Einsame Spitze: Sieben gelungene Projekte alpiner Architektur
Bauen in alpinen Regionen ist eine Gratwanderung. Ein unwegsames Gelände, das – im Unterschied zum Flachland – schwer zugänglich ist. Raue Wetterbedingungen mit hohen Windgeschwindigkeiten und starken Temperaturschwankungen von minus 30 bis plus 20 Grad, welche die Bauzeit verkürzen.
Dem gegenüber steht eine jahrhundertealte Bautradition, die von Architekten in eine moderne Ästhetik übersetzt werden soll – abseits von Dirndl-Architektur und Chalet-Kitsch. Moderne Technik, die eine alternative Energieversorgung und einen nachhaltigen Betrieb ermöglicht, sowie neuartige Materialien, die der extremen Belastung standhalten, sollen in eine imposante Kulisse eingebettet werden.
Trotz dieser Herausforderungen hat die alpine Architektur wegweisende Beispiele hervorgebracht. Etwa die futuristisch wirkende Gaislachkoglbahn in Sölden, das Bergrestaurant „Ice Q“ sowie die James-Bond-Erlebniswelt, die der Tiroler Johann Obermoser umgesetzt hat. Oder die Bergstation der Wildspitzbahn von Carlo Baumschlager, die wie ein sanfter Gupf auf einem Felsgrat auf 3440 Meter Höhe balanciert.
Neue Perspektiven über Innsbruck
Spektakuläre Landmarks findet man auch in Innsbruck, wo Zaha Hadid die Sprungschanze und eine Bergbahn – die Hungerburgbahn – gebaut hat. Auf der Seegrube hat die Innsbrucker Niederlassung des norwegischen Büros Snøhetta den „Perspektivenweg“ realisiert. Zehn architektonische Stationen bieten die Möglichkeit, die Bergwelt aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben.
„Das Angebot ist hauptsächlich für Touristen konzipiert, die wegen der Aussicht auf den Berg kommen. Der Weg soll dabei helfen, sich näher mit der Natur auseinanderzusetzen. Aber auch Einheimische nutzen die Stationen für Yoga oder als Rastplätze bei Wanderungen“, sagt Studioleiter Patrick Lüth.
KURIER: Herr Goldeband, was konkret ist Ihre Rolle vor Ort beim Bau neuer Schutzhütten des Alpenvereins Austria?
Richard Goldeband: Ich bin für die beiden Bauprojekte, die Seethalerhütte am Dachstein und die Voisthalerhütte am Hochschober, die gerade in Bau ist, zuständig und der Vertreter des Bauherren. Außerdem betreue ich ehrenamtlich fünf Hütten am Dachstein, zwei am Hochschwab und die Oberwalderhütte am Großglockner. Es muss immer etwas repariert werden, Aggregate werden kaputt oder der Schnee ist hineingekommen.
Was ist die größte Herausforderung beim Bauen am Berg?
Die Transportlogistik und das Wetter. Für die Voisthalerhütte zum Beispiel wird das Material in 1000 Hubschrauberflügen auf den Berg transportiert. Der Hubschrauber kann nur dann fliegen, wenn er beim Start und bei der Landung gute Sicht hat. Das beeinflusst die Bauzeit enorm. Außerdem beeinträchtigen die Flüge die Umwelt. Wir haben ein Jahr lang mit dem Nachbarn verhandelt, denn Anrainer müssen dem Bau zustimmen. Er hat gesagt, die Flüge vertreiben seine Gämsen. Wir zahlen in solchen Fällen eine Abfindung dafür, dass er dem Bau zustimmt.
Aktuell baut der Alpenverein die Voisthalerhütte am Hochschwab. Wie groß ist der logistische Aufwand?
Für die Einrichtung der Baustelle wurde ein 20 Meter hoher Leichtkran angeflogen. Der Hubschrauber liefert dabei die Einzelteile, die Handwerker bauen diese am Kran in der Luft stehend zusammen. Und es hat drei Tage gedauert, den Bagger für die Erdarbeiten auf den Berg zu bringen, denn er musste den ganzen Weg hinauffahren.
Wie baut man in diesem unwegsamen Gelände?
Bis eine Bodenplatte für die Hütte errichtete werden kann, muss man den Fels weg schremmen, durchlöchern oder zubetonieren. Die Platte muss in einem Guss gemacht werden, weil das Wetter schlecht angesagt war und der Hubschrauber dann nicht fliegen kann, haben wir den ersten Versuch abgebrochen und dadurch 14 Tage verloren. Witterungsbedingt kann man nur ab Mai bis Mitte oder Ende Oktober bauen.
Wie gelangen die Handwerker zur Baustelle und wo wohnen sie?
Die alte Voisthalerhütte steht noch, in einem Teil wohnen die Bauarbeiter. In der Regel gelangen sie zu Fuß auf den Berg, sie machen sich einen Spaß daraus, wer zuerst bei der Hütte ist. Je nach Gewerk sind sie maximal zehn Tage am Berg. Auch ich gehe zu Fuß hinauf. Gearbeitet wird, bis die Sonne untergeht.
In den vergangenen Jahren wurden nur wenige neue Schutzhütten errichtet, wird sich das ändern?
Schutzhütten sind in Österreich in zwei Wellen gebaut worden, vor dem Ersten Weltkrieg und nach dem zweiten. Erstere sind über 100 Jahre alt. Daher diskutieren wir im Alpenverein Austria intensiv, dass wir in naher Zukunft mehr reparieren als bisher und es werden auch zunehmend mehr Neubauten errichtet werden müssen. Der Alpenverein finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und eine Bundesförderung, wir müssen überlegen, wie wir das finanzieren.
