Philosoph Anders: "Brauchen neues Betriebssystem für Wirtschaft"
Er gilt als Rockstar unter den Philosophen und immer mehr Menschen hören ihm zu: Der Norweger Anders Indset beschäftigt sich für seinen Denkansatz der "Quantenwirtschaft" mit Systemen und Technologien von morgen und verbindet sie mit der Philosophie.
Ökologischer Kollaps, Konsum, Ressourcenverbrauch: Geht es nach ihm, muss die Wirtschaft neu gedacht werden und eine Bewusstseinsrevolution einziehen, denn die wahre Digitalisierung stehe uns erst noch bevor.
KURIER: Sie gelten als Wirtschaftsphilosoph, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Kürzlich sagten Sie etwa „Wir machen uns selbst überflüssig“. Wie kommen Sie zu der These?
Anders Indset: Roboter werden immer präziser, liefern punktgenaue Analysen und Datenbanken horten mehr Wissen, als wir uns je aneignen können. Wir brauchen ein neues Betriebssystem für die Wirtschaft. Wenn bald der digitale Tsunami kommt, werden wir Chaos erleben, denn die intelligenten Systeme werden besser sein, als wir Menschen es je sein können. Viele werden dann keine Arbeit mehr haben, das betrifft nicht nur Billiglohnjobs, sondern auch hoch qualifizierte Berufe wie Juristen oder Mediziner.
Dabei waren Sie selbst Unternehmer, haben Firmen aufgebaut. Kann eine Wirtschaft bestehen, ohne Arbeitskräfte?
Die Hoffnung der Politik und vieler Experten ist, wir schaffen viele neue Jobs – aber ich erkenne nicht, welche das sein werden, die die Masse der wegfallenden Jobs kompensieren können.
Ich war selbst Hardcore-Kapitalist, habe in Anzug und mit Krawatte gelebt, viel Geld verdient und auch viel verloren. Dabei habe ich erkannt, dass wir eine stabile Wirtschaft brauchen, um gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern. Das bedeutet in Zeiten von ökologischem Kollaps und Ressourcenverbrauch: Wir müssen die Wirtschaft neu denken. Die Old Economy ist tot und die New Economy aus den 90ern mit dem Versprechen von Ferraris und Yachten für alle kann es niemals geben.
KURIER Talk mit Anders Indset
Welche Lösung gibt es dann?
Technologie ist alles, worum es geht. Aber wir müssen sehen, wie wir Menschen mit Technologie verbinden, intelligente Systeme erschaffen, die wir wirklich brauchen, und wie wir einen humanistischen Kapitalismus entwickeln können.
Intelligente Systeme können nur so gut sein, wie die Informationen, mit denen sie gefüttert werden. Global gesehen sind die Daten aber in keinem guten Zustand.
Das stimmt, aber es wird besser werden, viel besser. Heute sind Technologien von Kinderkrankheiten geprägt und es herrscht Chaos. Bald werden wir überall Sensoren haben, die Daten an wenige große Unternehmen wie Alibaba, Google & Co. senden, die darauf ihre Produkte und Systeme aufbauen.
Das klingt nach einem Kampf David gegen Goliath. Wie können klein- und mittelständische Unternehmen da überhaupt mithalten?
Gar nicht. Aber sie können eigene intelligente Systeme aufbauen und diese Datenpools nutzen, auf ihnen aufsetzen. Statt gegen die Großen zu kämpfen zählt Kooperenz, also Kooperation und Konkurrenz.
Die großen Unternehmen werden die Daten dafür aber wohl kaum zur Verfügung stellen.
Doch, werden sie, sie werden weder alles können noch wollen, sie werden aber mitverdienen. Wir brauchen also neue Regulierungen, Verteilungssysteme und Kooperationen. Letzteres sehen wir auch beim Car-Sharing. Daimler und BMW arbeiten miteinander und greifen Uber an, indem sie Free Now gekauft haben.
Doch auch hier geht es um zwei große Unternehmen, die miteinander noch größer sind – nach dem Prinzip "The winner takes it all"?
Möglich. Vielleicht muss es irgendwann auch eine Zerschlagung von Monopolen geben, weil sie zu viel Macht besitzen. Am Singles’ Day in Asien wurden Transaktionen von 500 Millionen Kunden digital durchgeführt und ein Umsatz von 35 Milliarden Euro an einem Tag erzielt. Das entspricht dem gesamten Umsatz des österreichischen Einzelhandels im ersten Halbjahr 2019. Mit diesem Volumen an Kundeninformationen kann keiner mithalten. Doch wenn Google, Alibaba & Co. Zugänge zu den Daten ermöglichen, ist das für Unternehmen eine Chance, eigene intelligente Lösungen zu bauen. Ein Beispiel: Die Wetterprognose meines Reiseziels sagt Schneefall voraus, dann bekomme ich eine Push-Nachricht für eine Tagesversicherung für mein Auto. Hier wird Kundenverhalten mit Datensystemen abgeglichen und ein intelligentes Produkt erschaffen.
