Staatlich geförderter Exzess

Premier David Cameron zu Besuch bei Hauskäufern in Northampton.
Hauskauf mit fünf Prozent Eigenkapital – Kritiker: London subventioniert neue Immobilienblasen.

Das Wunder geschah im Sommer: In Großbritannien kam das Wachstum zurück. Noch Anfang 2013 hatten viele Experten einen dritten Absturz in die Rezession prophezeit. Und jetzt wuchs die britische Wirtschaft flotter und stärker als prophezeit. Wie das? Hatte sich – spät, aber doch – der harte Sparkurs bezahlt gemacht?

Eher das Gegenteil. Der Konjunkturschub kommt von einem Programm mit dem schönen Namen „Help To Buy“ (Details unten). Die konservativ-liberale Regierung pumpt etliche Milliarden Pfund in den Immobiliensektor. „Das hat eine Euphorie ausgelöst“, sagt Georg Karabaczek, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in London. Für Hauskäufer sind es paradiesische Zustände: Wer sich in Großbritannien ein Eigenheim leistet, muss für den Kredit nur fünf Prozent eigenes Geld beisteuern. Der Staat gibt den Käufern einen – anfangs sogar zinsfreien – Kredit von bis zu 20 Prozent des Hauspreises, der Rest kommt von der Bank.

Vorbild USA?

Die Regierung will damit die Bauwirtschaft fördern, die seit 2008 um fast ein Fünftel geschrumpft ist. Das scheint zu klappen. Zugleich werden aber böse Erinnerungen wach: Die Subprime-Krise in den USA kam ins Rollen, weil Bürger, die praktisch gar kein Vermögen hatten, Immobilienkredite erhielten.

Hausbesitz war zum politischen Ziel geworden: Präsident Bill Clinton hatte Ende der 1990er eine Initiative gestartet, um möglichst viele US-Bürger zu Hausbesitzern zu machen. Damit war die Basis für die Blase gelegt, die 2007 spektakulär platzte.

In Großbritannien droht sich der Wahnwitz zu wiederholen. Sogar regierungsintern wurde Kritik laut: Unternehmensminister Vince Cable hat Bedenken, dass eine künstliche Spekulationsblase aufgepumpt wird. Die Labour-Opposition kritisiert „Help To Buy“ als Verschwendung: Steuergeld werde zu reichen Briten umverteilt. Für Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen werde der Hauskauf trotz Subvention unerschwinglich bleiben, analysierte jüngst die Londoner Denkfabrik Resolution Foundation.

Daneben gibt es namhafte Kritiker, die sicher nicht zur linken Opposition zählen: Ex-Notenbankchef Sir Mervyn King und der Internationale Währungsfonds sehen ebenfalls die Gefahr von Blasen.

Hoher Kreditanteil

Nicht ohne Grund. Rasch steigende Preise und ein hoher Anteil an fremdem Geld – im Vereinigten Königreich blinken beide Alarmsignale. Die durchschnittlichen Verkaufspreise für Wohnimmobilien sind laut einer Deloitte-Studie von 2011 bis 2012 um 13,5 Prozent gestiegen: Europa-Rekord. (In Österreich betrug der Anstieg 4,8 Prozent). Mit Preisen von 10.000 Euro pro Quadratmeter ist London mit Abstand die teuerste Stadt Europas.

Und obendrein ist der Boom schon jetzt hochgradig fremdfinanziert. Das Volumen der Hypothekarkredite liegt mit 84 Prozent der Wirtschaftsleistung weit über dem EU-Schnitt (52 Prozent). Österreich kommt auf solide 28 Prozent.

Drohende Blasen, Steuergeld für die Reichen? Premier David Cameron wischte das vor wenigen Tagen als „Nonsens“ beiseite: Die Ankurbelung der Wirtschaft habe doch funktioniert – und Tag für Tag könnten 75 Familien bleibende Werte schaffen.

„Schlafzimmer-Steuer“

Kritiker befürchten, dass durch „Help To Buy“ die hohen Wohnkosten und Mieten sogar noch weiter steigen werden: Weil die Neubauten mit der staatlich angekurbelten Nachfrage nicht Schritt halten, würden die Preise noch rascher steigen.

