Ökonom Brunnermeier: „Sollten uns nicht in Sicherheit wiegen“
In seinem aktuellen Buch analysiert der Professor der US-Elite-Uni Princeton, was Einzelne und ganze Gesellschaften aus der Corona-Krise lernen können. Der KURIER hat ihn gefragt, ob wir uns jetzt vor der Inflation und dem Verlust unseres Ersparten fürchten müssen.
KURIER: Die Inflation steigt und steigt. In den USA, wie in Europa. Und die Notenbanker tun erst einmal gar nichts. Ein Grund nervös zu werden?
Markus Brunnermeier: Wir sollten uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen, diesen Fehler haben die Notenbanken schon einmal gemacht, in den 1970er Jahren. In den USA ist eine Inflation von drei, vier Prozent über die nächsten Jahre aber gar nicht so ungewollt. Ökonomisch ist das zwar wenig sinnvoll, aber speziell die Demokraten haben ein politisches Interesse daran.
Warum?
Man will mit einem stärkeren Wirtschaftswachstum eine nach den Trump-Jahren zerrissene Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Außerdem wollen die Demokraten den Fehler, den Obama 2009 gemacht hat, nicht wiederholen. Obamas damaliger Wirtschaftskurs war sehr zurückhaltend und deswegen hat sich die Wirtschaft nur sehr langsam erholt. Das war einer der Gründe warum die Demokraten damals bei den Zwischenwahlen (mid-term elections) die Mehrheit im Kongress verloren und ihre politische Handlungsfähigkeit verloren haben.
Sowohl in den USA als auch in Europa gibt es einen Fachkräftemangel. Werden Unternehmer damit nicht zwangsweise höhere Löhne zahlen müssen? Und damit die Inflationsspirale nach oben schrauben, weil höhere Löhne sich auch in höheren Preisen für die Produkte niederschlagen?
Die Hoffnung vieler ist, dass die Gehälter stärker steigen als die Inflation. Also, dass es eine Reallohnerhöhung gibt. Es besteht aber die Gefahr, dass die genannte Spirale in Gang gesetzt wird und die Notenbanken zu spät gegensteuern.
Was sind die Szenarien?
Entweder die Zinsen werden langsam angehoben, was aber die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt ausbremsen könnte. Etwa, weil Firmen sich schwerer refinanzieren können und so vom Markt verschwinden.
Zweite Option?
Es passiert erst einmal gar nichts und die US Notenbank fährt ihre aktuellen Kurs später radikaler zurück. Das würde dann vor allem die Schwellenländer treffen. Sie profitieren von der aktuellen Nullzinspolitik der Fed, weil sie so zu billigen Geld kommen. Zahlt die Fed wieder Zinsen, ziehen Anleger ihr Geld wieder aus den Schwellenländern ab. Europa hat übrigens einen Vorteil.
Welchen?
Die geldpolitische Entwicklung in Europa hinkt jener der USA um sechs Monate hinterher. Die EU kann sich also in den USA anschauen, ob sich die Inflation verfestigt. Es wird interessant, ob die EZB anderes reagiert als die Fed. Mich besorgt, dass die Notenbanker so tun, als wäre es fix, dass wir es mit einem temporären Phänomen zu tun haben.
Müssen Sparer jetzt um ihr Erspartes fürchten?
Es kann schon sein, dass wir in Europa die nächsten Jahre eine Inflation über zwei Prozent haben werden. Bleiben die Zinsen bei null Prozent, schrumpft also das Ersparte am Sparkonto real jedes Jahr um mehr als zwei Prozent. Dagegen freuen sich Hausbauer, deren Schulden entwertet werden. Speziell in den Südländern, wo traditionell viele im Eigenheim wohnen, werden sich viele freuen.
Ist also doch Betongold das einzig Wahre?
Die Investition ins Eigenheim ist sicher die bessere Investition als das Sparbuch. Bei einer Wohnung, die man vermieten will, ist das schon wieder anders, weil es nicht unwahrscheinlich ist, dass Mietgrenzen eingeführt werden. In Deutschland hört man die Rufe nach dem Mietdeckel ja schon.
