Zu wenig Kinder und Migranten

ARCHIV - Sechs Säuglinge liegen in der Kinderabteilung der Universitätsfrauenklinik Leipzig (Foto vom 31.07.2003). Das Statistische Bundesamt teilt am Freitag (12.08.2011) in Wiesbaden die Zahlen zu den außerehelichen Geburten im Jahr 2010 mit. Foto: Waltraud Grubitzsch dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Experte warnt: Schon in 15 Jahren müssen 100 Erwerbstätige 80 Mitbürger erhalten.

Ab 2025 wird’s ernst. Wenn die Politik erst dann Maßnahmen setzt, ist’s zu spät“, warnt der Pensionsexperte Christoph Krischanitz davor, das Problem auf die lange Bank zu schieben. Denn bereits ab 2020 beginnt die demografisch bedingte Belastungsquote der arbeitenden Bevölkerung zu steigen. Schon in 15 Jahren müssen hundert Erwerbstätige im Alter zwischen 18 und 65 Jahren 80 Mitbürger finanzieren. Vom Baby bis zum Greis. Alle jene, die noch zu jung für einen Job sind, sowie das immer größer werdende Heer der Pensionisten.

Zu wenig Kinder und Migranten
Etwa im Jahr 2035 erreicht die Quote 90 Prozent. Dann erhält ein Berufstätiger beinahe schon einen Erwerbslosen (siehe Grafik). Krischanitz, Chef des versicherungsmathematischen Beratungsunternehmens arithmetica (gehört zur VIG-Gruppe), hat dabei noch moderat gerechnet. Er geht davon aus, dass rund zehn Prozent der 18- bis 65-Jährigen in Österreich nicht im Arbeitsleben stehen. Weil sie arbeitslos sind oder aus anderen Gründen. Was allerdings eine optimistische Untergrenze ist. Doch selbst unter der unrealistischen Annahme, dass alle 18- bis 65-Jährigen arbeiten würden, läge die Belastungsquote 2025 bei 60 Prozent.

Krischanitz ortet mehrere Ursachen für diese Entwicklung:

Sterblichkeit Die tatsächliche Zahl der Sterbefälle ist niedriger als in den bisherigen Prognosen. „Grundsätzlich ist es natürlich erfreulich, dass wir immer länger leben, aber das wird schon vor 2025 ein Finanzierungsproblem.“

Geburten Die Zahl der Geburten steigt zwar, doch der Höhepunkt dürfte 2023 erreicht sein. Dann sinkt die Geburtenrate wieder. Um das derzeitige System zu erhalten, bräuchte Österreich 110.000 bis 120.000 Geburten pro Jahr, schätzt Krischanitz. Derzeit kommen jährlich nicht einmal 80.000 Kinder zur Welt.

Zu wenig Kinder und Migranten
Migration im Schulbuch
Zuwanderung Auch die Migration ist nicht die Lösung des Problems, denn „Österreich hat zu wenig Einwanderung“. Der „Wanderungssaldo“ aus Zuwandern und jenen Menschen, die Österreich verlassen, wird bereits ab 2015 kleiner.

„Die Politik wäre gut beraten, sich schon jetzt mit der Situation zwischen 2020 und 2035 zu beschäftigen“, sieht Krischanitz Handlungsbedarf. Und rät, an mehreren „Stellschrauben des Systems zu drehen. Die Geburtenrate und/oder die qualifizierte Einwanderung zu erhöhen“. Beides sei freilich nicht einfach. Die Zahl der gebärfähigen Frauen sinkt und bei der Migration „steht Österreich mit Wettbewerb mit anderen europäischen Staaten.“ Nicht zu vergessen „das politische Risiko“.

Die für die langfristige Finanzierung des Pensionssystems notwendigen Kinder „werden wir uns nicht erkaufen können“. Die Familien noch stärker direkt mit Geldleistungen zu fördern, sei die falsche Strategie. Stattdessen plädiert er für den Ausbau der Infrastruktur, „wir haben viel zu wenig Kinderbetreuungsplätze und zu wenig sowie teilweise nur schlecht ausgebildetes Personal dafür“.

Der Experte empfiehlt auch, das Pensionsantrittsalter für Frauen früher hinauf zu setzen als gesetzlich festgelegt. Erst 2024 müssen auch Frauen bis 65 arbeiten.

Außerdem rät Krischanitz zum stärkeren Aufbau der privaten und betrieblichen Vorsorge über das Kapitaldeckungssystem. Dabei wird im Gegensatz zum staatlichen Umlageverfahren (Aktive finanzieren direkt die Pensionisten) Kapital angespart. Heute kommen 90 Prozent aller Pensionsleistungen aus der Sozialversicherung. 75 Prozent Sozialversicherung und 25 Prozent Kapitaldeckung „würde den Anstieg der Belastungsquote glätten“.

Braucht Österreich zur Sicherung des Pensionssystems wirklich mehr Kinder und mehr Zuwanderer? Sozial- und Pensionsexperte Bernhard Schwarz hält wenig von „abstrakten Wahrscheinlichkeitsrechnungen“ im Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung.

Erstens hätten sich langfristige Prognosen über Beitragszahler im Nachhinein immer als falsch erwiesen und zweitens sei für das Pensionssystem gar nicht entscheidend, wie viele Junge wie vielen Alten gegenüberstehen, sondern eher wie viele Verdiener wie vielen Nicht-Verdienern, schreibt Schwarz in seinem neuen Buch „Alterssicherung mit Zukunft“ (ÖGB-Verlag).

Der Sozialwissenschafter Schwarz war bis Ende 2012 Vorsitzender der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung und verteidigt klarerweise seine Arbeit. Im Buch räumt er mit oft gezielt gestreuten Crash-Mythen auf und beschreibt sachlich und unaufgeregt, wie das staatliche Pensionssystem weiterhin finanzierbar bleibt.

„Es gibt keinen Grund, heute pessimistischer zu sein als vor 45 oder 50 Jahren, als die heutigen Pensionisten ins Erwerbsleben eingetreten sind“, schreibt Schwarz. Schon Anfang der 1960er-Jahre hätten Vertreter der Wirtschaft den baldigen Untergang des Systems prophezeit. Dabei hätten sich die Kosten für die öffentliche Alterssicherung als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) seither nicht wesentlich verändert. Und dies, obwohl der Anteil an Älteren tatsächlich erheblich zugenommen hat.

Für die Pensionssicherung ebenso wichtig wie die Zahl der Erwerbstätigen ist für Schwarz ein moderates Wirtschafts- und Beitragswachstum (je mind. 1,6 Prozent im Jahresschnitt), eine maßvolle Steigerung der Produktivität (etwa 1,5 Prozent pro Jahr) und die Erhöhung des tatsächlichen Pensionsantrittsalters, soweit dies ohne Steigerung der Arbeitslosigkeit möglich ist. Auch die Höhe der Einkommen sowie die jährliche Pensionsanpassung spiele eine wichtige Rolle.

Kommentare