Die Angst der Industrie vor Amerika

Österreich hat noch einen hohen Industrieanteil, die Wettbewerbsfähigkeit ist laut Experten aber in Gefahr.
Wirtschaftsforscher und Industrie fürchten um die Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Die europäische Industrie gerät zunehmend unter Druck. Spätestens seit der massiven Re-Industrialisierung in den USA, die vor allem durch die niedrigen Energiepreise ermöglicht wird, fürchten Experten und Manager um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Standorte. Und warnen vor einem Schrumpfungsprozess in den nächsten Jahren.

Vor allem die energieintensive Industrie wie etwa die Stahlbranche werde – rechnet Gerhard Roiss, Chef des Mineralölkonzerns OMV, bei einer Veranstaltung der Wiener Industriellenvereinigung vor – drastisch verlieren. Der europäische Anteil in der Grundstoffindustrie drohe bis 2020 um rund ein Drittel zu sinken.

Noch hohes Niveau

Die österreichische Industrie steht im europäischen Vergleich noch gut da. In Sachen Wettbewerbsfähigkeit rangiert sie im EU-Spitzenfeld, ihr Anteil an der heimischen Wirtschaftsleistung ist mit knapp 19 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 15 Prozent. Auch bei den Gewinnen brauchen österreichische Konzerne wie etwa die voestalpine den Vergleich mit der Konkurrenz nicht zu scheuen.

Das könnte sich aber, fürchtet unter anderem ÖGB-Präsident Erich Foglar, bald ändern. Denn die österreichische – und auch europäische – Industrie investieren derzeit vorwiegend außerhalb Europas. Dadurch drohe eine Spirale nach unten mit sinkender Beschäftigung, noch höherer Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen. Abhilfe sieht Foglar in steigenden Investitionen der öffentlichen Hand und privater Investoren, um Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln. Und in der Ausbildung, die in der Industrie wieder an Bedeutung verloren habe. Foglar: „Wir haben 2013 um 7000 Lehranfänger weniger als 2008.“

Industriepolitik fehlt

Für steigende Investitionen sieht IV-Wien-Präsident und Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun freilich kaum Chancen: „Investitionen in die reale Wirtschaft bringen derzeit nur eine magere Rendite, Investoren stecken ihr Geld lieber in den Finanzmarkt, der eine viel höhere Verzinsung bietet.“ Hesoun setzt auf bewährte Rezepte: Hohe Lohn- und Energiekosten durch Innovationen und neue, intelligentere Produkte kompensieren. Niedrige Energiepreise in den USA könnte Europa zumindest teilweise durch höhere Energieeffizienz und intelligentere Verteilung – Stichwort „smart grid“ – auffangen. Allerdings stecken diese Entwicklungen noch in den Kinderschuhen.

Dass eine gemeinsame Politik der EU der schwächelnden Industrie wieder auf die Beine hilft, halten selbst Optimisten für unwahrscheinlich. Denn eine EU-weite Industriepolitik gibt es nicht, sind sich Gewerkschafter Foglar, Top-Manager Roiss und auch der deutsche Wirtschaftsforscher Hans-Peter Fröhlich einig. So habe es die EU etwa nicht geschafft, kritisiert Foglar, die strengen Umweltauflagen in entsprechende Produkte und Verfahren zur Vermeidung von Kohlendioxid-Emissionen umzumünzen.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl war Montagabend beim Thinktank „Bright Minds“ zu Gast. Über einen möglichen Ministerposten für seine Person könne er offen reden, weil das Thema vom Tisch sei. Zuletzt war er als Außenminister gehandelt worden – ein Job, für den er Herzblut mitgebracht hätte. „Eine neue Herausforderung nach dreizehn Jahren in der Wirtschaftskammer wäre verlockend gewesen, gab Leitl zu. „Aber wir stehen an entscheidenden Kreuzungspunkten, und in stürmischen Zeiten bleibt der Kapitän an Bord.“ Die Institutionen Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer wären jedenfalls gegen seinen Abgang gewesen. Nachsatz: „Dass man froh ist über meine Entscheidung zu bleiben, spricht aber doch nicht gegen mich.“

Und das Amt des Wirtschaftsministers würde ihn nicht reizen? „Ich habe den Wirtschaftsminister gemacht, den kann man nicht einfach heimschicken.“ Gemeint ist sein oberösterreichischer Landsmann und ÖVP-Parteikollege Reinhold Mitterlehner, der für Christoph Leitl „der Erfolgsminister der vergangenen Regierung“ ist. Die Chancen für eine neuerliche Regierung von SPÖ und ÖVP schätzt Christoph Leitl weiterhin auf (nur) 50:50. Und er übt Kritik an der Kanzlerpartei: „Die SPÖ geht als Bewahrer in die Verhandlungen, die ÖVP hat die neuen Ideen.“

Seiner Meinung nach „treffen die Veränderer der ÖVP auf die Besteuerer der SPÖ. „Ich war immer und bin massiv gegen neue Vermögenssteuern und gegen den Trommelwirbel, der nur auf die niederen Instinkte abzielt, die Reichen sollten zahlen.“

„Bright Minds“ ist eine Initiative von KURIER, Format und Spiegelfeld-Immobilien.

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