Russland-Österreich: Beziehungsstatus kompliziert

Russland-Österreich: Beziehungsstatus kompliziert
Putin wirft die OMV aus dem Land und enteignet auch andere westliche Firmen nach Gutdünken. Warum er das macht und welche Folgen das hat.

Westliche Unternehmen, insbesondere deutsche und österreichische, stecken in einem Dilemma: Setzen sie ihre Geschäfte in Russland fort, müssen sie sich vorwerfen lassen, mit Steuern die Kriegskasse Putins zu füllen. Der Imageschaden ist groß und färbt erst recht auf das Geschäft ab. Wer sich aus dem Land zurückziehen will, bekommt von Moskau Prügel vor die Füße geworfen und läuft Gefahr, sein Geschäft komplett zu verlieren. Am Mittwoch traf es die heimische OMV, die nun unsanft aus dem Land befördert wurde. Und das, obwohl sie mit der Gazprom noch langjährige Gas-Lieferverträge laufen hat. Zeit für eine Einordnung.

Was genau wird jetzt von Russland beschlagnahmt? 

Die OMV war mit 24,99 Prozent an dem Gasfeld Juschno Russkoje auf der sibirischen Jamal-Halbinsel beteiligt. Im Jahr 2017 hat sie dafür 1,75 Milliarden Euro bezahlt. (Wie es dazu kam, siehe Artikel unten) Das Gasfeld wird von der Gazprom kontrolliert, die mehrheitlich in staatlichem Eigentum steht. Die Option zur Beteiligung am Gasfeld Achimov hat die OMV bereits 2022 zurückgelegt.

Wer ist noch von der aktuellen Enteignung betroffen? 

Ausländische Konzerne werden aus den Joint-Ventures von Gazprom geworfen. Auch die deutsche Wintershall Dea, eine Tochter des Chemiekonzerns BASF, verliert ihre Anteile. Wintershall Dea hat schon 2022 mehr als 7 Milliarden Euro abgeschrieben, weil es effektiv keinen Zugriff auf die russischen Beteiligungen mehr hatte.

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Wie viel Geld verliert die OMV dadurch? 

Ob es für die Beschlagnahmung bzw. aus dem Zwangsverkauf eine nennenswerte Entschädigung gibt und das Geld gegebenenfalls auch transferiert werden kann, ist nicht bekannt. Die OMV hat aber bereits im Frühling 2022 beschlossen, dass Russland künftig „keine Kernregion“ mehr sein soll und 2,46 Milliarden Euro für die dortige Beteiligung abgeschrieben. Das beinhaltete auch den Anteil an der Finanzierung der Ostseepipeline Nord Stream 2. Deswegen seien „faktisch keine weiteren negativen Auswirkungen“ zu erwarten, erklärte der Konzern. Dass der Aktienkurs der OMV nicht auf die Nachricht reagierte, weist darauf hin, dass auch die Investoren durch den Schritt keine Einbußen erwarten.

Hat das Auswirkungen auf die Gasversorgung in Österreich?

In absehbarer Zeit nicht. Zwar ist Russland nach wie vor Österreichs wichtigster Erdgas-Lieferant, die Importe durch die Ukraine laufen aber weiter. Die Befürchtung, dass Russland die Lieferungen einstellen könnte, gibt es schon seit Beginn des Krieges. Die OMV hat sich deswegen mit zusätzlichen Gaslieferungen aus anderen Quellen und Pipelinekapazitäten abgesichert, die für die Belieferung ihrer Kunden ausreichen soll. Außerdem gibt es seit 2022 eine staatliche Erdgas-Reserve, die Speicher in Österreich sind zu 92 Prozent gefüllt. Mit einem akuten Mangel wäre deswegen auch im Falle eines Lieferstopps nicht zu rechnen, wohl aber mit steigenden Preisen.

Warum setzt der Kreml gerade jetzt diesen Schritt? 