Bauen in den Bergen ist seit jeher umstritten. Die Schönheit der alpinen Landschaft würde zerstört, das fragile Ökosystem gestört. Doch die Menschen zieht es nach draußen, wie zuletzt die Corona-Krise deutlich gemacht hat. Hier kommt der Architektur eine wichtige Rolle zu, sagt Lüth: „Sie kanalisiert Besucherströme und entlastet andere Bereich in der Bergwelt. Die Herausforderung besteht darin, möglichst wenig Schaden anzurichten und gleichzeitig möglichst vielen Menschen auf ökologisch verträgliche Weise ein intensives Erleben des Naturraums zu gewähren.“
Architektur soll Natur in Szene setzen
Damit sich Neubauten harmonisch in ihre Umgebung einfügen, ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem topografischen und kulturellen Kontext wichtig. „ Jedes Projekt wird aus dem Ort heraus entwickelt und für den Ort gemacht“, sagt Lüth. Wenn Alpen-Architektur in Dialog mit der Landschaft tritt und den Spagat zwischen Modernität und Tradition schafft, können in den Bergen echte Schmuckstücke entstehen, die auch die nächsten hundert Jahre überdauern. Für die folgenden sieben Beispiele dürften die Chancen gut stehen.
Mehr zum Thema zeigt die Ausstellung „Arctic Nordic Alpine“ im Berliner Architekturforum Aedes. Präsentiert werden wegweisende Projekte des renommierten Architekturbüros Snøhetta. Bis 20. August, www.aedes-arc.de.
1. Seethalerhütte, Dachstein in Schladming, 2019
1929 wurde die Seethalerhütte auf 2740 Metern Höhe errichtet, umgeben vom ewigen Eis des Gletschers. Da die Bausubstanz desolat wurde, hat der Alpenverein Austria einen Ersatzbau errichtet, im Architekturwettbewerb haben sich dreiplus Architekten ZT durchgesetzt.
Entstanden ist ein kompakter Baukörper aus Holz und einer Fassade aus Lärchenschindeln, der in die Topografie eingebettet wurde, ausgestattet mit Solarfassade, Miniblockheizkraftwerk mit Rapsöl, Pufferspeicher, kontrollierter Belüftung und Nutzung der Abwärme.
2. Naturparkhaus, Längenfeld im Ötztal, 2018
Am Fuß eines Felshangs konzipierte Hanno Schlögl das Naturparkhaus als künstlichen Felsen. Ein Damm schützt das Areal vor Steinschlägen. Schlögl: „In diesem Umfeld wollte ich bewusst ein schweres, skulpturales Haus entstehen lassen.“
Die Betonfassade mit waagrechtem Bretterschalungsbild macht den Dialog zwischen Fels und Holz sichtbar. Das begrünte Dach verschmilzt mit der Landschaft, der Wasserfall steht symbolisch für die Rolle des Wassers und die Badl-und Kulturgeschichte in Längenfeld.
3. Salmhütte am Großglockner, 2017
1929 wurde die Salmhütte des Alpenverein Wien am Fuße des Großglockners auf 2644 Meter Höhe eröffnet. Im Sommer 2017 wurde sie durch einen Zubau erweitert, neben einer neuen Stube und einer Terrasse entstand auch ein Trockenraum im Keller. Auch eine neue, größere Küche wurde hier untergebracht. Geplant von dreiplus Architekten, die im Wettbewerb überzeugten, entstand ein Holzbau mit Schindelfassade.
4. Iceman Ötzi Peak über Meran, 2020
Am 1. August wurde die Aussichtsplattform Iceman Ötzi Peak am Schnalstaler Gletscher von der Schnalstaler Gletscher AG eröffnet, oberhalb der Bergstation auf der 3.251 Meter hohen Grawand Spitze. Hier kann man den Ausblick auf die Bergwelt genießen, wie Ötzi schon vor 5.300 Jahren. Das aus Corten-Stahl errichtete Bauwerk ist über eine Treppe in zehn Minuten von der Bergstation bequem erreichbar.
5. Alpinsportzentrum in Schruns, 2018
Im Bergdorf Schruns hat Architekt Bernardo Bader am Silvrettaplatz einen Verwaltungsbau für die Silvretta Montafon GmbH gebaut. Der kompakte Massivbau in Würfelform hat eine Fassade aus Naturstein bekommen, wo Gneis und Granit handwerklich verarbeitet wurden. Das Gebäude dient als Verwaltungs- und Schulungszentrum sowie Schaltzentrale des Sportgebiets und ist öffentlich zugängliche Informationsstelle für Touristen.
6. Regensburger Hütte im Stubaital, 2018
Die Regensburger Hütte wurde 1931 vom Deutschen Alpenverein in Neustift in den Stubaier Alpen auf 2286 Metern errichtet, neben einem kleinen See. Im Sommer 2018 wurde die alte, unter Denkmalschutz stehende, Hütte behutsam generalsaniert und für das alte Nebengebäude nach Plänen von Architekt Rainer Köberl ein Ersatzbau aus Holz errichtet, mit modernem Seminarraum und Winterraum.
7. Perspektivenweg auf der Seegrube, Innsbruck 2018
Direkt aus dem Stadtzentrum gelangt man mit der Hungerburg- und der Nordkettenbahn zum „Perspektivenweg“, den das Innsbrucker Studio des norwegischen Büros Snøhetta realisiert hat. Der einfach begehbare, rund 2,8 Kilometer lange Rundweg bietet Gelegenheit, die Bergwelt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erleben. Zehn Elemente – von Sitzbänken über ein Auditorium bis zum Aussichtssteg, der markant aus dem Gelände ragt – wurden subtil in die schroffe Landschaft integriert. Anstatt eines spektakulären Bauwerks steht hier die Natur selbst im Mittelpunkt.
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