Heiße Herbstlohnrunde: "Warnstreiks sind fast aufgelegt"
Die Vorzeichen für diese Herbstlohnrunde sind stürmisch. Seit Jahrzehnten war die Teuerung nicht mehr so hoch und gleichzeitig steckt die Industrie in einer Rezession. Wollen die Arbeitnehmer den Reallohnverlust aus 2022 ausgleichen und die Kaufkraft erhalten, wollen die Arbeitgeber neben den Kosten für Vorleistungen, Rohstoffe und Energie nicht auch noch ihre Personalkosten explodieren lassen.
Am Montag starten die Kollektivvertragsverhandlungen der Metaller (200.000 Beschäftige) mit der Übergabe der Forderungen durch die Gewerkschaften Pro-Ge und GPA an die Verhandler der Arbeitgeberseite um Christian Knill. Die Forderung der Arbeitnehmer wird mit Spannung erwartet, gilt sie doch als Steilvorlage für die weiteren Lohnrunden in anderen Branchen. In der Regel startet der Handel etwa zwei Wochen nach den Metallern.
Was man von Pro-Ge-Chef Reinhold Binder gehört hat, werden die Arbeitnehmervertreter eine Erhöhung um einen zweistelligen Prozentsatz fordern. Grundlage dafür ist nach wie vor die Benya-Formel, benannt nach dem früheren ÖGB-Chef Anton Benya. Diese Faustregel für die KV-Verhandlungen besagt, dass die Inflation (der vergangenen zwölf Monate) plus ein Anteil am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs abgegolten werden muss. Da die rollierende Inflation für den genannten Zeitraum 9,6 Prozent beträgt, wird die Forderung der Gewerkschaft in der Größenordnung von 12, 13 Prozent erwartet.
„Die Ausgangslage der Verhandlungen bleibt für uns die rollierende Inflation in Höhe von 9,6 Prozent“, sagte Binder kürzlich zum KURIER. „Aber unsere Arbeitnehmer haben auch dazu beigetragen, dass die Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren horrende Gewinne gemacht haben, somit werden wir einen entsprechenden Aufschlag auch noch verhandeln.“
Indes will Arbeitgebervertreter Christian Knill, vom Fachverband der Metalltechnischen Industrie (FMTI), die Verhandlungen eigentlich bei Null beginnen. „Wir stehen heuer vor einer besonderen schwierigen Ausgangsposition. Für uns ist es wichtig, dass wir faktenorientiert agieren“, sagte Knill erst vor wenigen Tagen. „Jedes zweite Unternehmen rechnet mit einem Produktionsrückgang und jedes dritte Unternehmen mit einem Verlust. Und wir können nur das verteilen, was wir erwirtschaften.“
Insgesamt erwartet Knill für das Gesamtjahr 2023 ein Wachstumsminus in der Industrie von sechs Prozent. Doch das dürfte die Gewerkschaft, die die Inflation im Rückspiegel betrachtet, wenig kümmern. Beobachter gehen davon aus, dass die Gewerkschaft nach den ersten Verhandlungsrunden den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen wird: Es dürfte zu Betriebsversammlungen und möglicherweise sogar zu Warnstreiks kommen.
Das erwartet auch Jan Kluge, Ökonom bei der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria. Er hat mit Kollegen ein Paper zu den Metallerverhandlungen geschrieben und kommt darin zu ernüchternden Befunden. Als Bild verwenden die Autoren einen Boxkampf und meinen, die „eingeübten Rituale“ der österreichischen Lohnverhandlungen könnten dieses Mal nicht ausreichen.
Kluge zum KURIER: „Heuer sind kreative Lösungen gefragt, zum Beispiel Einmalzahlungen, die die Gewerkschaft bisher abgelehnt hat. Das wird nicht in drei Stunden ausverhandelt sein. Warnstreiks sind fast aufgelegt.“
Ein Lohnabschluss von zehn Prozent, der laut Kluge bestimmt die Unterkante für die Gewerkschaft darstellt, erhöhe die Inflation in den kommenden drei Jahren um drei Prozentpunkte, zitiert er eine OeNB-Studie. Steigen die Löhne aber schneller als die Produktivität, erhöhen sich die Lohnstückkosten und das verschlechtert Österreichs Position im internationalen Wettbewerb. „Die Inflationsrate ist in Österreich höher als in vielen europäischen Ländern, sodass sich die Gewerkschaft kaum mit weniger zufrieden geben wird. So muss die gesamte Hoffnung auf dem Produktivitätswachstum liegen.“
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