Signal-Chefin: "Künstliche Intelligenz ist nervig und meist nutzlos"
"Großes Gerede von großen Techunternehmen, die versuchen hohe Bewertungen zu erzielen." So beschreibt Meredith Whittaker den Hype rund um ChatGPT und Künstliche Intelligenz. Für den datenschutzfreundlichen Messenger Signal, der von der gemeinnützigen Signal Foundation betrieben wird, der Whittaker vorsteht, schließt sie den Einsatz von KI aus. Der KURIER hat sie vergangene Woche am Rande des Websummits in Lissabon zum Interview getroffen.
KURIER: ChatGPT hat in kürzester Zeit Millionen Nutzer gewonnen. Wie hat der Chatbot unsere Vorstellung von Künstlicher Intelligenz verändert?
Meredith Whittaker: ChatGPT ist eine brillante Marketingstrategie von Microsoft, dem Unternehmen, das die gesamte Infrastruktur bereitstellt und großen Einfluss auf die Betreiberfirma OpenAI hat. Das hat einen Hype ausgelöst und zu spekulativen Investitionen geführt. Was wir noch nicht gesehen haben, ist der Beweis, dass die Technologie in einem breiteren Sinn auch brauchbar ist.
Ist sie das nicht?
Wenn wir einen Schritt zurücktreten, werden wir sehen, dass es viele Unternehmen - von Microsoft bis zu Start-ups - gibt, die ihre Hoffnungen darauf setzen, dass wir an diesen Hype glauben, während sie die Technologien in unserem Leben verankern.
Bei Signal wollen Sie Künstliche Intelligenz also nicht einsetzen?
Wir haben keinerlei Pläne in diese Richtung. Wir wollen keine KI-Features, die meisten sind ohnehin nervig und meist nutzlos.
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Mit der Techbranche ist Meredith Whittaker bestens vertraut. 13 Jahre lang war sie für Google tätig, an der New York University gründete sie das Forschungsinstitut AI Now, das die sozialen Auswirkungen Künstlicher Intelligenz untersucht. Auch die US-Behörde Federal Trade Commission (FTC) beriet Whittaker in Fragen rund um KI.
Seit September 2022 steht sie der gemeinnützigen Signal Foundation vor, die den datenschutzfreundlichen Messenger Signal betreibt, der unter anderem WhatsApp, dem Facebook Messenger und Telegram Konkurrenz macht.
Beschworen werden auch die Gefahren der Technologie. Ist das auch nur Getöse oder sind die Warnungen gerechtfertigt?
Hype bedeutet nicht, dass es sich um eine Lüge handelt. Es ist Bombast und Übertreibung, Dinge werden unverhältnismäßig aufgeblasen. Künstliche Intelligenz birgt sicherlich Gefahren, das ist unumstritten. Was wir sehen, ist im Grunde die Folge eines Konzentrationsprozesses.
Weil die großen Technologieunternehmen von Microsoft über Meta bis Google ihre Finger im Spiel haben?
Es gibt eine Handvoll von Unternehmen auf der Welt, die das Überwachungsgesechäftsmodell perfektioniert haben und über riesige Datenmengen und Recheninfrastruktur verfügen. Das sind dieselben Unternehmen, die Ressourcen haben, um KI im großen Maßstab einzusetzen. Auf der Infrastruktur läuft jedes Start-up. Es ist ein hochkonzentrierter Markt, der erhebliche Gewinne und große Macht bringt und einigen wenigen Unternehmen beherrscht wird, die größtenteils in den USA und China ansässig sind.
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Weltweit wird nach Wegen gesucht, die Technologie zu regulieren. Wie könnten solche Regeln aussehen?
Es gibt noch viele offene Fragen. Aber ich denke, dass jede Regulierung, die in der Lage sein soll, die Gefahren in den Griff zu bekommen, bei der Machtkonzentration dieser Unternehmen und ihrem Überwachungsgeschäftsmodell ansetzen muss. Auch um die Fehler aus der Vergangenheit wiedergutzumachen.
Was ist falsch gelaufen?
Diese Unternehmen konnten sich in den 1990er und 2000er Jahren fast ohne Regulierung und ohne Schranken entwickeln. Es sind massive Monopole entstanden. Sie verfügen über erhebliche Macht zur sozialen Kontrolle und infiltrieren weiterhin unsere sozialen und wirtschaftlichen Institutionen. Sie stellen die Infrastruktur und Werkzeuge zur Entscheidungsfindung bereit und unterliegen so gut wie keiner demokratischen Kontrolle.
