Sozialversicherung mahnt Beiträge von Selbstständigen ein
Während viele Ein-Personen-Unternehmen ums finanzielle Überleben kämpfen, beendet die Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) dieser Tage ihren Mahnungsstopp und beginnt mit dem Eintreiben von gestundeten Beiträgen. SVS-Obmann Peter Lehner will die Versicherten daran erinnern, dass soziale Absicherung auch etwas kostet. Viele würden sonst den „Kopf in den Sand stecken“ und hätten später ein böses Erwachen, sagt er im KURIER-Interview.
KURIER: Der anhaltende Lockdown bringt viele Selbstständige an ihre finanziellen Grenzen. Gerade jetzt beginnt die SVS mit dem Verschicken von Mahnschreiben, um ausständige Beiträge nachzufordern. Warum?
Peter Lehner: Wir gehen hier sehr vorsichtig vor. Es geht vor allem um die Stundungen, die noch aus Vor-Corona-Zeiten stammen. Jetzt geht es aber darum, die Wirtschaft ein Stück weit ins normale Leben zurückzuführen, um längerfristig eine soziale Absicherung gewährleisten zu können. Das geht nur, wenn Sozialversicherungs-Beiträge gezahlt werden.
Die meisten Stundungen wie Mieten, Kredite oder Steuern laufen frühestens im März aus. Warum beginnt die SVS schon im Jänner mit den Mahnungen?
Wir haben hier als Selbstverwaltung eine andere gesetzliche Regelung. Es geht um Pensionsmonate und da können wir als Versicherung nicht sagen, wir verzichten jetzt auf ein ganzes Jahr an Beiträgen. Wir müssen die Rückstände sozusagen in eine soziale Normalität bringen. Die Mahnung ist der Aufruf, sich bei der Versicherung zu melden, um individuelle Lösungen im Interesse beiderlei Seiten zu finden.
Welche individuellen Lösungen sind da gemeint?
Das kann eine neuerliche Stundung, eine Ratenzahlung oder Herabsetzung der Beitragsgrundlage sein.
Die Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) entstand 2020 aus der Fusion von Bauern- (SVB) und gewerblicher Versicherung (SVA) und zählt 1,2 Millionen Versicherte. Sie umfasst Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung
Der Welser ÖVP-Wirtschaftsstadtrat Peter Lehner (51) ist seit Anfang 2020 SVS-Obmann. Seit Jahresbeginn bis Ende Juni 2021 ist er als Arbeitgeber-Vertreter turnusmäßig wieder Vorsitzender des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger
Kommt es zu keiner Lösung, wird dann gleich ein Insolvenzantrag gestellt?
Nur als letzte Konsequenz. Unser Ziel ist es, individuell gute Lösungen etwa mit neuen Zahlungsvereinbarungen zu finden und nicht, eine Pleitewelle auszulösen. Wir wollen aber auch ein Bewusstsein für die soziale Absicherung in der Zukunft schaffen. Es geht darum, dass die Versicherten nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern eine unternehmerische Perspektive für die Zukunft entwickeln. Leider ist es oft die Sozialversicherung, die aufzeigen muss, dass die unternehmerische Rendite nicht reicht, um auf Dauer die Kosten zu tragen. Sozialversicherungsbeiträge sind halt nicht einfach wegzudiskutieren.
Die verschobene Insolvenz schädigt nicht nur den betroffenen Unternehmer, sondern auch das wirtschaftliche Umfeld.
Die SVS könnte damit vorzeitig die Pleitewelle auslösen?
Nein, wir wollen keine Pleitewelle auslösen, sondern die Ausstände aus der Vor-Corona-Zeit in einer Art und Weise zurückbringen, damit es nicht später ein noch böseres Erwachen gibt. Viele Pleiten wurden durch die Corona-Hilfen ja nur aufgeschoben. Das Schlimmste wäre, wenn jetzt alles auf einmal schlagend wird für die Betroffenen und die Gesamtwirtschaft. Unser Ziel ist es, für alle, die Perspektiven haben, diese zu erarbeiten und für die, die wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, ihr Unternehmen weiterzuführen, Klarheit zu schaffen. Das gehört zu unseren unangenehmen Aufgaben, die leider nicht vermeidbar sind.