Zum einen aus Geldbedarf für den Krieg – viele Firmenwerte können dem Kreml nutzen, über Günstlinge wird es in die Kriegskasse gespült. Zum anderen dürfte die Enteignung eine Antwort auf das jüngste EU-Sanktionspaket sein. Erst am Montag hat die EU das bereits zwölfte Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Darin werden auch Firmen mit Strafmaßnahmen bedroht, die sich an solchen Enteignungen beteiligen. Die Antwort aus dem Kreml: Kann uns egal sein – die Nutznießer der OMV-Enteignung stehen nämlich ohnehin auf der Sanktionsliste.

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Pipelines einer Erdgas-Aufbereitungsanlage von  Gazprom auf der Jamal-Halbinsel

Wie viele westliche Firmen sind jetzt noch in Russland aktiv?

Laut dem Portal „Leave Russia“ der Kiew School of Economics sind es vor allem amerikanische und deutsche Firmen, die noch immer in Russland Geschäfte machen – und Steuern zahlen. Von insgesamt 3.672 Unternehmen, die vor Ausbruch des Angriffskrieges in Russland vertreten waren, sind demnach noch 1.600 aktiv. Darunter sind Nahrungs- und Genussmittelhersteller sowie Pharmafirmen, weil sie kaum von den Sanktionen betroffen sind. Hunderte Firmen haben den Rückzug bereits eingeleitet, aber das Okay der russischen Behörden noch nicht erhalten.

Das Portal listet aktuell acht österreichische Unternehmen auf, darunter die RBI und Agrana, die ein Fruchtzuckerwerk 100 Kilometer südlich von Moskau betreibt und die Lage „laufend evaluiert“. Die RBI arbeitet an den möglichen Verkaufs- und Abspaltungsszenarien, wie zuletzt betont wurde. Der Strabag-Deal der RBI zeigt, wie schwierig die Loslösung von Russland ist (siehe Artikel rechts).

Warum ist der Rückzug so schwierig? 

Weil Moskau die Bedingungen diktiert und die Unternehmen nur mit Verlusten verkaufen können. So können etwa Banken ihre Beteiligungen nicht einfach veräußern, sondern brauchen eine Sondergenehmigung vom Präsidenten persönlich – und die vergibt er nur sehr selten.

Allen Unternehmen, die abziehen wollen, werden Prügel vor die Füße geworfen. So bewertet zunächst ein Gutachter den Firmenwert, der wird dann um 50 Prozent reduziert, dann kommt noch eine Exit-Abgabe von mindestens fünf Prozent des Marktwerts hinzu. So erzielte Henkel im Frühjahr für seine Russlandtochter mit über einer Milliarde Euro Umsatz nur einen Verkaufserlös von 600 Millionen Euro. Eine Rückkaufoption hat der Kreml zudem massiv erschwert.

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Wurden schon westliche Firmen enteignet? Und drohen weitere Zwangsverkäufe? 

Außer der OMV und Wintershall wurden bereits der Joghurtproduzent Danone und der Bierbrauer Carlsberg enteignet. Konkurrent Heineken wartet seit April auf die Genehmigung der russischen Behörden, sein Geschäft zu verkaufen, und könnte ebenfalls enteignet werden. Treffen kann das potenziell jede Firma eines laut Kreml „unfreundlichen Staates“: „Kein westliches Vermögen ist in Russland mehr sicher“, analysiert Alexandra Prokopenko vom Thinktank Carnegie.

Wer profitiert von den Enteignungen? 

Die westlichen Milliarden-Beteiligungen gingen allesamt an Putin-Günstlinge, darunter der Neffe von Tschetschenenführer Kadyrow und direkte Freunde des Präsidenten. Bei der OMV dürfte das auch so sein: Die Anteile gehen an die Gazprom-Tochter SOGAS, deren Chef Anton Ustinow ein Ex-Berater Putins ist, sowie eine kleine Firma namens Gazowye Technologij, deren Sitz ausgerechnet im besetzten Mariupol und auf der annektierten Krim liegen.

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