Stellenabbau in Österreich: Wie viel können die Regionen noch verkraften?

Swarovski will sich heuer von 150 Mitarbeitern am Tiroler Standort Wattens trennen – weitere könnten folgen, vermutet der Betriebsratsvorsitzende. „Wir haben zurzeit so wenig Arbeit wie noch nie in der 130-jährigen Geschichte von Swarovski“, sagt dieser zum ORF Tirol vergangene Woche. Es ist eine unerfreuliche Meldung von vielen.
Der österreichische Arbeitsmarkt strauchelt, die Arbeitslosenzahlen steigen zum 30. Mal in Folge. Immer mehr Betriebe kämen laut AMS-Chef Johannes Kopf an ihre Grenzen. „Viele schaffen es nicht mehr, 'durchzutauchen' oder ihr Personal für bessere Zeiten zu halten“, erklärt er Anfang Oktober in einer Stellungnahme. Während sich Swarovski einstweilen auf die natürliche Fluktuation verlässt, müssen andere Betriebe härter eingreifen.
Mobilfunker Drei verlautbarte wenige Tage vor dem Kristallhersteller, sich von fünf Prozent der Belegschaft zu trennen. Die OMV soll 400 Arbeitsplätze nur in Österreich kürzen und beim Technologiekonzern AVL List in Graz trifft es 350 Beschäftigte. Doch nirgends häuften sich die Meldungen zu Personalkürzungen öfter als im Export- und Industriebundesland Oberösterreich.
Geballt an einem Ort: Wenn der Stellenabbau sich zentriert
In den vergangenen vier Wochen wurde bekannt: Lebensmittelhändler Unimarkt sperrt zu. Sofern kein Mitbewerber übernimmt, könnten 620 Mitarbeiter, viele davon in Oberösterreich, ihren Job verlieren. In Linz kürzt Borealis vorerst 30 Stellen, Maschinenbauer Engel mit Hauptsitz in Schwertberg reduziert 50 Stellen, Faber-Castell schließt sein Werk in Engelhartszell, was 41 Menschen den Job kostet, und Faserhersteller Lenzing baut 600 Arbeitsplätze am Stammsitz ab – von 3.000. Hiobsbotschaften für Arbeitnehmer, die Gemeinden, die Regionen.
KTM macht diesen Prozess seit Längerem vor. 1.721 Stellen sind binnen eines Jahres beim Motorradhersteller gestrichen worden. Zwischenzeitlich sind Jobs wieder ausgeschrieben, doch der Abbau traf die Stadt Mattighofen schwer, schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im November 2024. Man habe, noch bevor es offiziell wurde, gespürt, „dass hier ein erheblicher Stellenabbau betrieben wird“, erklärt Bürgermeister Daniel Lang dem KURIER.
Bestätigt wurde das Gefühl des Bürgermeisters durch sinkende Einnahmen über die Kommunalsteuer und anhand der Einwohnerzahlen. Im Rekordjahr 2023 soll Mattighofen einen Zuwachs von 240 Hauptwohnsitzen verzeichnet haben. 2024 waren es nur mehr 82 und 2025 schließlich 39. „Durch den Abbau von Arbeitsplätzen bei wichtigen Leitbetrieben spürt das die gesamte Region“, führt der Bürgermeister aus.
Denn wenn Leitbetriebe einer Region unter Druck geraten, überträgt sich das auf ihre Zulieferbetriebe, ergänzt Andreas Stangl, Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich. Bei KTM sei das passiert. Die Zulieferer mussten ebenfalls Personal abbauen. Dennoch wäre die Gesamtsituation in Oberösterreich nicht so düster, wie vermutet, ordnet Stangl ein und verweist auf die Fakten.
Wie dramatisch ist die Situation wirklich?
Zur besten Zeit soll Oberösterreich 702.000 Beschäftigte verzeichnet haben, aktuell wären es 693.000. „Vieles wird kompensiert“, sagt Stangl. „Es gibt auch Betriebe mit Rekordbeschäftigung, nur sind die Positivbeispiele weniger in der Öffentlichkeit.“
Auch Markus Litzlbauer, stellvertretender Landesgeschäftsführer des AMS Oberösterreich, betont, dass „wir uns alle gemeinsam bemühen sollten, den Arbeitsmarkt so darzustellen, wie er ist.“ Die Beschäftigung in Oberösterreich wäre auf „sehr hohem Niveau“, auch wenn „überspitzt gesprochen, kein Tag ohne neue Frühwarnmeldung vergeht“. Die offenen Stellen steigen, bei Arbeitssuchenden, die es im September aus der Arbeitslosigkeit wieder rausgeschafft haben, gibt es ein erfreuliches Plus von sieben Prozent.