Wurden mit den Corona-Hilfen zu viele Firmen künstlich am Leben erhalten?
Die verschobene Insolvenz schädigt nicht nur den betroffenen Unternehmer, sondern auch das wirtschaftliche Umfeld. Da gibt es einen großen Kollateralschaden. Für uns stellte sich daher die Frage: Machen wir da ewig mit oder suchen wir einen Weg, der sowohl für die Versicherten als auch für die gesamte Versicherungswirtschaft vernünftig ist.
Um welche Summen geht es hier? Wie hoch belaufen sich die Stundungen derzeit für die SVS? Bei der ÖGK war zuletzt von immerhin 1,1 Milliarden Euro die Rede.
Wir sind hier mit Zahlen sehr zurückhaltend, weil laufend aktualisiert werden muss. Die letzte Zahl beläuft sich auf 167 Millionen Euro. Das ist mehr als doppelt so hoch als 2019.
Die SVS erwartet für heuer ein Defizit von 19,6 Millionen Euro. Wie schauen die Prognosen für die nächsten Jahre aus, wenn sich die Krise erst richtig auswirkt?
Bis 2024 gibt es eine Prognose von 30,2 Millionen Euro.
Sind da die zu erwartenden Ausfälle bei den Stundungen schon mitberücksichtigt?
Ich bin da grundsätzlich der Meinung, dass der Staat allen fünf Sozialversicherungsträgern die uneinbringlichen Stundungen refundieren soll. Wie hoch die Beträge sein werden, werden wir wohl erst in den nächsten Jahren wissen. Unabhängig davon, ob der Bund einspringt, entbindet uns das aber nicht von der Verantwortung, dass wir jetzt mit den Mahnungen beginnen und schauen, dass die Versicherten auf einer soliden Basis stehen, um auch weiterhin zu Überleben.
Aber ist es auch wirtschaftlich erforderlich? Die SVS sitzt wie die ÖGK auf hohen Rücklagen.
Die SVS steht stabil da. Wir haben im Vorjahr sogar unsere Leistungen erweitert, etwa mit Zuschüssen zur Psychotherapie oder im Bereich Prävention. Derzeit sehen wir uns daher durchaus in der Lage, die Coronakosten aus unserer Rücklage zu tragen. Dazu gibt es ja die Rücklage, die derzeit rund 400 Millionen Euro beträgt. Ich weiß aber nicht, was auf die SVS in den nächsten drei bis vier Jahren zukommt, so lange die Krise und ihre Folgen noch andauern.
Sind auch Leistungskürzungen geplant, wenn die Einnahmen sinken?
Ein klares Nein sowohl zu Leistungskürzungen als auch zu möglichen Beitragserhöhungen. Beides kommt für uns nicht infrage. Im Gegenteil, wir weiten die Leistungen etwa im Bereich Prävention aus und treiben die Digitalisierung voran.
Die SVS steht stabil da. Wir haben im Vorjahr sogar unsere Leistungen erweitert, etwa mit Zuschüssen zur Psychotherapie oder im Bereich Prävention.
Bauern- (SVB) und gewerbliche Versicherung (SVA) agieren trotz Zusammenlegung zur SVS noch immer ziemlich eigenständig. Wann wird die Fusion abgeschlossen?
Die Systeme sind zusammengeführt, die wechselseitige Beratung schaffen wir aber derzeit noch nicht. Es kann also nicht jeder SVS-Mitarbeiter auch alle Versicherten beraten, weil die Beiträge und Pensionsberechnungen bei den Bauern doch ganz anders sind als bei den Selbstständigen. Aber das ist unser Ziel. Wir sind auch dabei, weitere Standorte zusammenzulegen.
Weil viele Selbstständige mit den Covid-Hilfen allein nicht über die Runden kommen, fordert die Grüne Wirtschaft einen leichteren Zugang zur Arbeitslosenversicherung. Ihre Meinung?
Das ist eine rein politische Diskussion, da mische ich mich nicht ein.
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