Ex-Chef von Nestlé: "Das billige Geld ist Geschichte"
Peter Brabeck-Letmathe war mehr als zehn Jahre Vorstandschef des Schweizer Nestlé-Konzerns und damit des größten Lebensmittelherstellers der Welt. Der gebürtige Villacher ist mit der Elite aus Politik und Wirtschaft bestens vernetzt. Er ist Vizepräsident des Weltwirtschaftsforums in Davos, bei dem die Mächtigen der Welt heuer auffällig sprachlos wirkten. Ein Gespräch über die fetten Jahre der Wirtschaft, verschlafene Chancen und warum große Fabriken aus seiner Sicht auch keine Rettung für Europa sind.
KURIER: „Es geht uns schlechter als letztes Jahr, aber besser als im nächsten Jahr“, hat der Präsident des Weltwirtschaftsforums heuer gesagt. Sind Sie als Vizepräsident optimistischer?
Peter Brabeck-Letmathe: Ich war mehr als 25 Jahre in Davos, aber das war das ernüchterndste Weltwirtschaftsforum, das ich erlebt habe.
Die fetten Jahre sind also vorbei?
Es gibt viele offene Fragen, das muss man auch im historischen Kontext sehen. Seit 40 Jahren waren wir auf einen Fluss der Globalisierung unterwegs – auch in Davos. Die Globalisierung hat eine unglaubliche Effizienzsteigerung der Wirtschaft gebracht, die Produktionskosten sind gesunken, wir hatten fast keine Teuerung. Also Wachstum ohne Inflation. Gleichzeitig sind 1,3 Milliarden Menschen in den Mittelstand aufgestiegen, was die Wirtschaft weiter angekurbelt hat und dazu geführt hat, dass Geld billig geworden ist.
Karriere
Von 1997 bis 2008 war Peter Brabeck-Letmathe Vorstandschef und von 2005 bis 2017 Präsident des Verwaltungsrates bei Nestlé. Er ist aktuell u. a. Vizepräsident des Weltwirtschaftsforums in Davos und Präsident der Gesda (siehe unten) oder des Verbier-Musikfestivals in der Schweiz. Er ist in zahlreichen Firmen investiert, unter anderem im Biotech-Unternehmen Moderna
Privat
Der 77-Jährige ist laut eigenen Angaben den Großteil des Jahres unterwegs, sein Wohnsitz ist in der Schweiz. Eine Krebserkrankung sowie einen Krankenhaus-Aufenthalt infolge einer Covid-Infektion hat der gebürtige Villacher gut überstanden. Nach wie vor zieht es ihn auf den Berg – als Bergsteiger, Mountainbiker sowie Pilot von Hubschraubern und Gletscherflugzeugen
Sprich, die Nullzinspolitik hat Einzug gehalten ...
... damit war eine der wichtigsten Ressourcen, das Geld, plötzlich kostenlos. Dazu kommt, dass in diesen 40 Jahren allen voran in Europa die Sicherheit keinen Wert mehr hatte. Wir haben aufgehört, in die Sicherheit zu investieren. Das frei gewordene Geld ist dann in die Gesellschaft und in die Wirtschaft geflossen.
Und jetzt?
Durch die Ukraine ist klar geworden, dass Sicherheit einen Preis hat. Wenn wir jetzt unsere Sicherheitsausgaben verdoppeln, wird dieses Geld von der Wirtschaft oder Gesellschaft abgezogen. Das heißt, Sicherheit wird wieder ein Kostenpunkt.
Gleichzeitig läuten wir das Ende der Globalisierung ein?
Wir kommen in Periode der Deglobalisierung. Das wird nicht radikal, aber langfristig passieren. Ich rechne mit einer Entwicklung für 20, 30 Jahre.
Könnte das Pendel nicht schnell wieder in die andere Richtung ausschlagen?
Wenn wir heute entscheiden, dass wir Batterien nicht mehr in China, sondern in Europa produzieren, treffen wir mit dem Bau der Fabrik Investitionsentscheidungen für 20, 30, 40 Jahre. Zu glauben, dass Deglobalisierung eine Sache von ein, zwei Jahren ist, ist ein Blödsinn.
Das heißt, die Inflation steigt zwangsläufig weiter?
Die Kosten steigen, damit die Inflation und das billige Geld ist auch Geschichte. Das alles hat sich auch in Davos so herauskristallisiert. Die Aussicht auf die glorreichen Zeiten der letzten 30 Jahre, mit Wirtschaftswachstum von drei, vier Prozent, scheint vorbei zu sein. Wir gehen in Zeiten moderaten Wachstums und steigender Preise.
Ist es nicht auch eine Chance für Europa, wenn Produktionen zurückgeholt werden?
Das Europa im internationalen Vergleich verliert, ist klar. Das größte Problem sehe ich in der Abhängigkeit von Rohmaterialien. Vor allem China hat sich den Zugriff zu Rohstoffen in Afrika und Südamerika geschaffen. Und von unserer Abhängigkeit von Öl und Gas müssen wir ja gar nicht sprechen.
Sehen Sie eine Lösung?
Nehmen wir das Beispiel Fotovoltaik. Europa war auf diesem Gebiet führend, hatte die ersten voltaischen Panels. Dann hat China das aufgenommen und ist heute weltweit führend.
Ihre Erklärung?
Die Antwort ist ganz einfach. Jedes Mal, wenn Europas Industrie wieder konkurrenzfähig wird, erhöhen die Chinesen den Rohmaterialpreis für Europa um das zwei- oder dreifache. Gleichzeitig lassen sie den Preis für ihre eigene Industrie unten. Damit ist Europa wieder nicht konkurrenzfähig. Da heute fast alle Rohmaterialien aus China kommen, ist das für China ganz einfach.
So gesehen können wir uns unsere eigenen Batterienfabriken gleich abschminken?
83 Prozent der weltweiten Kobalt-Vorräte sind in chinesischen Händen, auch bei Lithium ist die Abhängigkeit groß. Wir können noch so schöne Fabriken bauen, am Ende hängt unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht von der Größe der Fabrik, sondern vom Zugang zu den Rohmaterialien ab. Haben wir einen Zugang? Nein! Auch wenn wir heute stolz sind, dass wir mit neuen Fabriken wieder Arbeitsplätze vor Ort schaffen, bleibt das letztlich ein Blödsinn.
Auch als rational denkender Manager trifft man emotionale Entscheidungen. Eine davon war sein Investment in die Wiener Luxusuhrenmarke Carl Suchy, sagt Peter Brabeck-Letmathe, der zur 200-Jahr-Feier der Marke Carl Suchy in Wien war.
Einst soll Hoflieferant Suchy nicht nur das Kaiserpaar, sondern auch Sigmund Freud zu seinen Kunden gezählt haben, die Marke ist dann allerdings knapp 100 Jahre von der Bildfläche verschwunden. Vor fünf Jahren erfolgte der Relaunch. „Ich bin Verkäufer und Marketingmann, da ist es eine interessante Aufgabe, so eine Marke wiederzubeleben“, sagt Brabeck-Letmathe, ohne zu verraten, wie viel er investiert hat.
Als Uhrensammler versteht er sich jedenfalls nicht. Das sei eine eigene Wissenschaft. Nur wenige Modelle und Marken taugen als Wertanlage, die Stückzahlen sind limitiert, die Preise am Schwarzmarkt horrend. Nur zwei Prozent der Luxusuhren steigen im Wert, schätzen Experten.
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