Digitalisierung in Österreich: "So gut, wie wir dachten, sind wir nicht"
Noch zehren wir vom guten Ruf: Österreich war einst Vorreiter beim E-Government und galt als Wirtschaftsstandort mit gutem Bildungssystem und Top-Fachkräften. Doch die Pandemie hat den Nachholbedarf in allen Bereichen schonungslos aufgezeigt.
Darüber sprachen wir im KURIER-Stadtstudio mit den Top-Managern von Cisco Austria und Arthur D. Little, Hans Greiner und Maximilian Scherr, sowie dem Chef des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, Franz Schellhorn.
Franz Schellhorn, Hans Greiner und Maximilian Scherr zu Gast im Checkpoint bei Martina Salomon
Dieser geht vor allem mit der Verwaltung hart ins Gericht: "Wir dachten, eine teure, aber funktionstüchtige Verwaltung zu haben. Doch der Staat ist nicht so gut, wie wir immer geglaubt haben." Lediglich im Bereich der Finanzverwaltung sei man voran, sonst aber nirgendwo.
Digitalisierung werde in vielen Bereichen der Verwaltung nicht als Chance, sondern eher wie eine Naturkatastrophe betrachtet, vor der man sich schützen müsse. Im Klartext heißt das: "Man trägt lieber Zettel rum, damit ja keine Stellen verloren gehen – ein sehr österreichischer Ansatz", meint Schellhorn spitz. Darum seien die Behörden in der Pandemie oft nicht einsatzfähig gewesen: "Die Mitarbeiter von Ministerien saßen im Homeoffice, hatten keinen Zugang zu Servern und konnten daher nicht von außen arbeiten, wie das in den Firmen üblich war. Das darf sich nicht wiederholen."
Überfälle aus dem Darknet
Sind wir denn für die nächste Krise gerüstet? Nicht gut genug, meint der auf digitale Transformation spezialisierte Berater Scherr. Er und Greiner von Cisco machen auf einen besonders wunden Punkt aufmerksam: Firmen würden am falschen Platz sparen, wenn sie sich nicht auf Cyberattacken vorbereiten würden. Solche "Überfälle" könne man mittlerweile im Darknet kaufen. Erpresser verlangen hohe Summen, damit Firmen die Herrschaft über ihre digitale Infrastruktur zurückerhalten.
Und was kann die Politik für die Krisenfestigkeit des Standortes tun? Als Dienstleister sei der Staat schlecht, meint Schellhorn. In seiner Funktion als Sicherungsinstrument habe er in der Pandemie aber funktioniert. Hätte der Staat nicht (etwa mit Kurzarbeit) interveniert, wären die Einkommen um zehn Prozent gesunken. Tatsächlich waren es nur eineinhalb bis zwei Prozent.
Von kleinen Ländern lernen
Alle drei Gesprächspartner vermissen eine klare Digitalisierungsstrategie. So habe sich beispielsweise Griechenland vorgenommen, vom Schlusslicht in eine Mittelposition zu kommen, sagt Schellhorn. Estland sei im Bildungsbereich sogar bereits führend, ähnlich Holland. "Man kann sich von diesen kleinen Ländern etwas abschauen."
Im Lockdown habe man extreme Qualitätsunterschiede bei den Schulen gesehen, wirft Greiner ein. "Wir müssen diesen Institutionen helfen, sich auf die neue Situation einzustellen." In den Schulen gehe es nicht nur um teure Endgeräte, sondern auch um Inhalte und Lehrer-Coaching: Es brauche einen fundamentalen Kulturwandel, und zwar schnell.
Digitalisierung eröffne auch in der Schule ganz neue Dimensionen, sagt Scherr. "Wir haben bei Arthur D. Little mit einem Start-up zusammengearbeitet, das mit Augmented Reality-Brillen ermöglicht, dass Schüler quasi durch Atome durchspazieren. Eine ganz andere Art zu lernen. Das kriegt man mit einem normalen Schulbuch so nicht hin. In Südkorea lernen Schüler Programmieren über Gaming."
Außerdem wäre die Digitalisierung ein "Hebel" um die soziale Kluft zwischen den Schülern wieder schließen zu helfen, meint Schellhorn. Wobei man grundlegende Probleme nicht vergessen dürfe: "Wenn 20 Prozent der Pflichtschulabgänger nicht sinnerfassend lesen können und die Grundrechenarten nicht beherrschen, dann wird es schwierig. Weil das braucht man auch in der digitalisierten Welt von morgen."
"Wie können wir die Digitalisierung im Bildungswesen noch schneller, noch effizienter aufsetzen und umsetzen?", fragt Greiner. Und er antwortet sich gleich selbst: "Besser eine Stunde Latein für eine Stunde digitale Grundausbildung opfern – und 18-jährige motivieren, in diese Studienrichtung zu gehen, statt sie als Nerds zu betrachten. Da geht es auch um Leadership in den Schulen."
Die Politik müsse die Digitalisierung insgesamt beschleunigen: "Einen vernünftigen Breitbandzugang zu bekommen, muss bis in den hintersten Winkel Österreichs möglich sein", sagt der Chef von Cisco, über das weltweit 80 Prozent des Internet-Traffics abgewickelt werden.
Auch in den Unternehmen reiche es keineswegs, nur einen Chief Digital Officer einzusetzen, um die Firma zu digitalisieren, sagt Scherr. "Das funktioniert nur quer durch die Bank. Ich muss von Einkauf, über strategische Planung, Produktion, Marketing und Vertrieb alle einbinden." Dann werde man auch leichter Fachkräfte finden – was momentan sehr schwierig ist, wie auch der Cisco-Chef erzählt.
Talente werden abgesaugt
Weltkonzerne wie Google können sich die größten Talente in internationalen Programmier-Wettbewerben aussuchen – während in Österreich Konzerne eher als "böse" gelten, so Schellhorn. "Damit profitiert Google auch von den besten Bildungssystemen der Welt", gibt Scherr zu bedenken. Mit ihren Start-ups haben US-Internet-Giganten bereits die Wohlstandsgeneratoren der nächsten Generation in ihren Unternehmen. "Diese digitalisierte Dienstleistung wird nicht mehr in Europa stattfinden. Das bereitet mir Sorge", sagt Scherr: "Es geht um dieses Start-up-Denken, den größeren Hunger, die höhere Geschwindigkeit. Da müssen wir auch die eigenen Unternehmen in die Pflicht nehmen."
In den USA sei dies leichter, wendet Schellhorn ein, weil es eine positive Einstellung zum Unternehmertum gebe, man Risiko nehmen und auch scheitern und es wieder neu probieren dürfe. "Ein Riesenunterschied zu uns." Aber wie kriegen wir Hochqualifizierte, etwa Artificial-Intelligence-Experten, nach Österreich? Nicht nur mit dem schönen Rauschen der Krimler Wasserfälle, meint Schellhorn, sondern auch zum Beispiel mit einem niedrigeren Steuersatz, wenigstens vorübergehend – ein 55-prozentiger Höchststeuersatz wirke abschreckend.
Österreich habe zwar ein Wirtschafts- und Digitalisierungsministerium, könne aber, weil es eine Querschnittsmaterie sei, nicht wirklich durchgreifen, sind sich die Herren einig. Greiners Fazit: Quer über die unterschiedlichen Ressorts hinweg müsse man die einzelnen "Silos" niederreißen.
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