Theoretisch sollte Russland sein Öl nämlich um maximal 60 Dollar pro Fass verkaufen können. Hinter der Maßnahme steht die Annahme, dass die Exporte des je nach Jahr zweit- bis drittgrößten Ölproduzenten am Weltmarkt (der größte sind die USA, Anm.) nicht ersetzt werden können. Der Westen wollte erreichen, dass Russland sein Erdöl zwar exportiert, damit aber weniger verdient. Wer russisches Öl transportiert oder versichert, das teurer gekauft wurde, sollte sanktioniert werden. Insbesondere China und Indien haben in Folge vermehrt billig russisches Öl eingekauft. Die Preisdifferenz von zeitweise bis zu 20 Dollar ist in den vergangenen Monaten aber geschwunden (siehe Grafik).
Für den Ölmarktexperten Johannes Benigni hat das zwei Gründe. Zum einen sei die Nachfrage derzeit höher als die Produktion. Weltweit betrachtet würden die Lagerbestände um etwa eine Million Fass pro Tag sinken, denn wichtige Förderstaaten in der OPEC+ haben ihre Produktion gekürzt, um die Preise zu stützen. Die europäische Industrie mag Konjunktursorgen haben, in Asien sei davon aber wenig zu spüren, sagt Benigni. Ist der Markt also unterversorgt, sinken auch die Abschläge für Öl aus sanktionierten Staaten wie Russland. Das sei etwa auch bei Venezuela zu beobachten gewesen.
Der zweite Grund ist politischer Natur: Die Sanktionen im Ölsektor werden nicht wirklich durchgesetzt. „Wenn sie wollten“ könnten die USA deutlich mehr Druck machen, ist Benigni überzeugt. Auch große Marktteilnehmer würden irgendwann die Finger von russischem Öl lassen, wenn sie zum Beispiel befürchten müssten, dass ihre Dollarzahlungen (Öl wird in Dollar gehandelt, Anm.) eingefroren werden.
„Ich glaube, dass die Schraube von den Amerikanern nicht enger gedreht wird, weil Wahlkampf ist“, sagt Benigni zum KURIER. Denn wenn es durch die Sanktionen dazu kommt, dass die weltweite Öl-Verteilung behindert wird, würden absehbarerweise die Ölpreise steigen – und damit auch die Spritpreise für die amerikanischen Wähler.
Russisches Erdgas in der EU
Weniger gut läuft es für Russland bei den Gasexporten. Denn anders als beim Öl können die Lieferungen nicht so einfach umgeleitet werden. Ein Gutteil der Exporte zum Hauptkunden Europa erfolgte über Pipelines, Russland hat nicht ausreichend Verflüssigungsanlagen, um die Mengen an andere Abnehmer zu bringen. Gazprom schrieb deswegen erstmals seit 25 Jahren Verluste. Allerdings, auch hier zeigt sich für die russische Staatskasse ein Hoffnungsschimmer, denn die Exporte nach Europa steigen wieder. Rechnet man die Einfuhren von russischem Flüssiggas sowie über die Pipelines durch die Ukraine und die Türkei zusammen, war das Land laut Daten des Brüsseler Thinktanks Bruegel im zweiten Quartal der zweitgrößte Gasliefeant der EU nach Norwegen, noch knapp vor den USA.
Dass sich die EU erstmals auf Sanktionen gegen russisches Flüssiggas geeinigt hat, ändert daran übrigens nichts. Denn betroffen sind davon nicht die eigenen Importe, sondern nur die Importe in Drittstaaten.
Insgesamt haben die Einnahmen aus Öl und Gas im laufenden Jahr ein Drittel zum föderalen Budget Russlands beigetragen, sagt Astrov. Öl ist dabei deutlich wichtiger, normalerweise etwa im Verhältnis drei zu eins. Das ist etwas weniger als vor dem Krieg, da waren es etwa 40 Prozent. Rechnet man die Budgets der Regionen ein, etwa ein Viertel des Staatshaushaltes.
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