Mit diesen Möglichkeiten könnte der Wirtschaft eine neue Hochblüte bevorstehen?
Wir brauchen ein stabiles Betriebssystem, um solche Veränderungen tragen zu können. Mit meinem Ansatz der Quantenwirtschaft möchte ich die Welt zu einem besseren Ort machen, der im Wesentlichen aus drei Punkten besteht: Wir müssen unseren Konsum limitieren. Wir brauchen eine perfekte Kreislaufwirtschaft, in der wir alles, was wir nutzen, unendlich denken. Und wir müssen unsere Modelle neu denken: Es täte Europa gut, einen eigenen Weg zu gehen und auf Ausbildung von Kulturingenieuren zu setzen, die sich damit auseinandersetzen, wie wir immaterielle Güter kapitalisieren können und Modelle auf Mitgefühl, Liebe und Verstand aufbauen.
Wieso wird das nötig sein?
Weil diese Vitalenergie die Wirtschaft antreibt. Fühlen sich Menschen am Arbeitsplatz wohl, hat das eine unglaublich positive wirtschaftliche Auswirkung. Und wir brauchen viel mehr Bewusstsein für die Dinge, die wir wirklich brauchen.
In ethischer oder materieller Hinsicht?
Die Technologie wird eines Tages etwa imstande sein, durch künstlich angestoßene Nervenverbindungen Alzheimer zu kurieren, oder blinden Menschen durch Umprogrammieren der Synapsen ihr Augenlicht zurückzugeben. Da laden wir vielleicht ein Programm herunter und haben auf Knopfdruck eine neue Hardware in Form neuer Körperteile. Die Frage ist: Geht das zu weit? Wollen wir dann auch hören wie ein Hund? Wir haben kein ethisch-moralisches Rahmenwerk, die Menschheit braucht eine neue Leitidee, einen Kompass.
Gibt es überhaupt jemanden, der so einen erschaffen könnte?
Es geht hier nicht um die Suche nach einem Messias, sondern um einen kollektiven Bewusstseinswandel. Bei der Entwicklung neuer Technologien brauchen wir jedoch auch eine Art Schiedsrichter, denn die Bewusstseinsrevolution und die menschliche Evolution sind deutlich langsamer als die technologische Entwicklung. Für uns heißt es, nur weil wir es können, heißt es lange nicht, dass wir es tun müssen oder tun sollten.
Wie intelligent sind unsere Systeme bereits?
Die wahre Digitalisierung steht uns erst noch bevor: Im Jahr 2020 fangen wir an, Implantate im Gehirn mancher Menschen zu testen und wollen herausfinden, wie wir eine Symbiose zwischen künstlicher und biologischer Intelligenz herstellen können.
Wieso ist diese Verbindung wesentlich, wenn Systeme so viel mehr wissen als wir?
Weil die Komplexität für uns zu groß werden wird. Wenn wir verschmelzen, haben wir wenigstens die Chance, zu verstehen, was wir tun und was wir lassen sollten. Unsere humanistische Basis ist wichtig, zumindest für uns Menschen, wir sollten alles daran setzen, sie beizubehalten. Bewusstsein ist etwas Fundamentales.
Wenn Sie heute nochmals investieren: In welchem Bereich wäre das, wo gibt es Potenzial?
Im Bildungsbereich, denn dieser wird kollabieren. Wir lernen heute Daten abzuspeichern, alte Informationen zu lagern. In Zukunft geht es darum, lernen zu lernen. Auch dafür brauchen wir ein hohes Maß an Philosophie, bereits im Kindergarten.
Und in Schulen führt ein guter Professor Debatten, regt zu Denkanstößen an. Das bringt uns weiter. Und das, übrigens, kann Technologie niemals leisten.
Er arbeitete als Unternehmer und Berater für Hidden Champions und DAX-Konzerne, bevor er sich der Wirtschaftsphilosophie zuwandte. Sein erstes deutsches Buch „Quantenwirtschaft“ kam im Frühjahr 2019 auf den Markt und zog in sämtliche Bestseller-Listen ein. Zudem wurde Indset 2018 von Thinkers50, dem Ranking der globalen Wirtschaftsdenker, auf den Radar genommen. Für seine provozierenden Thesen und das unkonventionelle Auftreten wird er gerne als „Rock’n’Roll Plato“ bezeichnet.
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