Mehr Falten, bitte: Warum älter aussehen im Job besser ist
"Na, Sie trauen sich vielleicht was!“ – in der Stimme des Pressesprechers liegt peinlich berührtes Lächeln. Nein, nein, man müsse gar nicht in die Tiefe gehen, er werde die Anfrage so weitergeben. Klick.
Wenn man im Herbst 2022 danach fragt, ob das Alter – und das Älteraussehen – für Frauen ein Karrierevorteil sein könnte, begibt man sich auf Neuland. Natürlich: Generell verbindet man mit dem Älterwerden karrieretechnisch nicht vorrangig positive Aspekte.
Fit, faltenfrei, funktionstüchtig – so sieht noch immer das Mitarbeiterinnen-Ideal aus. Google hat auf die Frage „Frauen Alter Karriere Vorteil“ gleich über 29 Millionen Antworten. Es sind fast ausschließlich negative:
„ Mit 50 plus ist für Karrierefrauen Feierabend“ – liest man auf Karriere.de. „Warum Beförderungen mit 50+ so schwierig sind“ schreibt die renommierte Welt. Ausgerechnet Bild der Frau zählt die „4 tollen Vorteile“ des Alters auf, etwa mehr Gelassenheit und weniger Zweifel.
Ich gebe meinen Falten lieber Namen
Das finden Sie in diesem Artikel
- Drei Frauen berichten von ihrem Berufsleben "mit Falten"
- "Der Arbeitsmarkt kann sich das eigentlich nicht leisten": Ein Interview mit Geschlechterforscherin Christiane Funken Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz
- Die drei mächtigsten Businessfrauen der Welt
- Zahlen, Daten, Fakten zu Frauen in der Arbeitswelt
Weg vom „Mädchen-Image“
Sigrid Tschiedl (oben im Bild) ist auf dem Sprung auf ein Podium, um mit Unternehmern über: „Mehr Ausdruck macht mehr Eindruck “ zu sprechen. Sie empfindet die Frage nach den Vorteilen des Älteraussehens weder als übergriffig noch als fehl am Platz. Im Gegenteil: „Ich erlebe, dass jetzt, ab 40, die Zeit für mich als Frau im Business gekommen ist, wo meine Kompetenzanmutung – also die Kompetenz, die mir von anderen zugeschrieben wird – am stärksten wirkt“, sagt die Business-Trainerin.
Von Ende 30 bis 50, so meint sie, erleben Frauen eine gewisse berufliche Seniorität. Man entwachse dem „Mädchen-Image“ – oft konnotiert mit „Assistentin“ – und sei noch nicht „alte Schachtel, Mutti, frustrierte Emanze“, wie sie überspitzt formuliert.
Den Druck, mit etwas Botox doch für mehr Jugendlichkeit zu sorgen, kennt Tschiedl: „Aber ich gebe meinen Falten lieber Namen.“ Denn dadurch, dass man die Lebenserfahrung im Gesicht sehe, „wirke ich überzeugender.“
Ist ab 40 also die Zeit gekommen, noch einmal voll durchzustarten?
Die Zahlen sprechen eine weniger optimistische Sprache. "Nur die Hälfte aller Frauen arbeiten bis zum Pensionsantrittsalter. Das hängt mit belastenden Arbeitsbedingungen, gesundheitlichen Einschränkungen und Nachteilen am Arbeitsmarkt im Alter zusammen", erklärt Ingrid Moritz, Leiterin Abteilung Frauen und Familie AK Wien.
Rechtlich, so Moritz, sei es zwar so, dass man nicht einfach zum Pensionsantrittsalter gekündigt werden können: "Aber in der Praxis kommt es immer wieder zu Beendigungen entgegen dem Interesse von Frauen. Gerade gut Qualifizierte wollen oft noch länger arbeiten, werden aber unter Druck gesetzt."
Auch in den Führungsetagen ist noch kein Paradigmenwechsel zu sehen: Laut Frauen-Management-Report 2022 sind in den umsatzstärksten 200 Unternehmen Österreichs 91,1 Prozent der Geschäftsführerpositionen von Männern besetzt (siehe Grafik). Nur 18 von 220 Vorständen von börsennotierten Gesellschaften sind Frauen.
Und auch, wenn der Mehrumsatz von Unternehmen mit Frauen in der Führungsetage belegt ist: Fast jedes fünfte Börsenunternehmen wird in Vorstand wie Aufsichtsrat als „all-male- board“ geführt. „Zurückzuführen ist die eklatante Unterrepräsentanz von Frauen im Management auf Vorurteile, Diskriminierung und Geschlechterstereotypisierung“, so der Bericht.
Bekommt man also als ältere Frau gar keine Chance?
