Elternwohl geht vor Kindeswohl: Reinhard K. Sprenger im Gespräch
Das neue Buch von Reinhard K. Sprenger fällt aus der Reihe. Der Management-Guru schreibt sonst über Führung und Unternehmen. Warum also jetzt über die Familie? Seit über 30 Jahren hat er Gedanken zur Elternschaft gesammelt.
Der Vater von vier Kindern hat das jetzt aufgeschrieben. Es geht um Familienmanagement, nein, viel mehr um das Lebensmanagement von Eltern.
KURIER: Herr Sprenger, Ihr neues Buch heißt „Elternjahre“. Warum dieses Thema?
Reinhard K. Sprenger: Weil ich über Jahre Gedanken dazu gesammelt habe. Jetzt drängte es nach draußen. Ich wurde in der Praxis immer auf Parallelen zwischen Unternehmen und Familien hingewiesen, dabei wollte ich immer die Unterschiede hervorheben. Viele Klienten sagten mir aber: Das mit dem Aufsichtsrat krieg’ ich schon hin, aber mit meiner Tochter, das ist richtig schwierig…
Würde ich mein privates Geld einsetzen, würde ich in einer Firma Mütter ab 45 immer bevorzugen
Hat das Führen von Kindern etwas mit dem Führen von Mitarbeitern zu tun?
Es gibt durchaus Parallelen, aber nur im weitesten Sinne. Erziehung ist Führung, aber Führung ist nicht Erziehung. Für mich ist die Übertragung des Familiensystems auf die Unternehmensführung grundsätzlich problematisch. Fürsorgen, Liebe, Obsorge – das gehört in die Familie. Und nur sehr abgeschwächt ins Unternehmen.
Der Trend geht in Firmen aber dorthin.
Für mich ist das übergriffig. Im Unternehmen haben wir eine Leistungspartnerschaft, es geht um Geben und Nehmen. In Familien hingegen ist Geben und Nehmen keine ausbalancierte Rechnung.
Früher lief das Kind nebenher, es war Nachwuchs und Pensionsvorsorge
Aber „Freunde sein“, „alle sind auf Augenhöhe“ – das finden wir in Familien und Firmen.
Und sowohl in Unternehmen als auch gegenüber Kindern ist es eine falsche Idee. Wir sind gegenüber Kindern immer Eltern und diese Beziehung ist immer asymmetrisch.
Und in Unternehmen ist es genauso: Man kann zwar freundlich sein, aber kein Freund in einer Leitungspartnerschaft. Wenn Mitarbeiter etwa nicht mitspielen, muss man sich ja auch trennen können.
Sind Fähigkeiten, die man aus der Kindererziehung zieht, im Management brauchbar?
Generelle Aussagen sind schwierig. Aber man kann feststellen, dass der Verantwortungshorizont von Eltern tendenziell länger ist als von Nicht-Eltern. Würde ich mein privates Geld einsetzen, würde ich in einer Firma Mütter ab 45 immer bevorzugen – und das sage ich als dezidierter Feind von Quoten.
Weil Mütter das Spiel mit den sieben chinesischen Tellern draufhaben: also alles gleichzeitig hinkriegen, alles am Laufen halten. Das können sie besser als die meisten Männer, die ich erlebt habe.
Wir erleben eine Generation, die kaum noch eine Zukunftsvision hat, und deshalb im Job auch nicht investiert
Sie sagen, man bekommt heute Kinder, weil man dadurch als Familie eine Identität bekommt. Das Kind wird zum Projekt, ist eine Ego-Prothese der Eltern. Was meinen Sie damit?
Früher lief das Kind nebenher, es war Nachwuchs und Pensionsvorsorge. Mittlerweile wird das Kind nicht nur erzogen, es wird auch zu einem identitätsstiftenden Element der Familie. Das geht so weit, dass sich Eltern über den Erfolg der Kinder definieren: im Status- und Unterscheidungswettbewerb soll das Kind die Familie glänzen lassen.
Auch Jobs geben Identität und sind mitunter gut fürs Ego. Geht es sich aus, im Job gut zu performen und ebenso in der Familie?
Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Es soll doch beides gut möglich sein. Das Leben dem Beruf zu widmen, das ist aber in der jüngeren Generation definitiv schwächer ausgeprägt. Es gibt starke Verschiebungen hin zur Familie. Wir erleben eine Generation, die kaum noch eine Zukunftsvision hat, und deshalb im Job auch nicht investiert.
Kinder werden als Projekt gesehen, das es zu optimieren gilt
Wir sehen weniger Karriereambitionen, dafür mehr Zeit für Familie und Freunde. Sie sagen sogar, Eltern investieren zu viel in die Kinder.
Eltern wollen heute über die Kinder leuchten. Die Kinder werden als Projekt gesehen, das es zu optimieren gilt. Dabei ist der Einfluss der Eltern auf die Kinder dramatisch überschätzt. Umfeld und Zufall spielen eine viel größere Rolle. Wir sollten gelassener sein und uns wieder mehr auf uns selbst konzentrieren.
Sie sagen, Elternwohl geht vor Kindeswohl.
Es ist wie im Flugzeug: Zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske anlegen, dann dem Kind. Das Dauer-Anstrengungsprogramm der Eltern für ihre Kinder ist zu viel. Die wesentliche Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung der Kinder ist das Wohl der Eltern.
Deshalb darf man sich selbst und die Beziehung als Paar nicht vernachlässigen.
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