Bleiben Aktien. Warum haben die Börsenkurse abgehoben, während die Realwirtschaft am Boden war?
Die Zentralbanken haben in der Pandemie sehr aggressiv reagiert, die Zinsen gesenkt und Unternehmensanleihen aufgekauft. Das hat die Märkte beruhigt. In den USA haben viele Kleinanleger ihre „Fördergelder“ vom Staat in Aktien angelegt und an den Börsen spekuliert, weil sie ihr Geld im Grunde nirgends ausgeben konnten. Es gibt mehrere Faktoren, die zusammen gespielt haben. Letztlich hat eine gute Entwicklung der Börse in New York Strahlkraft auf die Weltmärkte.
Der unverbesserliche Pessimist sieht hier schon die nächste Blase aufsteigen. Sehen Sie sie auch schon?
Ich denke auch, dass der Markt überhitzt ist und wäre jetzt vorsichtig, bei einem Einstieg in den Aktienmarkt. Wenn die Zinsen wieder steigen und die Notenbanken die Anleihenkäufe zurückfahren, kann das Pendel schnell wieder in die andere Richtung ausschlagen. Insbesondere bei den Tech-Aktien, die in der Frühphase der Pandemie überproportional profitiert haben. Wer jetzt erst einsteigt, sollte wohl eher zu den „Cash Cows“ greifen, die hohe Dividenden zahlen. Also etwa zu Titeln der Konsumgüterindustrie.
Zurück zur Realwirtschaft, der Inflationsangst und zu den Lieferengpässen. Jetzt wird diskutiert, ob Produktionen wieder zurück nach Europa geholt werden sollen. Holen wir uns damit die Inflation ins Land?
Natürlich. Dass die Industrieländer in den vergangenen Jahrzehnten kaum Teuerungsraten hatten, liegt auch daran, dass sie Produktionen in Niedriglohnländer ausgelagert haben. Das alle Werke wirklich zurückgeholt werden, ist unwahrscheinlich. Eher werden sich die Firmen absichern, indem sie nicht mehr in ein Land, sondern in mehrere outsourcen. Außerdem gibt es ja neue Technologien, die die Produktion in den Heimatmärkten wieder rentabel machen.
Die meistdiskutierten Neuerungen heißen E-Mobilität und Grüner Strom. Auch nicht gerade ein Preisdämpfer, oder?
Insbesondere nicht in Europa. Ob es im Gegenzug zur Ökologisierung der Steuern und zu einer Senkung der Lohnnebenkosten kommt, ist ja noch offen.
Noch offen ist auch, wie lange die Pandemie noch dauert. Wer hat die Krise aus Ihrer Sicht am besten im Griff gehabt?
Anfangs hatten Gesellschaften mit ausgeprägten sozialen Normen die Pandemie besser im Griff. Etwa Japan und Südkorea. Schon allein aufgrund der sozialen Normen steigt dort der Druck auf jeden Einzelnen, Masken zu tragen oder sich impfen zu lassen. Da brauchen Regierungen gar nicht mehr groß eingreifen.
Deutschland oder Österreich haben es schon schwerer, Impfgegner zur Impfung zu bekommen ...
Wer sich impfen lässt, leistet aus meiner Sicht einen Beitrag zur Gesellschaft, der belohnt werden sollte. Etwa damit, dass man nur damit zu Veranstaltungen darf. Ich halte die 3-G-Regel für gut.
Der Autor
Markus Brunnermeier, geboren 1969 in Landshut, ist Professor an der Princeton Universität. Das neu erschienene Buch des mehrfach preisgekrönten Ökonoms ist auf der Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises 2021.
Das Buch
Brunnermeier bemüht beim Schlagwort Resilienz das Bild einer Eiche, die dem Wind stand hält, aber unter Extrembedingungen bricht. Im Gegensatz zum Schilfrohr, das sich anpasst und nach einem Unwetter wieder aufsteht. Anhand der politischen Reaktionen auf die Corona-Pandemie erklärt er, wie Einzelne, Organisationen oder ganze Gesellschaften resilienter werden können.
Aufbau Verlag, 336 Seiten, 24,70 Euro
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