„Es sind Klischees aus früheren Zeiten, die Frauen nach dem Wechsel als ,alt‘ betrachten. Wenn man sich davon erst einmal befreit hat, zählt diese Lebensphase zu den produktivsten,“ plädiert Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek, Jahrgang 1952, für ein Umdenken.
Von 45 bis 55 gebe es die Chance, karrieremäßig noch einmal Anlauf zu nehmen: „Man hat mehr Kraft, ist freier von familiären Verpflichtungen. Diese Vorteile muss man sich bewusst machen.“Auch die hormonellen Veränderungen können helfen: „Der Östrogenspiegel nimmt ab, das Testosteron nimmt zu. Das ist für die Durchsetzungskraft im Business hilfreich.“
Natürlich gebe es Frauen, die mit dem äußerlichen Altern Probleme hätten– aber das Bewusstsein für die Vorteile, so Bauer-Jelinek, steige im Moment rasant an: „Weil es mehr Vorbilder gibt.“ Auch der Fachkräfte-Mangel biete Chancen. Dass Männer Frauen im Weg stehen, hält sie für ein Narrativ: „Das entspricht nicht der Realität."
Das ist eine Entschuldigung, nicht kämpfen zu müssen
In der Altersgruppe 45 bis 49 Jahren arbeiteten 2021 tatsächlich die Hälfte der Frauen Teilzeit, verglichen mit 7,1 Prozent der Männer. Moritz: „Teilzeit zeigt sich hinsichtlich Karrierechancen noch immer als Nachteil, obwohl es ein Diskriminierungsverbot gibt.“
Wer mit 40 plus – auch nach einer Kinderpause – Karriere machen will, muss seine Chancen wahrnehmen: „Oft behalten Frauen ihre Illusionen über ein kooperatives Miteinander länger als Männer. Aber ganz oben weht ein schärferer Wind“, weiß Bauer-Jelinek. Um hier zu bestehen, ist Erfahrung und höheres Alter nicht unbedingt ein Nachteil.
Doch nicht jeder fällt es leicht, in der neuen Rolle anzukommen:
Angst, von Jüngeren ersetzt zu werden, nicht mehr mithalten zu können und jede Falte und jedes graue Haar als Niederlage zu erleben, ist nichts Ungewöhnliches. Und auch von Branche zu Branche ist der Druck, jung zu sein, unterschiedlich groß.
Doch für alle gilt, was Autorin Jelinek über die Styling-Frage sagt: „Selbstbewusste ältere Frauen müssen sich nicht jugendlich geben, um Eindruck zu machen, das wirkt ohnehin meist eher lächerlich.“
Ich bin jetzt 66 Jahre alt und wünsche mir nicht, jünger zu sein
, sagt eine, die es nach ganz oben geschafft hat. Regina Prehofer, Doppeldoktorin und erfolgreiche Bankmanagerin ist ein bekanntes Gesicht. Sie war Vizerektorin der WU Wien und sitzt heute in mehreren Aufsichtsräten, etwa AT&S, Wienerberger AG und SPAR Holding. „Für gewisse Positionen, etwa Aufsichtsratsmandate, ist das ,Altsein‘ im Sinn von Erfahrung durchaus ein Vorteil und oft auch nötig“, erklärt sie offen.
Und angesichts der schlechten Kinderbetreuungssituation in Österreich, so Prehofer, sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf „für jüngere Frauen leider schwieriger als für ältere."
Auf fachliche Kompetenz statt Alter oder Aussehen setzen
Doch stimmt es, dass Frauen suggeriert wird, sie sollten möglichst lange möglichst jung aussehen, um kompetitiv zu bleiben? Ist das Aussehen bei Frauen in Führungspositionen heute wirklich noch ein Thema? Alle Unternehmen, antwortet die Top-Managerin, seien gut beraten, bei der Auswahl von Führungskräften auf fachliche und soziale Kompetenz zu setzen satt auf Alter oder Aussehen.
Jung und fesch ist in Zeiten von Personalmangel, Homeoffice und Digitalisierung sicher ein falsches Auswahlkriterium
Und was würde sie Frauen, die in Führungspositionen wollen – vielleicht auch erst ab 40 oder 45 – im Hinblick auf dem Umgang mit ihrem Alter raten?
„Ich rate jeder Frau, egal ob jung oder alt, sich der eigenen Stärken bewusst zu sein und nicht irgendwelchen Idealen oder Idolen nachzueifern. Mit Selbstvertrauen den eigenen Weg zu gehen, ist viel wichtiger“, sagt Prehofer.
Geschlechterforscherin Christiane Funken im Interview zur Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz
KURIER: Sie haben vor einiger Zeit als erste eine Studie über Managerinnen ab 50 Jahren gemacht. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse?