Respekt vor der Privatsphäre der Nutzer und verschlüsselte Nachrichten, die auch für den Rest der Branche Maßstäbe gesetzt haben. Die seit 2014 verfügbare Messaging-App Signal speichert so wenige Nutzerdaten wie möglich und hebt sich nicht nur damit von der Konkurrenz ab.
Betrieben wird Signal von einer gemeinnützigen Organisation, der Signal Foundation. Finanziert wird sie ausschließlich über Spenden, unter anderem von WhatsApp-Gründer Brian Ashton.
40 Millionen Dollar pro Jahr
Um zu veranschaulichen, was der Betrieb kostet und wofür Nutzerinnen und Nutzer üblicherweise mit ihren Daten bezahlen, veröffentlichte die Signal Foundation vor kurzem eine detaillierte Aufstellung der Betriebskosten der App. Die belaufen sich im heurigen Jahr auf rund 40 Millionen Dollar und sollen bis 2025 auf 50 Millionen Dollar steigen.
Nutzerzahlen gibt Signal nicht bekannt. Kolportiert wurden zuletzt rund 40 Millionen Nutzer weltweit. Die Zahl stammt allerdings aus 2021. Mittlerweile dürften es wesentlich mehr sein. In Spitzenzeiten zählte die App mehr als 100 Millionen Downloads im Jahr.
Gegner der Regulierung argumentieren, dass dadurch Innovationen gebremst werden.
Das hören wir seit 30 Jahren. Wir sollten endlich erwachsen werden. Wir sollten uns auch fragen, worüber wir überhaupt reden, wenn wir von Innovation sprechen. Geht es darum, die Ungleichheit zu verringern oder die Klimakrise zu bekämpfen oder geht es um die Produktentwicklung und das Marketing großer Technologieunternehmen?
Als eine der Gefahren von Künstlicher Intelligenz wird der Verlust von Arbeitsplätzen angeführt. Ist die Furcht davor gerechtfertigt?
Künstliche Intelligenz wird nicht zur Verdrängung von Arbeitsplätzen führen, sie führt aber zur Abwertung von Arbeit. Sie wird als Vorwand genutzt, um zu sagen, dass unsere Arbeit weniger wert ist, weil wir nur noch KI unterstützen. Es wird immer so getan, als würde das alles automatisch passieren. Tatsächlich steckt die Arbeit von Millionen Menschen dahinter, die dabei geholfen haben, dass diese Systeme existieren können. Sie haben Daten gekennzeichnet und Inhalte herausgefiltert und kalibriert. Wir sollten mit Erzählungen, die behaupten, Künstliche Intelligenz vernichtet Arbeitsplätze, vorsichtig sein.
In Europa wird im Frühjahr mit dem Digital Markets Act (DMA) neue Regeln für große Technologiekonzeren schlagend. Messenger wie Signal könnten davon profitieren, weil die EU den großen Anbietern Interoperabilität mit kleineren Konkurrenten vorschreibt. Signal-Nutzer könnten dann etwa mit WhatsApp-Nutzern chatten.
Theoretisch wäre das eine gute Sache, aber praktisch gibt es viele Fragezeichen. Die Großen müssten ihre Datenschutzstandards anheben, um es uns zu ermöglichen, mit ihnen zu interagieren, ohne unsere Datenschutzversprechen zu beeinträchtigen. Davon ist bisher wenig zu sehen. Die Konzerne haben viel Übung darin, solche Bemühungen ins Leere laufen zu lassen. Ich sage nicht, das es unmöglich ist, es ist aber noch ein weiter Weg.
Signal hat viele Nutzer gewonnen, nachdem WhatsApp seine Nutzungsbedingungen geändert und angekündigt hat, Daten mit Facebook zu teilen. Sind sie geblieben?
Wir haben einen großen Anstieg an Nutzern gesehen. Das ist auch ein Beweis dafür, dass den Menschen der Datenschutz wirklich am Herzen liegt. Viele Nutzer, wenn auch nicht alle, sind geblieben. Wir wachsen weiter.
Wie geht es mit Signal weiter?
Wir testen gerade Nutzernamen. Das wird Leuten ermöglichen, über Signal miteinander in Verbindung zu treten, ohne ihre Telefonnummer zu teilen. Für viele Leute ist das wichtig. Wir werden das Feature voraussichtlich Anfang nächsten Jahres veröffentlichen.
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