Und noch aus einem anderen Grund gehen bei den Briten die Emotionen hoch: Während die Regierung großzügig zu Hauskäufern ist, baut sie das Sozialsystem massiv um. Auf arbeitslose Briten steigt künftig der Druck, sich einen neuen Job zu suchen. Beihilfen, Unterstützungen und Zuschüsse werden gebündelt: „Eine Megaaufgabe“, sagt Karabaczek.

Und eine mit Zündstoff: Weil Sozialhilfeempfänger angemessen leben sollen, erhalten sie Wohnzuschüsse nur noch für ein Schlafzimmer pro Person oder Ehepaar. Eine BBC-Comedy hat nun den größten Sozialschmarotzer identifiziert: Die königliche Familie. Sie habe im Buckingham Palace gleich 700 Räume zu viel...

Staatlich geförderter Exzess
Die Nachfrage nach Wohnungen ist besonders im Südosten hoch – dort steigen die Preise extrem rasch.

Start im April 2013

In der ersten Phase stellte die britische Regierung bis zu 3,5 Mrd. Pfund (4,2 Mrd. Euro) für den Kauf neu gebauter Eigenheime bereit. Der Staat steuert (anfangs zinsfreie) Kredite für bis zu 20 Prozent des Preises bei, 75 Prozent kommen von der Bank. Und das für Häuser im Wert von bis zu 600.000 Pfund (720.000 Euro). Mehr als 42.000 Käufe wurden unterstützt.

64 Prozent Eigentümer

Im Oktober begann Phase zwei: Banken können 15 Prozent der Kreditsumme mit Steuergeld absichern. Das gilt ab 2014 für den Ankauf schon bestehender Immobilien. Bisher gingen 2400 Anträge über 365 Mio. Pfund (440 Mio. Euro) ein. 64 Prozent der Briten sind Eigenheimbesitzer – der Anteil war zuletzt rückläufig.

Staatlich geförderter Exzess

Großbritannien kiefelt an der schwersten Krise seiner Geschichte: Die Wirtschaftsleistung ist noch immer nicht, wo sie 2007 war – sie liegt 10 Prozent darunter. Die Briten sparen strikt, die Konsolidierung dauert aber länger als erwartet. Im Haushalt klaffte 2012 ein Riesenloch (6,1 Prozent), und die Staatsschulden wandern Richtung 100 Prozent.

Das Land braucht eine neue Story: Auf die riesige Finanzindustrie kann sich London nicht mehr verlassen, dort werden Jobs gestrichen. Obendrein gehen die strengeren Regeln an den Banktürmen der City of London nicht spurlos vorüber – da mag die Finanzbranche ihre Privilegien noch so sehr mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Die Ölreserven in der Nordsee gehen langsam, aber sicher zur Neige. Und mit den Debatten über einen EU-Austritt und die Unabhängigkeit der Schotten droht das stolze Vereinigte Königreich zu vereinsamen.

Österreichs Wirtschaftsdelegierter Georg Karabaczek hofft auf ein nachhaltiges Wachstumskonzept. Die groß angekündigte Re-Industrialisierung habe bis dato eher wenig gebracht: „Es fehlt an Facharbeitern – und an der Wertschätzung für das Handwerk an sich.“

Nachholbedarf

Der Hoffnungsschimmer: Zwischen August und November 2013 ist die Industrieproduktion so stark gewachsen wie seit 18 Jahren nicht. Das ist bitter nötig: Die britische Industrie hat nur noch elf Prozent Anteil an der gesamten Wertschöpfung. Das EU-Ziel sind 20 Prozent.

„Die Briten lieben den Handel. Sie sind nur leider nicht besonders gut darin“, fasste das Wirtschaftsmagazin Economist kürzlich lapidar zusammen. Österreich hat im ersten Halbjahr 2013 seinen Handelsüberschuss mit Großbritannien stark gesteigert – von 524 auf 669 Millionen Euro. Und das, obwohl die Ausfuhren von Österreichs Firmen um drei Prozent gesunken sind. Umgekehrt war es aber noch dramatischer: Britische Exporte nach Österreich sind um 16 Prozent eingebrochen.

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