Ländervergleich: Ist Österreich das bessere Deutschland?
Ein Österreicher (Gabriel Felbermayr), der ein deutsches Institut leitet (IfW Kiel) und ein Deutscher (Tobias Thomas), der seit 2017 das Forschungsinstitut EcoAustria in Wien leitet: Mit dem KURIER stellten die beiden Ökonomen einen Ländervergleich an.
KURIER: Wenn Sie Deutschland und Österreich vergleichen: Gibt es da unterschiedliche ökonomische Zugänge?
Tobias Thomas: In Österreich ist es Tradition, Gremien wie die Alterssicherungskommission auch mit Interessensvertretern zu besetzen. In Deutschland ist etwa der Sachverständigenrat rein wissenschaftlich besetzt. Eine Folge ist, dass die Diskussionen dort öffentlicher geführt werden und die Bürger die Aussagen besser der Wissenschaft und partikularen Interessen zuordnen können.
Felbermayr: Was ich sage, wird meinen Kollegen Martin Kocher (IHS) und Christoph Badelt (Wifo) nicht gefallen: die großen österreichischen Forschungsinstitute sind nicht unabhängig genug. Ich kann als Institutschef tatsächlich alles sagen und niemand kann mir den Strom abdrehen, solange die Forschungsleistung stimmt. Da sind in Österreich die Durchgriffsmöglichkeiten direkter.
Liegt das an der starken Sozialpartner-Tradition?
Felbermayr: Ganz sicher. Diesen manchmal als Schattenregierung kritisierten Proporz gibt es in Deutschland nicht, dafür andere Formen: Dort müssen regionale Unterschiede abgebildet werden. Verglichen mit dem stark föderalisierten deutschen System ist Österreich ein Zentralstaat. Während das ifo in München eher Fragen beantwortet, die für die bayrische Staatsregierung wichtig sind, schaut das Institut in Kiel stärker auf die Küstenregion.
Gabriel Felbermayr
Geboren 1976 in Steyr (OÖ), seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Davor leitete er neun Jahre das Ifo in München. Seit Kurzem Beiratsvorsitzender von EcoAustria.
Tobias Thomas
Geboren 1975 in Duisburg, leitet seit 2017 das Institut EcoAustria, das bei der Gründung 2011 von der Industrie finanziert war. Jetzt stammen knapp zwei Drittel des Budgets aus Aufträgen.
Momentan hat Österreich beim Wachstum die Nase vorn. Sind wir besser aufgestellt oder einfach nur ein konjunktureller Nachläufer?
Felbermayr: Beides. Wenn Deutschlands Industrierezession jetzt ins siebente Quartal geht, zieht das österreichische Zulieferer unausweichlich mit. Hilflos ausgeliefert ist Österreich nicht: Deutschland kann in der Rezession sein, das Nachbarland nicht. Das Wachstum wäre aber zweifellos besser, wenn Deutschland boomen würde.
Thomas: Wir erwarten für Deutschland 0,5 Prozent Wachstum im laufenden Jahr und in Österreich drei Mal so viel, das ist allerhand. Österreichs Wirtschaft ist also noch robust, trotz der kräftigen Verkühlung des Nachbars. Unsicherheiten gibt es dennoch, nicht nur international durch Handelskriege und Brexit. Unternehmen und Investoren wissen nicht genau, wie der wirtschafts- und sozialpolitische Rahmen in Österreich in den nächsten fünf Jahren aussehen wird.
Ist Österreich aktuell wieder das "bessere Deutschland"?
Felbermayr: Das hat viel mit Reformen zu tun. Wenn die Zahl der Arbeitslosen von fast fünf Millionen (im Jahr 2005, Anm.) unter 2,5 Millionen sinkt, wie in Deutschland nach den Hartz-Reformen, schiebt das gewaltig an. Wenn der Boden erreicht ist, ist der Schub vorbei, dann bräuchte es weitere angebotspolitische Stimuli. Die sind nicht gekommen.
Thomas: Anfang der 2000er-Jahre gab es in Deutschland eine starke Dynamik in Richtung Wettbewerbsfähigkeit, in den vergangenen 15 Jahren wurden diese Reformen aber teilweise zurückgedreht. In Österreich hätte die geplante Steuerreform eine Entlastung von netto 7,3 Mrd. Euro pro Jahr bedeutet. Wir haben das durchgerechnet: Das hätte mittel- und langfristig 50.000 Jobs zusätzlich gebracht. Gerade bei der aktuell immer noch hohen Arbeitslosigkeit in Österreich ist das allerhand.
Wo sehen Sie noch Unterschiede zwischen den zwei Ländern?
