Rechtsstreit Mehrwertsteuer: ORF-Gebühr jetzt Fall für den EuGH

Rechtsstreit Mehrwertsteuer: ORF-Gebühr jetzt Fall für den EuGH
Der Prozessfinanzierer AdvoFin hält die Mehrwertsteuer auf das ORF-Programmentgelt für rechtswidrig. Indes beruft sich die Gebührenbehörde GIS auf eine EU-Ausnahmeregelung

Vor gut drei Jahren wurden brisante Musterverfahren gestartet. Seit gestern, Dienstag, ist es fix: Die Einhebung der Mehrwertsteuer (zehn Prozent) auf die ORF-Gebühren ist nun ein Fall für den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

„Es ist ein Etappensieg. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem EuGH ein sogenanntes Vorabersuchen vorgelegt, weil hier eine europarechtliche Frage zu klären ist“, sagt Gerhard Wüest, Chef des Prozessfinanzierers AdvoFin, zum KURIER. „Es geht darum, ob die Mehrwertsteuer auf eine Gebühr verrechnet werden darf oder nicht. Wir sind der Ansicht, dass keine Mehrwertsteuer eingehoben werden darf.“ Das Verrechnen der Mehrwertsteuer auf eine Gebühr sei „grundsätzlich nach der Mehrwertsteuer-Richtlinie der EU nicht erlaubt“.

Der EuGH muss nun diese Kernfrage vorab beurteilen. In weiterer Folge wird der österreichische Verwaltungsgerichtshof ein Urteil fällen.

Aber der Reihe nach. Der Prozessfinanzierer führt für rund 34.000 Österreicher 100 Sammelklage-Musterverfahren zwecks Rückerstattung der Mehrwertsteuer, die auf die ORF-Gebühren eingehoben werden. Pro Kopf geht es um die Rückforderung von rund 100 Euro für die vergangenen fünf Jahre. Unterm Strich macht das bei 3,3 Millionen GIS-Gebührenzahlern maximal 330 Millionen Euro. Fakt ist auch: Jeder Gebührenzahler kann im Falle eines positiven Urteils die 100 Euro von der GIS zurückfordern.

Von der Gebührenbehörde GIS werden verschiedene Abgaben (Rundfunkgebühr, Landesabgaben, Kunstförderbeitrag) im Zusammenhang mit dem Besitz eines TV- oder Radiogerätes eingehoben. Nur das ORF-Programmentgelt unterliegt der Mehrwertsteuer. Sie fließt dem Staat zu. Die Höhe des Programmentgelts bestimmt der ORF-Stiftungsrat. „Wenn ich ein TV-Gerät besitze und terrestrischen Empfang habe, bin ich verpflichtet, das Programmentgelt zu zahlen“, sagt Wüest. Egal ob ORF-Programme konsumiert werden oder nicht. Das sei eine Zwangsgebühr.

Rechtsstreit Mehrwertsteuer: ORF-Gebühr jetzt Fall für den EuGH

Rechtsanwältin Fiona List

Indes kann sich AdvoFin-Anwältin Fiona List auf eine frühere EuGH-Entscheidung in Sachen tschechischen Rundfunk stützen. So kam der EuGH bereits im Juni 2016 zum Schluss, „dass die Tätigkeit der tschechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt durch eine gesetzlich vorgesehene obligatorische Gebühr finanziert wird. Sie stelle keine Dienstleistung gegen Entgelt dar und sei daher auch nicht als steuerbarer Umsatz zu qualifizieren“. Die Gebührenzahler bekamen also recht.

Steuerbare Leistung

„Die Grundfrage ist, ob das Programmentgelt eine steuerbare Leistung ist oder nicht“, sagt Wüest. „Nachdem ich verpflichtet bin, Programmentgelt zu zahlen, ist es kein fairer Austausch von Leistung und Gegenleistung. Eine Leistung ist nur dann steuerbar, wenn sie freiwillig ist.“ Doch hier gehen die Rechtsmeinungen auseinander, eine nationale Judikatur liegt nicht vor.

„Die Parallelen des tschechischen Falles zum österreichischen sind evident“, sagt Anwältin List. „Der EuGH hat gesagt, ich kann nur dann etwas versteuern, wenn der Konsument ein freiwilliges Rechtsverhältnis eingeht. Das heißt, wenn ich freiwillig einen Vertrag abschließen will, aufgrund dessen ich das ORF-Programmentgelt zahlen muss. Das ist hier nicht gegeben.“

Indes hält die Gebührenbehörde GIS das Verfahren vor dem EuGH für „nicht nötig“. Die Anwendung des Unionsrechts sei richtig, es gebe keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel, heißt es in einem Schriftsatz. Die GIS beruft sich nämlich darauf, „dass sich Österreich im Zuge der EU-Beitrittsakte eine Ausnahmebestimmung für die Zulässigkeit der weiteren Besteuerung des lange vor dem EU-Beitritts eingeführten ORF-Programmentgelts gewähren ließ“. Diese Ausnahmeregelung sei dann in die neue Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der EU übernommen worden, die im November 2006 beschlossen wurde.

Ob die Umsatzsteuer auch künftig zu zahlen ist, müssen nun die Europa-Richter klären.

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