Kampf um die EU-Schuldenpolitik: Wer zahlt für die Krise?
Nach Corona muss strenge Haushaltsführung wieder die Norm sein, fordern Österreich und weitere „frugale“ Staaten. Andere Regierungen wollen flexiblere Vorgaben. Der Streit ist eröffnet.
„Das ist wie ein Tempolimit vor der Schule“, zog kürzlich Gernot Blümel (ÖVP) in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung einen Vergleich: „Wenn man sich nicht daran hält, lautet die Lösung mehr Kontrollen und härtere Strafen. Und nicht, einfach das Tempolimit aufzuheben.“
So soll es nach dem Willen des österreichischen Finanzministers, sowie sieben weiterer EU-Staaten auch im Falle des EU-Stabilitätspaktes gehandhabt werden: Der Pakt, der seit gut 20 Jahren die Schuldenregeln der 19 Euro-Staaten festschreibt, sei flexibel genug. Seine Regeln müssten nur endlich wirklich angewendet werden.
Nämlich: Die Staatsverschuldung darf maximal drei Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, die Gesamtverschuldung nicht 60 Prozent überschreiten. Andernfalls drohten sogenannte „exzessive Defizitverfahren“ der EU-Kommission.
Defizitsünder
Doch schon bisher ließ die Behörde in Brüssel die Defizitsünder oft davon kommen.
„Zwischen 2013 und 2019 gab es immer wieder Länder, deren Fiskalpolitik die Regeln streng genommen nicht eingehalten haben“, schildert Martin Larch, Generalsekretär des Europäischen Fiskalrates, dem KURIER. „Die Kommission hat dann meistens eine Interpretation der Regeln gefunden, die weitreichende Budgetkorrekturen abgewendet hat. Und der Rat ist den Interpretationen der Kommission in der Regel gefolgt.“Profitiert haben davon besonders Italien, aber auch andere Euroländer.
Und dann kam auch noch Corona: Seit Frühling des Vorjahres sind die Regeln des Stabilitätspaktes ausgesetzt. Denn ohne die Aufnahme gewaltiger Staatsschulden wäre kein einziges europäisches Land durch die schwere Wirtschaftskrise in der Pandemie gekommen - insbesondere im Euroraum, wo die Leitzinsen der EZB bereits nahe Null lagen und einer klassischen geldpolitischen Stabilisierung Grenzen gesetzt waren.
Ab 2023 aber sollen die alten Regeln wieder gelten, fordern die sparsamen, „frugalen“ Länder der Eurozone – Österreich ganz voran.
Sicher aber ist vorerst nur: Mindestens sieben Euro-Länder werden die Vorgaben so bald nicht erfüllen können. Griechenlands Schuldenquote etwa liegt derzeit bei 210 Prozent, jene von Italien bei 155 Prozent.
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni ließ deshalb schon vor Wochen anklingen: „Es ist gefährlicher, die staatlichen Hilfen im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu früh zurückzuziehen als dies zu spät zu tun.“ Heute, Dienstag, eröffnet die Kommission offiziell die Debatte um eine Überprüfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Und sie wird für heftige Auseinandersetzungen zwischen den Staaten sorgen.
Ruf nach Flexibilität
„Länder mit hohen Schuldenständen argumentieren: Wir sind unverschuldet in diese Krise geraten, aber wir haben alle Maßnahmen gesetzt, um sie zu meistern. Und das müsse in einem neuen Regelwerk auch berücksichtigt werden“, schildert Experte Larch.
Zu den lautstarksten Rufern nach flexibleren Regeln zählen traditionell Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland.
Spannend wird es jetzt im Herbst: Alle EU-Staaten müssen der Kommission ihre Budgetpläne vorlegen. Wobei sich Österreich wegen des Wirtschaftsaufschwungs von besserer Seite präsentieren wird als zunächst erhofft: Das Defizit soll im kommenden Jahr von derzeit 6 Prozent auf 2,3 Prozent sinken.
Vom Erreichen der Schuldenquote, wie sie im Stabilitätspakt festgeschrieben ist, bleibt allerdings auch Österreich noch meilenweit entfernt: Ende 2022 wird sie voraussichtlich 82,8 Prozent betragen.
Wegen der geringeren Defizitprognose des Finanzministers wird die Oesterreichische Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA) deshalb heuer auch weniger Geld für den Staat aufnehmen müssen: Die Rede ist von 60 Milliarden Euro anstatt bisher geplanter 65 bis 70 Milliarden Euro.
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