Felbermayr: Man sollte nicht unterschätzen, wie sich Aufbruchsstimmungen oder Lähmungsphänomene auswirken. Die angekündigte Steuerreform, der junge Bundeskanzler in Österreich, das weckt Erwartungen. Vielleicht kommt da noch mehr. In Deutschland wissen wir, die Kanzlerin ist bald weg. Da herrscht große Unsicherheit, man weiß nicht einmal, wer die verbleibende Volkspartei CDU/CSU anführen wird. Das erklärt ein gewisses zyklisches Auf und Ab.
Ansonsten sind die Länder ähnlich: Wir werden da wie dort älter. Und wir haben Probleme in Kernindustrien. Die Krise des Verbrennungsmotors ist so ein Thema, oder dass neue Mächte wie China massiv in den Maschinenbau drängen. Deutschland ist aber heterogener. Wir vergleichen da durchschnittliche Wachstumsraten, inklusive Ostdeutschland und dem Norden. Würde man Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg mit Österreich vergleichen, wären die Statistiken ähnlich.
Stichwort Probleme des Verbrennungsmotors: Sind wir da auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen?
Felbermayr: Nicht aufeinander, sondern Österreich auf Deutschland. Die deutsche Autoindustrie hatte jetzt 15 glorreiche Jahre, das hat viele mitgezogen. Wenn sie jetzt die Kurve nicht kriegt, können Zulieferer machen, was sie wollen. Es würde den hochspezialisierten Betrieben in Oberösterreich und der Steiermark schwer fallen, andere Abnehmer zu finden, falls BMW nicht den Umstieg in eine neue Mobilität schafft.
Thomas: Es gibt empirische Hinweise, dass der Zusammenhang zwischen deutscher und österreichischer Konjunktur schwächer wird. Aber eine völlige Entkoppelung, das ist Nonsens. Ein Drittel von Österreichs Ausfuhren geht dorthin – in die USA sind es knapp 7 Prozent.
Beim Opel-Werk in Wien-Aspern haben Österreicher und Deutsche nicht mehr das Sagen, sondern Franzosen.
Felbermayr: Davor wurden die Entscheidungen in Detroit bei General Motors getroffen, jetzt in Paris. Wenn Aspern bessere Motoren zu günstigeren Konditionen baut als andere PSA-Standorte, dann hat es gute Karten. Am Humankapital wird es nicht liegen, Österreichs Industriearbeiter sind top und nicht überteuert.
Aber spielt da nicht gerade in Frankreich die Politik mit?
Felbermayr: Bei Renault würde ich mir Sorgen machen, da hat der Staat eine große Rolle. Klar, dieser Faktor gewinnt gerade an Bedeutung, aber der Kapitalmarkt schützt. Wenn ein institutioneller Investor Druck macht, wird es schwer zu begründen, warum ein effizienteres Werk zusperrt. Die globalen Kapitalmärkte sind mühsam, aber Leistung wird von denen belohnt. Da hätten hinsichtlich der Kennzahlen eher französische Werke ein Problem.
Ist eine Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch möglich? Oder müssen wir uns dafür von Wachstum verabschieden?
Felbermayr: Nein, das halte ich für Unfug. Wir müssen uns nur von schlechtem Wachstum verabschieden. Der Wachstumstreiber der vergangenen 40 Jahre waren neue Produkte und Prozesse, nicht der Mehreinsatz von Erdöl, Boden, Kohle und Stahl. Wenn wir die Produktivität der Ressourcen steigern, können wir mit geringerem Einsatz weiter wachsen.
Na klar, würden wir die Wohnungen im Winter nur auf zehn Grad heizen, spart das viel ein. Aber das Ziel ist doch, den Lebensstandard zu halten. Die Industrie zeigt es vor: Die Produktion steigt seit Jahrzehnten an, die CO2-Emissionen sind rückläufig.
Thomas: Auch der Treibstoff-Verbrauch der Autos ist massiv gesunken – und das bei deutlich höherer Leistung. Die Klimaziele stecken jetzt den Rahmen neu ab: Wer diese kostengünstiger erreicht, der hat die höhere Wettbewerbsfähigkeit. Deutschlands Energiewende, mit ihrer Vielzahl an Maßnahmen und Subventionen, erreicht vielleicht ihr Ziel, aber sicher nicht auf dem günstigsten Wege.
Felbermayr: Da kann man den Österreichern nur ins Stammbuch schreiben: Kopiert das bitte nicht. Auch das neue deutsche Klimapaket wird nicht besser sein, mit dem Sammelsurium an Subventionen und sehr zögerlichen Einstieg in eine CO2-Bepreisung.
Können wir uns die leisten? Die Industrie warnt, das würde den Standort gefährden.
