Zu wenig Lehrbetriebe: Wieso will keiner mehr ausbilden?

Zu wenig Lehrbetriebe: Wieso will keiner mehr ausbilden?
Die Zahl der Lehrlinge in Österreich steigt wieder. Der Bedarf ist groß. Doch immer weniger Betriebe wollen ausbilden.

Die Lehrlingszahlen steigen, so das Ergebnis der aktuellen Lehrlingsstatistik der Wirtschaftskammer Österreich.

Demnach befanden sich im Jahr 2022 35.233 Lehrlinge im ersten Lehrjahr, das sind um 6,1 Prozent mehr als noch 2021. Insgesamt gab es österreichweit 108.085 Lehrlinge.

Ein Grund zur Freude?

Ganz so einfach ist die Situation nicht. Denn, während die Zahl der Lehrlinge steigt, sinkt jene der Lehrbetriebe seit Jahren.
2013 bildeten noch 33.595 Betriebe in Österreich Lehrlinge aus. Vergangenes Jahr, 2022, waren es hierzulande nur noch 28.553.

Zu wenig Lehrbetriebe: Wieso will keiner mehr ausbilden?

Martin Mayerl vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) hat dafür folgende Erklärung: „Viele Ausbildungsbetriebe sehen sich nicht mehr in der Lage, die Ansprüche und Kompetenzen der jungen Menschen mit den Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt zusammenzubringen. Außerdem kommt noch hinzu, dass der demografische Wandel sich wohl auch auf den Rückgang der Lehrbetriebe ausgewirkt hat. Die Lehrbetriebe haben im Wettbewerb um die jungen Menschen auf dem Ausbildungsmarkt den Kürzeren gezogen.“

Zu wenig Lehrbetriebe: Wieso will keiner mehr ausbilden?

Martin Mayerl vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung

Alexander Eppler führt bereits in vierter Generation die Spenglerei & Dachdeckerei Eppler in Wien. Sein Betrieb bildet seit Jahrzehnten Lehrlinge aus. Derzeit sind es zwei.

Lehrlinge finden

In den vergangenen Jahren sei es jedoch immer schwieriger geworden, Lehrlinge zu finden und diese auch zu halten. „Früher gingen die Lehrlinge bei uns sogar in Pension. Heute muss man froh sein, wenn sie einem nach der Abschlussprüfung nicht davonlaufen. Vergangenen Sommer hatten wir einen Lehrling, der drei Monate nach seiner bestandenen Prüfung bei uns gekündigt hat. Er wollte lieber reisen“, erzählt Eppler.

Zu wenig Lehrbetriebe: Wieso will keiner mehr ausbilden?

Alexander Eppler, Geschäftsführer der Spenglerei und Dachdeckerei Eppler in Wien

Er könne es deshalb nachvollziehen, dass sich das einige Betriebe nicht mehr antun wollen. Außerdem seien die Arbeitsvorstellungen der Jugendlichen unrealistisch, sagt er: „Viele Bewerber wollen nur noch 30 Stunden arbeiten, aber gleichzeitig spät anfangen und früh wieder gehen.“

Ohne Fachkräfte geht es nicht

Doch ohne Fachkräfte wird es auch in Zukunft nicht gehen. Auf die neuen Anforderungen der jungen Menschen müsse man daher als Arbeitgeber Antworten finden, rät Martin Mayerl vom öibf und ergänzt: „Die Betriebe haben es selbst in der Hand, die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen entsprechend zu gestalten. Das setzt auch eine gewisse organisatorische Innovationsfähigkeit bei der Rekrutierung, der Ausbildung und Weiterbeschäftigung voraus, zum Beispiel flexible Arbeitsmodelle oder eine 4-Tage-Woche.“

Attraktives Arbeitsumfeld

Unternehmen, die ein attraktives Arbeitsumfeld für ihre Lehrlinge schaffen, sind jedenfalls klar im Vorteil. Das zeigt auch eine aktuelle Market-Studie zur Lage der Lehre in Österreich: Karriere und Gehalt sind für junge Menschen heutzutage nicht mehr so wichtig.

Viel mehr wollen sie sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, gefördert und ernst genommen werden. Zahlreiche Betriebe in Österreich bieten ihren Lehrlingen bereits „mehr“ als nur einen Ausbildungsplatz.

Mehr als nur eine Lehre

Bei der Erste Bank werden die Lehrlinge beispielsweise bei der „Lehre mit Matura“ unterstützt, bei Trumpf Maschinen setzt man mit regelmäßigen Lehrlingsausflügen auf Teambuilding und Vernetzung. A1 übernimmt 1.500 Euro für den B-Führerschein der Lehrlinge.

Die Lehrlingsausbildung wird durch spezielle Förderungen aber auch für den Arbeitgeber attraktiv: Lehrbetriebe können für jeden Lehrling eine Basisförderung in Anspruch nehmen. Die Höhe der Förderung richtet sich einerseits nach der Höhe des Lehrlingseinkommens (laut Kollektivvertrag), andererseits nach der bisherigen Dauer des Lehrverhältnisses.

Förderungen für Betriebe

So bekommen sie im ersten Lehrjahr drei Lehrlingseinkommen, im zweiten zwei und im dritten und vierten Lehrjahr jeweils ein Lehrlingseinkommen.

Für kleinere Betriebe, für die die Koordination der Ausbildung oftmals eine Herausforderung darstellt, gibt es, so Martin Mayerl vom öibf: „unter dem Titel ,Lehre statt Leere’ ein individuelles, kostenloses Coachingangebot für Lehrbetriebe aber auch Lehrlinge.“

Belohnt werden außerdem Betriebe, die ihre Lehrlinge beim Vorbereiten auf die Abschlussprüfung unterstützen: Für einen ausgezeichneten Erfolg gibt es 250 Euro pro Lehrling, für einen guten Erfolg 200 Euro.

Ausbildung lohnt sich

Dass sich die Ausbildung junger Talente im eigenen Betrieb auszahlt, weiß Martin Mayerl vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung: „Wir konnten in einer Studie zu den Kosten und Nutzen zeigen, dass der finanzielle Nutzen höher ist als die Kosten, wenn die eigens ausgebildeten jungen Menschen, nach dem Ende der Ausbildung weiter als Fachkräfte beschäftigt werden. Es liegt also auch im betriebswirtschaftlichen Interesse die Fachkräfte selbst auszubilden.“

Für Alexander Eppler, Geschäftsführer der Spenglerei & Dachdeckerei Eppler in Wien, ein Grund nach wie vor Lehrlinge auszubilden: „Es gibt so viele Lichtblicke. Man kann den jungen Menschen die eigene Firmenphilosophie mitgeben – und vor allem: Wer gut ausbildet, gewinnt im besten Fall gute Fachkräfte. Das ist heutzutage viel wert.“

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