Christiane Funken: Viele Frauen in Führungspositionen erreichen in dem Alter eine Panzerglasdecke. Sie werden einfach nicht mehr befördert, obwohl sie nachweislich exzellente Projekte haben oder hohe Zahlen generieren. Es ist sehr frustrierend. Manche kämpfen fast verbissen, manche machen einfach ihren Job, weil sie verdienen müssen, manche steigen aus.
Wie entsteht diese gläserne Decke für ältere Frauen in Führungspositionen?
Es gilt: Je höher die Positionen, desto informeller die Besetzungsprozesse. Davon profitieren meist Männer, da sie in den richtigen Netzwerken sind. Es zeigt sich auch, dass die meisten Frauen, die in die Vorstände gewählt werden, nach zwei Jahren wieder rausgehen.
Warum? Weil sie gar nicht in die Inner Circle kommen. Es wird an ihnen vorbei Politik gemacht. Selbst die wenigen Frauen, die in Spitzenpositionen sind, verfügen nicht über die volle Macht. Natürlich gibt es aber immer Ausnahmen.
Der Arbeitsmarkt kann sich Altersdiskriminierung eigentlich nicht leisten
Unsere Gesellschaft altert, der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet – ist das nicht ein Karriere-Vorteil für ältere Frauen?
Altersdiskriminierung betrifft Frauen stärker. Der Arbeitsmarkt kann sich das aber eigentlich gar nicht leisten, man ist auf die Kompetenzen und Erfahrungen der Älteren angewiesen.
Im Moment haben wir einen Personalmangel, der so unglaublich ist, dass die Unternehmen gezwungen sind, umzudenken. Wie in der Pandemie. Das wird vielleicht helfen.
Ist die Lebensphase ab 40 karrieretechnisch nicht für Frauen ideal, weil da die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind?
Kinder sind meist ein Karriere-Knick. Doch wenn Frauen mit 40 Jahren wieder voll in den Job zurückkommen, sind viele unglaublich powerful: Sie wollen es dann noch mal wissen, haben Energie, sind flexibel. Das wird von Unternehmen nicht genug erkannt. Aber vielleicht müssen sie es jetzt erkennen.
Was können Frauen dazu beitragen, dass diese Entwicklung schneller voranschreitet?
Frauen dürfen noch selbstbewusster sein: Sie brauchen Mut: Mut zu machen, Mut zur Performance, Mut sich darzustellen. Mein Rat: Ihr könnt das, ihr habt es verdient, macht es!
Ist der deutsche Sprachraum besonders rückständig, was Frauen in Führungsetagen betrifft?
Ja. In den skandinavischen und slawischen Ländern oder auch den USA sind die Bedingungen durchaus besser. In den USA etwa gibt es gute Frauencolleges. Dort wird auch anders genetzwerkt, da bilden Frauen untereinander Strukturen und Netzwerke. Die meisten Frauen, die beruflich erfolgreich waren, kommen aus Mädchenschule.
Die mächtigsten Businessfrauen der Welt
Laut US-Magazin Fortune gibt es heuer mehr weibliche CEOs denn je – sie sind selten unter 50
Seit 25 Jahren veröffentlicht das Medienunternehmen Fortune eine Liste der mächtigsten Business-Frauen der Welt. Noch nie war diese so umkämpft wie heuer, denn die Zahl der weiblichen Global 500-CEOs hat einen Rekordwert erreicht.
CEO des Pharmaunternehmens CVS Health. Die bald 60-Jährige wurde von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen, die Selbstmord beging, als Lynch zwölf war. Der große Karriere-Sprung gelang im zweiten Anlauf: Sie arbeitet ein Jahrzehnt in der Versicherungsbranche, bevor sie ein MBA machte. Das, so sagt sie, war die „Starthilfe“, um sie in die Führungsetage zu bringen.
Sie ist seit 2019 CEO des multinationalen Unternehmensberaters Accenture. Für das 700.000-Mitarbeiter-Unternehmen hat die zweifache Mutter ehrgeizige Ziele: Bis 2025 sollen 50 Prozent der Vorstandsmitglieder Frauen sein.
Seit März 2021 ist sie CEO der Citigroup und damit erste weibliche Vorstandsvorsitzende einer Top-Wall-Street-Investmentbank. Die Karriere lief nicht immer glatt: Sie arbeitete Teilzeit bis ihr Mann seinen Job als Bankmanager aufgab, um die Kinder zu betreuen. Fraser: „Mutter von kleinen Kindern zu sein und einen Beruf auszuüben ist das Schwierigste, was ich je tun musste. Man ist erschöpft, hat Schuldgefühle, muss lernen, Dinge anders zu machen. Das hat mich geprägt.“
Kommentare