedes Gift und jeder göttliche Stoff ist überall vorhanden.

Göttlicher Stoff?

Der Körper jedes erwachsenen Mitteleuropäers enthält mindestens ein Molekül von Jesus Christus. Göttliche und giftige Stoffe sind haufenweise in und um uns. Da die Analysemethoden immer feiner werden, kommt immer mehr ans Tageslicht.

In der weltweiten Landwirtschaft sind riesige Monokulturen entstanden, dafür braucht es mehr Pestizide. Ist die Branche nicht in einer Schieflage?

Das bestreite ich nicht. Sollte sich ergeben, dass Schäden entstehen, die man bisher übersehen hat, dann ist das ein Grund zur Sorge. Diese sorgfältige Analyse vermisse ich aber bei den meisten Panikmachern.

Profitiert nicht letztlich auch die Lebensmittelindustrie von dieser Panik, weil sich ihre Bio-Produkte gut verkaufen?

Statistiker: "Haufenweise Gifte in und um uns"
Interview mit Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund, am 17.11.2015 in Wien.
Ja, Bio-Nahrungsmittel sind in der Regel teurer, wenn auch nicht gesünder. Es gibt eine todsichere Methode, wie Sie sich umbringen können: Essen Sie zwei Kilo ungeschälte Bio-Kartoffeln. Sie enthalten Solanin, ein natürliches Gift der Kartoffel-Augen. Die Abwehrstoffe der Natur stellen alle künstlichen weit in den Schatten. Nur 0,01 Prozent aller Schadstoffe werden durch die Bauern, den Handel, durch Verpackung und Transport hinzugefügt.

Sind die Österreicher genauso panisch wie die Deutschen?

Ich habe Zeitungen nach Panik-Artikeln ausgewertet und auch den KURIER untersucht. Sie haben nur halb so viele Panikartikel wie zum Beispiel die Frankfurter Rundschau. Ich vermute, weil die Österreicher katholisch sind. Die übelsten Fanatiker sind alle evangelisch. Das ist die Gesinnungsethik: "Hier stehe ich und kann nicht anders."

Momentan verdrängt die Terror-Angst andere Ängste.

Diese Angst ist nicht übertrieben, wenn man den Terror als Anschlag auf unser westliches Leben betrachtet. Die Terroristen haben 150 Leute in Paris umgebracht. Und 200 bei einem Anschlag auf ein Flugzeug in Ägypten. Für die Betroffenen ist das eine Tragödie – für die Gesellschaft als Ganzes aber entspricht das einem längeren Osterwochenende auf deutschen Autobahnen. Die Angst, bei einem Terroranschlag umzukommen, ist überflüssig. Wir fürchten uns vor den falschen Dingen.

Wovor muss man Angst haben?

Zum Beispiel vor dem Straßenverkehr oder vor Krankenhauskeimen.

Und Gentechnik?

Die psychopathische Angst vor der grünen Gentechnik geht mir so was von am Geist! Was macht denn ein Pferdezüchter? Der macht das Ganze langsamer. Der Gregor Mendel hat schon mit Kreuzungen begonnen.

Warum die große Skepsis?

Wären wir in der Schweiz, würde ich es das "Heidi-Syndrom" nennen: Wer die heile Welt der Alm und der Kuh angreift, greift die nationale Marke an.

Atomkraft lehnen wir in Österreich auch ab.

Nachdem man einmal so eine kostspielige Entscheidung getroffen hat – ein fertiges AKW nicht ans Netz gehen zu lassen –, muss man das gut finden. Und Sie haben es ja auch nicht dringend nötig, weil Sie Alternativen wie die Wasserkraft haben.

Fukushima hat Ihre Meinung nicht geändert?

Das ist sogar ein Argument für die Atomtechnik. Selbst ein derartiger Tsunami, den es ja in Europa nie gegeben hat, hat keinen einzigen Todesfall im AKW verursacht, während 20.000 durch die Flut und das Erdbeben umgekommen sind.

Man weiß aber, dass nach einem Atomunglück Leute an Leukämie sterben, etwa in Tschernobyl.

Statistiker: "Haufenweise Gifte in und um uns"
Interview mit Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund, am 17.11.2015 in Wien.
Das waren etwa 100. Aber selbst seriöse Medien entblöden sich nicht, sämtliche Krebstote der Ukraine, die es seither gab, dem Kernkraftwerk in die Schuhe zu schieben. Es sterben mit und ohne Kernkraft ein Drittel aller Menschen an Krebs.

Sie haben den Ökonomen-Aufruf gegen die Euro-Rettungspolitik unterschrieben. Hätte man Griechenland und ein paar Banken pleitegehen lassen sollen?