Lässt sich daraus schlussfolgern, dass all jene, die von groß angelegten Personalsparkursen betroffen sind, schnell wieder fündig werden? Idealerweise in der gleichen Region? Leider Nein.
Wie sich geballte Personalkürzungen in einer Region auf die Wirtschaft auswirken, erklärt Wifo-Ökonom Stefan Angel:
- Kaufkraftverlust: Verlieren viele Menschen ihren Job, kann das zu einem negativen Schock für die Kaufkraft führen, insbesondere wenn Gekündigte länger auf Jobsuche sind. Denn das Arbeitslosengeld (55 Prozent, gedeckelt) stützt die Kaufkraft nur kurzfristig.
- Stellenandrang: Mehr Personen sind gleichzeitig auf Jobsuche. Es folgt also ein höherer Stellenandrang und weniger Verhandlungsmacht für Jobsuchende. Andreas Stangl von der AK OÖ ergänzt einen Nebeneffekt: Betriebe, die Probleme hatten, Personal zu finden, tun sich wieder leichter.
- Humankapitalverlust: Kündigen einzelne Betriebe viele Personen, kann das zu einem Verlust von Humankapital (Wissen, Fertigkeiten) führen. Auch, weil Personen möglicherweise Umschulungen in Anspruch nehmen.
- Mehr Mobilität: Jobsuchende, insbesondere außerhalb urbaner Regionen, müssen möglicherweise längeres Pendeln in Kauf nehmen – doch nicht jeder ist mobil oder verfügt über einen Pkw. Potenziell kommt es zu Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren.
All diese Effekte hängen davon ab, wie viele Menschen betroffen sind, wie lange die Arbeitslosigkeit anhält und wie stark sich Massenkündigungen in einer Region und Branche konzentrieren, fasst Stefan Angel zusammen.
Was sind realistische Perspektiven?
Verlieren Menschen, insbesondere im ländlichen Raum, durch Massenkündigungen oder Werksschließungen ihren Job, verbuchen sie im Schnitt dauerhafte Einkommensverluste. Das sagt Ökonom Oliver Picek vom Momentum Institut und bezieht sich auf einige internationale Studien, die diesen Effekt belegen. „Weil man sehr oft so einen Arbeitsplatz nicht mehr bekommt.“ Insbesondere die (männlich dominierte) Industrie würde traditionell gut zahlen.
Umrüsten auf schlechter bezahlte Branchen, könnte auf lange Sicht viel kosten. Wer in seinem Metier bleiben möchte, muss eventuell bereit sein, weite Strecken zurücklegen. Wobei Pendeln auch nicht des Rätsels Lösung ist. „Es ist ja nicht so, als würde in einem Bundesland die Industrie boomen und im anderen nicht“, formuliert es Picek. Außerdem würden viele Arbeitsplätze, die jetzt verloren gehen, niemals zurückkommen, sind die Experten überzeugt.
Warum Betroffene umrüsten und nicht abwarten sollten
„Ganz viele Leute, die jetzt in die Arbeitslosigkeit kommen, werden einen Qualifizierungsbedarf haben, um woanders Fuß fassen zu können“, sagt Litzlbauer. Betroffene müssen also mit hoher Wahrscheinlichkeit umrüsten – auf Branchen, die sich im Aufschwung befinden.
Dazu zählen Pharma, Bio-Chemie oder Gesundheits- und Pflegeberufe. Doch auch Logistik und Mobilität gewinnen an Bedeutung. „Das ist ein Bereich, der in Oberösterreich eine immer wichtigere Rolle spielt“, sagt Litzlbauer. Das AMS reagiert und errichtet 2026 in Wels einen Campus, um dort Basis-Qualifizierungen zu vermitteln.
Doch nicht nur Betroffene, auch Unternehmen werden umsteigen müssen – auf Produktionen mit Zukunftsperspektive. Schaffen sie rechtzeitig die Trendwende, wird es keine dauerhaften negativen Auswirkungen auf einzelne Regionen geben, prognostiziert Ökonom Oliver Picek. Gelingt das nicht, drohe ein niedrigeres Einkommen für viele und Abwanderung.
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