Finanzminister Brunner nennt drei Schuldige für die höhere Inflation in Österreich als in Europa: Die langfristigen Energielieferverträge, das Gewicht des Tourismus sowie die zweitkräftigsten Lohnerhöhungen in Europa nach Belgien. Teilen Sie den Befund?
Finanzminister Brunner liegt mit Verlaub völlig falsch. Die langfristigen Lieferverträge der Energieunternehmen? Hat nicht Bundeskanzler Nehammer mit Blick auf deren Übergewinne gesagt: „Wir lassen uns nicht länger papierln“? Ja, das Gewicht der Gastronomie ist höher, aber Unterschiede gibt es auch in anderen Bereichen. Zieht man das Beispiel Deutschland heran, dann machen die unterschiedlichen Gewichte nur einen geringen Teil der Inflations-Differenz zu Deutschland von ca. 2 Prozentpunkten aus. Und die Lohnerhöhungen gleich hinter Belgien? Danke für das Argument, Belgien hat eine Inflationsrate von lediglich 2,7 Prozent. Also an den Löhnen kann es wirklich nicht liegen.
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Wären Sie dennoch dafür, dass es Lohn-Preis-Abkommen wie in der Nachkriegszeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt, um die Inflationsspirale zu stoppen?
Dafür ist es jetzt ein bisschen spät, man hätte sofort mit Preiseingriffen reagieren müssen. Und jetzt werden wir nicht per Lohnzurückhaltung die Suppe auslöffeln, wo ohnehin schon eine massive Umverteilung hin zu einem Großteil der Unternehmen stattgefunden hat. Unser Lohnfindungssystem garantiert, dass es zu keiner Lohn-Preis-Spirale kommt, weil sich die Löhne ja immer auf die zurückliegende Inflation beziehen, Stichwort Benya-Formel. Also zuerst steigen die Preise, dann erst die Löhne. Und niemand zwingt Unternehmen, die höheren Lohnkosten in ihren Preisen weiterzugeben. Sie können diese Kosten in ihren Gewinnen absorbieren.
Aber doch wirklich nicht alle. Im Zuge der Inflationsentwicklung kamen ja nicht nur Haushalte, sondern auch viele Betriebe in arge Bedrängnis…
Ja, meine Aussage hat sich auf einen Teil der Unternehmen bezogen, vor allem, aber nicht nur auf Großbetriebe. Bei den Energieunternehmen musste man auf die EU warten, damit dann wenigstens eine Mini-Variante der Übergewinnsteuer gekommen ist.
Für Sie sind also vor allem die teils stark gestiegenen Unternehmensgewinne und nicht auch die gestiegenen Löhne schuld an der Inflation?
Nicht nur für mich. Das haben auch international gewichtige Institutionen wie EZB oder OECD so analysiert. Dazu existieren umfassende Studien, nur in Österreich wird so getan, als ob es dieses Phänomen nicht gäbe. Wobei man sagen muss, man sollte diese Übergewinne ja gar nicht erst entstehen lassen. Eigentlich geht es ja darum, die Inflation runter zu bringen, also vorher etwas zu tun. Allein die Existenz so einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission hätte ja schon den Effekt, dass sich die Unternehmen davor hüten, Preise ungerechtfertigt zu erhöhen.
Die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hält nichts von Preiskontrollen oder Markteingriffen ...
Ja, leider mit starker Unterstützung der führenden Wirtschaftsforscher des Landes; sie tragen eine gewisse Mitverantwortung für die Misere. Sie haben sehr lange an ihrem einfachen Lehrbuchdenken festgehalten: Markteingriffe sind immer böse, sie wurden tabuisiert. Das war das Totschlag-Argument. Dabei haben wir etwa mit Preiskontrollen in Österreich vor allem in den 1970er Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht. Warum das nicht genutzt wird, ist mir völlig schleierhaft.
Weil sie von Totschlag-Argumenten sprechen. Lange galt Spanien mit seiner niedrigen Inflation als Vorbild. Geholfen hat das Premier Sanchez nichts, er musste sich jetzt in Neuwahlen flüchten.
In der Inflationsbekämpfung ist Spanien tatsächlich ein Vorbild, das wurde hervorragend gemanagt. Die Regierung hat sich nicht gescheut in den Markt einzugreifen – etwa mit Energie- und Mietpreisdeckeln. Für die aktuellen politischen Entwicklungen gibt es sicher viele Gründe, aber da bin ich keine Expertin.
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In Österreich sollen jetzt die Anti-Teuerungshilfen auslaufen, sagt der Finanzminister. Er hat wieder die Budgetkonsolidierung im Fokus. Richtig, falsch?
Anti-Teuerungsmaßnahmen werden weiterhin notwendig sein. Die Teuerungskrise ist doch noch nicht vorbei. Das Preisniveau ist zuletzt weiter gestiegen. Vieles wird nach wie vor teurer. Und wir sehen in allen Daten, etwa zur Armutsentwicklung, enorme Verwerfungen.
Man muss aber doch auch dazu sagen, dass Österreich eines der besten Sozialsysteme der Welt hat ...
Ja, aber der Sozialstaat droht zu einem Almosenstaat zu werden. Viele – und Frauen sind hier besonders betroffen – werden zu Bittstellern degradiert. Nehmen Sie das leider immer noch nicht valorisierte Arbeitslosengeld her. Wir sehen bedingt durch die zuletzt stark steigende Inflation teilweise Nettoersatzraten von unter – ohnehin skandalös niedrigen - 55 Prozent, weil es ja oft so ist, dass das Arbeitslosengeld auf dem Lohn des vorletzten Jahres basiert und unzureichend aufgewertet wird. Wer jetzt also aufgrund der vierten Mietsteigerung in eineinhalb Jahren schon knapp bei Kasse ist, vielleicht zusätzlich einen Kredit mit steigenden Zinsen laufen hat und obendrein arbeitslos wird, der hat es jetzt ganz ganz schwer. Man sieht das ja: Die Schuldnerberatungen gehen über, die Sozialmärkte sind bummvoll. Das scheint den Verantwortlichen egal zu sein.
ZUR PERSON
Helene Schuberth leitet seit Mai 2022 das Volkswirtschaftliche Referat des ÖGB. Zuvor war sie in verschiedenen Positionen in der Oesterreichischen Nationalbank tätig. Sie studierte Ökonomie in Wien und Harvard. In ihren Publikationen beschäftigte sie sich u.a. mit geld- und fiskalpolitischen Fragestellungen.
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