Industrieller Martin Hagleitner: „Mittelfristig geht es nur mit Gas“
Die hohen Energiepreise verstärken die Nachfrage nach alternativen Speicher- und Heizungssystemen enorm. Das spürt auch die steirische Austria Email AG, ein Hersteller von Warmwasserspeichern und Wärmepumpen.
KURIER: Wie wirken sich die Probleme auf dem Energiemarkt aus?
Martin Hagleitner: Privaten kann es nicht schnell genug gehen, aus Öl und Gas rauszukommen. Unsere ohnehin ambitionierten Pläne für 2022 sind mit Kriegsbeginn ins Altpapier gewandert. In Deutschland müssten jährlich eine halbe Million Wärmepumpen installiert werden, um die Klimaziele zu erreichen. Jetzt sind es nur 150.000. Und das zieht sich durch viele Bereiche. Die explodierende Nachfrage bringt Hersteller und Installateure über ihre Grenzen. Die Lieferzeiten haben früher zwischen drei und acht Wochen betragen. Jetzt bewegen wir uns bei vielen Produkten im Bereich sechs Monate aufwärts. Bei dringenden Reparaturen oder Ausfällen gibt es Vorreihungen für Kunden. Der Anlagebestand ist in Österreich leider sehr alt und fossil.
Worin liegen die Gründe für die langen Wartezeiten?
Die beiden Hauptgründe sind dieselben wie bei vielen anderen Betrieben. Zum einen in den gestörten Lieferketten. Wir wollten Anfang 2023 ein weiteres Werk in Deutschland in Betrieb nehmen. Das mussten wir auf Ende 2023 verschieben, weil die Anlagenbauer wichtige Steuerungen nicht liefern können. Zum anderen mangelt es an Fachkräften. Laut dem Repower Europe Programm benötigt es in der EU 50 Prozent mehr Installateure bis 2030.
Wie viele zusätzliche Mitarbeiter benötigen Sie?
Obwohl wir heuer 40 Kräfte an Bord holen konnten, brauchen wir noch weitere 30 bis 40, und zwar in allen Bereichen, von Verkauf über die Produktion bis hin zum Kundendienst. Das Problem hat sich mit der gestiegenen Nachfrage verschärft.
Was machen Sie nun?
Wir versuchen, mit mehr Leiharbeitern über die Runden zu kommen und Leasingkräfte, die sich bewährt haben, dauerhaft zu übernehmen. Und jeder unserer eigenen Mitarbeiter, der eine Arbeitskraft für Austria Email gewinnt, erhält eine Prämie von 2.000 Euro, sofern die neue Kraft mindestens sechs Monate bleibt. Es gibt bereits erste Empfehlungen. Auch in Südosteuropa wird über diverse Kanäle rekrutiert, wobei es hier auch bei der Integration in den Betriebsprozess auch zu Rückschlägen kommt. Nicht zuletzt versuchen wir auch pensionierte Mitarbeiter zurückzuholen oder Selbstständige zumindest für eine Überbrückung von Spitzen anzusprechen.
Welchen Effekt haben die Probleme auf die Preise bei Austria Email?
Wir mussten wegen höherer Rohstoffkosten schon in den letzten zwei Jahren die Preise unterjährig erhöhen. Angesichts der aktuellen Energiekosten und bevorstehenden Lohnverhandlungen ist nicht absehbar, wie lange die Preise noch gehalten werden können.
Wie hoch sind die Energiekosten bei Austria Email?
Die absehbare Steigerung der Energiekosten 2022 im Vergleich zum Vorjahr beträgt 350 Prozent und der Energieanteil an den Kosten wird sich von 2021 auf 2022 mindestens verdreifachen. Teile unserer zentralen Anlagen werden mit Gas versorgt. Wir haben geprüft, ob wir umrüsten können. Aber mittelfristig geht es nur mit Gas, weil wir müssten die Anlagen abbauen, umrüsten und wieder montieren. Das ist in Zeiten der langen Lieferzeiten unrealistisch.
Was tun Sie dann?
Gemeinsam mit anderen steirischen Industriebetrieben lagern wir durch den Energieversorger Estag in Haidach Gas ein. So sollten wir auch im Falle einer Eskalation unsere Produktion aufrecht halten können. Generell spiegelt aber der aktuelle Gaspreis eine gewisse Panik im Markt wider.
Apropos Lohnverhandlungen: Ihre Meinung zu den Forderungen der Gewerkschaft?
Wegen des turbulenten Umfelds sehe ich es als verzichtbar an, dass es zu groß angelegten Maßnahmen der Gewerkschaft kommt. Unternehmen können die Teuerung nicht allein schultern. Staat, Betriebe und Beschäftigte müssen diese Krise gemeinsam bewältigen. Deshalb plädiere ich für einen raschen und maßvollen Abschluss, der auch die Entlastungsmaßnahmen der Regierung berücksichtigt. Für Maßnahmen zur Ursachenbeseitigung gegen die aus dem Ruder geratenen Energiekosten sollte die Gewerkschaft sich direkt an die Bundesregierung und die EU wenden.
Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung?
Ich habe eine gewisse Hoffnung, dass eine lange Rezession doch nicht eintritt. Diejenigen, die das immer erwarten und prognostizieren, sind dieselben, die uns erklärt haben, dass die Wirtschaft Jahre brauchen wird, bis das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht ist oder es auch in Zukunft eine jahrelange Tiefzinsphase gibt. Sie sollen sich überlegen, was sie damit anrichten, Konjunktur wird auch über Stimmung und Erwartungen gemacht. Ja, es wird sicher eine Abkühlung geben, aber diese hat auch etwas Gutes, da dadurch die Inflation zurückgehen wird. Und vielleicht beschleunigt die aktuelle Lage auch die ökologische Transformation.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Es braucht Signale, die zeigen, Energie ist knapp. Aber durch den Überförderungswettbewerb von Bund und Ländern haben wir im Extremfall sogar Haushalte, die weniger zahlen als früher. Wenn man mehr Geld aus dem Helikopter wirft, löst das die Probleme und deren Ursachen nicht. Es braucht Direkthilfen und Zuschüsse, rasch und großzügig, aber nicht für jeden Haushalt. 60 Prozent kann man erst einmal außen vor lassen, schätzt der Internationale Währungsfonds.
Zur Person
Der 1966 geborene Martin Hagleitner ist seit 2010 Vorstand der Austria Email mit 400 Mitarbeitern.
Zum Unternehmen
Die französische Groupe Atlantic übernahm 2015 die Aktienmehrheit am österreichischen Hersteller. 2017 nahm der neue Eigentümer das Unternehmen von der Wiener Börse. Dort hatten die Aktien seit 1855 notiert. Hagleitner ist zudem im Konzern für die deutschsprachigen Länder sowie ausgewählte Marken zuständig.
107,3 Mio. Euro
betrug 2021 der Umsatz bei Austria Email (plus 24 % zu 2020). Das Ergebnis (EGT) stieg von 6,3 auf 9,3 Mio. Euro.
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