Wieso sich immer mehr junge Menschen in Österreich verschulden

Das Konto ist überzogen, die monatlichen Rechnungen sind nicht beglichen: Corona und hohe Energie- und Lebenshaltungskosten haben zahlreiche Menschen in finanzielle Notlagen getrieben.
Gudrun Steinmann leitet die Abteilung Finanzbildung bei der Schuldnerberatung Wien.
KURIER: Die Prognosen für 2023 sind düster: Die Wohnkosten werden weiter steigen, die Energiekosten bleiben hoch, die Kreditvergabe ist streng, gleichzeitig steigen die Kreditzinsen. Rechnen Sie mit einer Flut an Anfragen?
Gudrun Steinmann: Wir vermuten, dass 2023 mehr Menschen als in den vergangenen Jahren unsere Unterstützung brauchen werden. Bei vielen waren die Reserven schon durch Corona aufgebraucht. Die Teuerung und die steigenden Energie- und Lebensmittelkosten verschärfen die Lage noch. Wir können alle nicht in die Wunderkugel schauen, aber die Annahme ist da, dass sich die gestiegenen Kosten nicht so rasch wieder einpendeln werden.
Wer kommt konkret zur Schuldnerberatung?
Das geht quer durch die Bank. Von 18 Jahren bis ins hohe Alter. Die Ältesten sind 80 Jahre alt und möchten am Ende des Lebens ihre finanzielle Situation geregelt haben. Wir bemerken, dass Schulden immer mehr junge Menschen betreffen. Jede vierte Person, die zu uns kommt, ist jünger als 30. Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind aber um die 40. Das lässt sich so erklären: Der Rucksack mit den Altlasten wird irgendwann zu schwer. Häufig passieren Schulden bereits in jungen Jahren, kurz nach der Volljährigkeit, wenn man zum Beispiel das erste eigene Auto mit Kredit finanziert hat, dann aber einen Unfall hat und den Kredit weiterbezahlt muss. Oder es entstehen Konsumschulden und man kann die Raten irgendwann nicht mehr zahlen.
Weil Sie die jungen Menschen ansprechen, bei Online-Bestellungen hat man mit Apps wie Klarna und Co. die Möglichkeit, erst drei bis vier Wochen nach dem Kauf die Rechnung zu bezahlen. Man verliert schnell den Überblick. Ist das eine ernst zu nehmende Gefahr?
Ein wichtiges Stichwort – man verliert schnell den Überblick. Wir machen zahlreiche Workshops an Schulen für den Finanzführerschein aber auch für junge Erwachsene, um ihnen zu zeigen, wie wichtig der Überblick über die eigenen Finanzen ist. Gerade junge Menschen haben oft kein Gespür für Geld, weil es zu wenig greifbar ist. Sie wachsen mit dem Handy und der Bankomatkarte auf, alles ist online. Es tut „nicht weh“, Geld auszugeben. Auch eine Mahnung nicht. Wir versuchen zu vermitteln, was man bezahlen muss, wie man den Überblick behält und welche Konsequenzen drohen, wenn man nicht bezahlt.
Bundesminister Johannes Rauch sprach sich bereits des Öfteren für einen verpflichtenden Finanzführerschein für Schülerinnen und Schüler aus. Was ist Ihr Eindruck, braucht es den?
Wir bieten das derzeit freiwillig und kostenlos an. Es geht uns darum, junge Menschen zu mündigen Bürgern zu machen. Die Schulen fordern uns an und unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Kurse sehr gut ankommen. Einerseits finden die Jugendlichen die Geschichten und Fallbeispiele aus der Praxis spannend, andererseits sprechen sie über das sensible Thema Finanzen lieber mit Außenstehenden, als mit der eigenen Lehrkraft. Wir erleben es oft, dass Schüler in der Pause zu uns kommen und sagen: Ich habe eine Mahnung bekommen, was kann ich tun? Wir versuchen dann, gemeinsam eine Lösung zu finden.
Über Geld wird ungern gesprochen. Scham spielt dabei häufig eine Rolle. Trägt das noch mehr dazu bei, dass man in die Schuldenfalle rutscht?
Ja, das sehe ich schon so. Man redet zu wenig über Geld. Wir ermutigen die Jugendlichen bei den Workshops, die Eltern nach den gestiegenen Miet- und Energiekosten zu fragen. Viele von ihnen wollen in ein bis zwei Jahren in eine eigene Wohnung ziehen, dafür muss man aber wissen, mit welchen Fixkosten man rechnen muss.
Die Regierung hat 2022 diverse Einmalzahlungen bzw. Boni an die Bevölkerung verteilt. Stichwort: Klimabonus. War das Ihrer Meinung nach sinnvoll oder verführt das nicht erst recht zum Einmal-Konsum?
Natürlich wäre es besser gewesen, die Einmalzahlungen direkt an die Vermieter oder die Energieanbieter zu überweisen, sodass das Geld nicht anderweitig ausgeben werden kann. Wir raten immer dazu: Bitte legen Sie sich das Geld zur Seite, denn die Energieabrechnung wird kommen. Leider geben die Leute das Geld trotzdem für private Einkäufe aus. Das Problem ist: Der Staat kann nicht alles abfedern. Es geht um Eigenverantwortung und das müssen Menschen wieder lernen. Man wird sich in Zukunft bewusst überlegen müssen: Was möchte ich kaufen? Was kann ich mir leisten? Und was muss ich unbedingt bezahlen? Nämlich Miete, Strom und Heizung.
Apropos Eigenverantwortung: Was kann man selbst tun, um erst gar nicht in die Schuldenfalle zu tappen?
Am wichtigsten ist es, ehrlich zu sich selber zu sein: Wie viel Geld habe ich überhaupt zur freien Verfügung? Erst vor Kurzem habe ich eine junge Frau kennengelernt, die mir erzählt hat, sie gehe alle zwei Monate zum Friseur Strähnen färben um 140 Euro. Das wird sich nicht ausgehen.
- 52.959 Personen erhielten 2021 Unterstützung von einer der zehn staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich.
- Durchschnittlich sind die Menschen, die Schuldenberatung in Anspruch nehmen, mit rund 60.000 Euro verschuldet.
- 37 Prozent der Klienten sind arbeitslos.
- Jede vierte Person, die zur Schuldenberatung kommt, ist jünger als 30 Jahre.
- Die häufigsten Gründe für eine Überschuldung sind Arbeitslosigkeit (32,6 ) und Umgang mit Geld (21,9 ).
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