Ja unbedingt. Wir haben jetzt das dritte Rettungspaket, und in fünf Jahren das sechste oder siebente. In Amerika sind von den dortigen 5000 Banken ungefähr 300 bis 400 pleitegegangen – auch nach der Krise. Das wurde problemlos geschluckt.

Die Lehman-Pleite nicht.

Ja, aber bei den nachfolgenden Pleiten wusste man, wie man darauf reagiert. Europa hatte gleich viel Banken wie die USA: Von 5000 sind nach der Krise aber nur 30 bis 40 Banken pleitegegangen.

Aber in den USA wurde riskiert, dass Leute – etwa durch die Verluste der Pensionskassen – wirklich arm werden.

Stimmt, das muss ich als Liberaler zugeben. Ein Mindestbetrag sollte auf jeden Fall gesichert sein. Aber wir haben auch russische Ölmilliardäre gerettet, die ihre Rubel in Zypern für 7 Prozent als Festgeld angelegt haben. Das ist doch bekloppt!

Was halten Sie von der EZB-Geldschwemme?

Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Es gab noch nie in der Geschichte eine große Inflation ohne Geldvermehrung.

Deutschland geht’s dennoch ziemlich gut.

Das wird den Leuten nur eingeredet, weil wir Arbeit haben. Es wird ihnen aber nicht gesagt, dass sie umsonst arbeiten. Wir sind Exportweltmeister, kriegen aber nur Papierschnitzel dafür. Inzwischen haben wir sechs Billionen Euro ausstehende Forderungen an das Ausland. Einen großen Teil davon werden wir nie wiedersehen. Die Griechen werden ihre Schulden nie zurückzahlen, detto die Portugiesen und Spanier.

Aber im Vergleich zu Österreich machen es die Deutschen doch eigentlich nicht so schlecht?

Nein. Gehen Sie einmal durch Wien und Hamburg. Wo geht’s den Leuten besser? Natürlich in Wien! Die Geschäfte sind voller, die Leute sehen glücklicher aus, das Wetter ist besser, und man kann für 20 Euro besser essen gehen als in Hamburg. Das Bruttoinlandsprodukt ist irreführend, weil ja nur gemessen wird, was produziert, und nicht, was konsumiert wird.

Was halten Sie von Angela Merkels Flüchtlingspolitik?

Ich hoffe, sie hat eingesehen, dass das Stuss ist. Weltweit gibt es sieben Milliarden Menschen. Nach Angela Merkel hätten fünf Milliarden davon einen Rechtsanspruch, sich in Deutschland niederzulassen.

Walter Krämer: Streitbarer Ökonom

Der 66-Jährige ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik in Dortmund und hat sich an der TU Wien habilitiert. Am Dienstag referierte er in Wien. Echte und eingebildete Gefahren sind sein Spezialgebiet. Im Buch „Die Angst der Woche“ kritisiert Krämer die Allianz aus „Ökoaktivisten, Pfarrern, Politikern und Journalisten“, die es geschafft habe, dass die Deutschen neue Technologien nur noch als Risiko betrachten. Gemeinsam mit Forscher-Kollegen veröffentlicht er regelmäßig die „Unstatistik des Monats“. Als Mitstreiter von Hans-Werner Sinn hat er die Euro-Rettungspolitik kritisiert.

Bei chemischen Analysen wurden in Himbeeren über 100 giftige Substanzen gefunden. Keine Pflanzenschutzmittel, sondern natürliche Substanzen. Trotzdem warnt niemand vor dem Verzehr von Himbeeren. Mit modernen Analysemethoden werden auch minimale Spurenelemente erfasst. Ob eine Gesundheitsgefährdung besteht, ist eine Frage der Dosis. Die gesetzlichen Grenzwerte betragen ein Hundertstel jener Menge, die als gesundheitsgefährdend ermittelt wurde, betonte Gaby-Fleur Böl vom Bundesinstitut für Risikobewertung bei einer Veranstaltung der Industriegruppe Pflanzenschutz.

Beim Streit um Lebensmittelsicherheit geht es aber nicht nur um Gesundheit, sondern auch um Marktanteile. Ein Beispiel dafür ist die Aufregung um überschrittene Grenzwerte bei Pestiziden in der Babynahrung eines deutschen Herstellers. Ein Konkurrent hat die Medien informiert. Die deutschen Grenzwerte sind aber wegen „politischer Vorgaben“, so die deutsche Wochenzeitung Die Zeit, um das Zehntausendfache niedriger als die gesundheitsschädliche Dosis. Würde man Babynahrung daheim selbst herstellen, wäre sie jedenfalls deutlich „giftiger“.
A.AN.

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