Felbermayr: Wenn wir gegen Länder antreten, die keinen Klimaschutz betreiben, haben wir tatsächlich ein Problem. Damit ein CO2-Preis wirklich etwas bringt, reden wir von Preisen von 60 oder gar 120 Euro je Tonne CO2. Deutschland steht aber nur für 2,2 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes. Selbst wenn wir gar nichts mehr emittieren, haben wir das Klima nicht gerettet, dafür aber die Wirtschaft ruiniert.
Und wir müssten klimaschädlichen Stahl, Autos und Chemie aus USA, China oder Russland importieren. Das brächte doppelte Schmerzen. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass die Großen mitmachen. Wenn nicht, brauchen wir einen Grenzausgleich. Das zu fordern fällt mir als Außenhändler schwer, aber das wäre eben kein Zoll sondern eine Ausgleichsmaßnahme.
Vor der Nationalratswahl wurde das Thema -Grenzausgleich von der ÖVP kurz aufgegriffen, die künftige Kommissionschefin Ursula von der Leyen will es EU-weit umsetzen.
Die Idee: Klimaschutz verursacht Kosten und ist somit ein Wettbewerbsnachteil.
Damit die Industrie nicht aus der EU abwandert, sollen importierte Waren aus Ländern, die keine Klimaziele verfolgen, durch einen Preisaufschlag an der Grenze angeglichen (verteuert) werden.
Ein ausländischer Betroffener würde sagen: Das ist Protektionismus, nur mit einem hübscheren Mäntelchen.
Felbermayr: Nein, das ist es nicht. Protektionismus bedeutet Diskriminierung: Zölle betreffen nur die Waren aus dem Ausland. Ein CO2-Grenzausgleich hingegen beseitigt Diskriminierung. Eine Tonne Stahl würde immer mit demselben CO2-Preis belastet, egal wo sie produziert wurde. Diesen harten Diskussionen mit dem Weißen Haus oder China müssen wir Europäer uns stellen. Sonst nützt das nur Kräften wie der AfD, wenn die Benzinpreise steigen und Heizen teurer wird, aber all die Anstrengungen dem Klima gar nicht helfen.
Thomas: Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich zeigen, dass man die Klimaziele, den Standortwettbewerb und die sozialen Auswirkungen gleichzeitig adressieren muss.
Die Frage ist nur: Wie?
Felbermayr: Ganz wichtig wären gesamteuropäische Lösungen. Wenn Polen und Ungarn sagen: Fein, aber wir machen nicht mit, kriegen wir Binnenmarkt-Probleme.
Die neue Kommission hat den CO2-Grenzausgleich als Schwerpunkt angekündigt.
Felbermayr: Ja, aber davon, dass die Mitgliedstaaten mitziehen, erkenne ich wenig. Dabei könnten wir eine CO2-Bepreisung gut an den europäischen Emissions-Zertifikatehandel andocken.
Woran krankt der europäische Zertifikatehandel eigentlich? Dass er Stückwerk ist?
Felbermayr: Der funktioniert eigentlich wunderbar und liefert, was er soll. Momentan bezieht er sich aber nur auf die Stromerzeugung und die Industrie. Und er setzt relativ bescheidene Mengenziele um. Da könnte man ambitioniertere Vorgaben machen und Wohnsektor und Verkehr mit einbeziehen. Ziel sollte ein einheitlicher CO2-Preis ohne Ausnahmen sein, egal ob in Landwirtschaft, Industrie oder beim Autoverkehr.
Was raten Sie da der künftigen Regierung in Österreich?
Felbermayr: Sie sollte ein einfaches, gut verständliches System konstruieren, das auf Preissignale vertraut und diese nicht durch Dutzende unsinnige Subventionen und Zusatzsteuern korrumpiert. Beispiel Flugverkehrsabgabe: Die bringt sehr wenig, denn Flugreisen innerhalb der EU sind schon längst Teil des Emissionshandels. Oder Prämien für Wärmepumpen, die nur die Hersteller einstreifen.
Die Menschen, die durch Mehrkosten belastet werden, müssen eine spürbare Rückerstattung bekommen. Am besten als Scheck, direkt auf die Hand. Deutschland ist da kein Vorbild: Die Strompreise sind die zweithöchsten in Europa und die soziale Dimension ist gar nicht berücksichtigt. Vielleicht wäre eine türkis-grüne Regierung in der Lage, das zu stemmen.
Thomas: Auch die indirekten sozialen Belastungen dürfen nicht vergessen werden: Wenn Wettbewerbsfähigkeit über Gebühr strapaziert wird können Wachstums-, Einkommens- und Beschäftigungschancen nicht realisiert werden. Falls es Österreichs künftiger Regierung gelingt, Klimaschutz, Standortpolitik und soziale Verträglichkeit zu vereinen, hätte das Vorbildfunktion für viele Länder.
Kommentare