Putins große Show: Worüber der Kremlchef schwieg

Jedes Jahr im Dezember schaut das ganze Land gebannt auf ihn. Welche Fragen lässt er zu? Wann reagiert er ungehalten? Und überhaupt: Wie geht es Russland eigentlich?
An Wladimir Putins Verhalten bei seiner großen Pressekonferenz zu Jahresende lässt sich gut ablesen, wie es um das Riesenreich bestellt ist – besser jedenfalls als an den geschönten Statistiken der staatlichen Institutionen. Freilich, viel an dem TV-Spektakel, bei dem heuer Journalisten und Bürger vier Stunden lang um das Fragerecht an den Staatschef ritterten, ist inszeniert. Aber Putins Stimmung ist nicht planbar, der Kremlchef ist bekannt für seine Launen: Dass er die große Show letztes Jahr kommentarlos ausfallen ließ, wurde als eindeutiges Signal dafür gewertet, dass die Verluste in der Ukraine ihm zugesetzt haben – er habe regelrecht Angst, sich seiner Bevölkerung zu stellen, hieß es.
Dieses Jahr wirkt Putin jedoch, als wäre all dies nie passiert. Mehr noch: Er ist selbstbewusst wie schon lange nicht mehr, macht – meist schlechte – Scherze auf Kosten seiner Staatsdiener und tadelt die in gewohnt kaiserlicher Manier für all die Beschwerden seiner Bürger. Manchmal beginnt er mit den Fragestellern sogar zu streiten, ist überraschend angriffig. Was ist da passiert?
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Putins große Pressekonferenz wurde landesweit auch öffentlich übertragen. Vier Stunden dauerte die Show
Die Hilfe erlahmt
Zwei Dinge: An der Front in der Ukraine läuft es für den Kremlchef so gut wie lange nicht mehr. Sein Kalkül ist aufgegangen; er hat immer darauf spekuliert, dass die Zeit für ihn spielt, die Solidarität aus dem Westen langsam erlahmen wird. Wenig Wunder also, dass er in seiner großen Show breitbeinig sagt, an seinen Kriegszielen in der Ukraine habe sich nichts geändert. Er will die totale Unterwerfung der Ukraine, eine Liquidierung des Landes. Eine Einladung zum Verhandeln, wie sie manch Politiker im Westen zuletzt am Horizont gesehen haben will, sieht anders aus.
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Kritik lässt Putin darum entweder gar nicht oder nur in kleinen Dosen zu. Seinen Erzfeind Alexej Nawalny etwa hat er gleich im doppelten Sinne verschwinden lassen: Fragen zu ihm, zu seinem Aufenthaltsort oder seiner Gesundheit dürfen keine gestellt werden. Dabei wären die mehr als dringlich: Seit mehr als einer Woche ist der Chef der russischen Opposition unauffindbar, und das, obwohl er eigentlich bestens bewacht in einem russischen Hochsicherheitsgefängnis in Wladimir sitzen sollte. Für 19 Jahre hat die russische Justiz ihn dort einquartiert, doch seit etwa einer Woche heißt es: „Ein Häftling namens Nawalny wird hier nicht mehr geführt.“

Eines der letzten verfügbaren Bilder Nawalnys - jetzt ist er unauffindbar
Auf "Etappe"
Was mit ihm geschehen ist, ob er überhaupt noch lebt, darüber rätseln Nawalnys Anwälte nun öffentlich. Zufall ist sein Verschwinden sicher nicht: Putin hat erst vor einigen Tagen bekannt gegeben, dass er sich im Frühling wieder zum Präsidenten küren lassen will, kurz danach hat Nawalnys Team landesweit auf Riesenplakaten dazu aufgerufen, seine Wahl zu boykottieren. Das wird eine fünfte Amtszeit Putins zwar nicht verhindern, ihn aber öffentlich ankratzen, so die Angst.
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Nawalnys Verschwinden passt deshalb gut in eine Reihe ähnlicher Fälle, in denen der Kreml gleich agierte. Seine Anwälte vermuten, dass er auf „Etappe“ geschickt wurde. So nennt man die oft tagelang dauernde Verlegung Gefangener per Zug, bei der sogar Toilettengänge untersagt sind – eine besonders grausame Art der Folter.
Über all das wurde am Donnerstag nicht gesprochen. Den Anschein von Meinungsfreiheit versuchte man nur zu wahren, indem man auf einer Videowall hinter Putin pseudokritische Fragen einblendete: „Wieso unterscheidet sich Ihre Realität so sehr von unserer?“, stand da etwa.
Ob das ein Lapsus oder Kalkül war, weiß man nicht. Beantwortet et hat Putin die Frage jedenfalls nicht.
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