Nestlé-Chef: "Das Misstrauen beunruhigt mich"

Brabeck-Letmathe: „Jede Sekunde müssen wir zwei Menschen mehr auf der Welt ernähren, in derselben Zeit sinkt die Agrarfläche“
Brabeck-Letmathe über die Skepsis der Europäer gegenüber den USA und knappe Lebensmittel.

KURIER: Das Freihandelsabkommen, das die EU mit den USA verhandelt, wird emotional diskutiert. Auch weil hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Berechtigte Bedenken?

Peter Brabeck-Letmathe: Die Diskussion zeigt, welches Misstrauen sich in den letzten Jahren zwischen den USA und Europa aufgebaut hat. Das beunruhigt mich.

Ist das Misstrauen verständlich?

Es ist nicht konstruktiv. Wenn die EU ein Freihandelsabkommen mit Korea und Japan macht, wird nicht einmal darüber diskutiert. Aber geht es um die USA, werden wir schon emotional, bevor wir überhaupt wissen, worum es geht. Das ist ein Zeichen, dass etwas Größeres hinter dem Problem steckt. Das Wirtschaftswachstum infolge eines solchen Abkommens wird auf 120 bis 180 Mrd. Euro geschätzt. In einer Zeit, in der wir um jedes Promille Wachstum kämpfen, sollten wir zumindest objektiv über das Thema reden.

Haben Sie keine Bedenken, dass unsere Lebensmittelstandards sinken?

Soweit ich weiß, ist noch kein Mensch in den USA gestorben, weil er amerikanische Produkte gegessen hat. Wenn das unsere Angst ist, sollten wir auch nicht in den USA Urlaub machen.

Es geht um Tierhaltung. Wir produzieren wegen unserer Tierschutzbestimmungen teurer und damit weniger konkurrenzfähig, oder?

In der EU gibt es ja heute schon genug Fleisch aus den USA. Es geht beim Abkommen um viel mehr: Wir müssen die Handelsschranken aufmachen. Aus meiner Sicht sind sie lächerlich.

Glauben Sie, dass die österreichische Landwirtschaft konkurrenzfähig ist?

Seit 50 Jahren höre ich, dass sie es nicht ist. Ich hab’ sie aber noch nie so blühend gesehen wie jetzt . Sie ist auf ihre Art und Weise konkurrenzfähig. Solange die Österreicher bereit sind, für Qualität und Bio mehr zu zahlen, geht es den Bauern gut.

Die EU-Agrarförderungen kritisieren Sie nicht mehr?

Ich habe immer gesagt, dass in der EU jede Kuh das Recht hat, ein Mal erster Klasse um die Welt zu fliegen, wenn man sich die Höhe der Förderungen anschaut. Ich habe kritisiert, dass wir die großen Betriebe und damit die Massenproduktion gefördert haben. Dann hatten wir Butter- und Milchberge, die wir dann zu Schleuderpreisen in die Dritte Welt geschickt haben. Damit waren die kleinen Bauern nicht mehr konkurrenzfähig. Das hat sich gebessert. Gegen Bergbauernförderungen war ich nie. Heute ist die Subvention meist qualitativ, nicht mehr quantitativ.

Sie sprechen immer von den drei F-Krisen: Fuel, Food und Financial Crises (Öl, Nahrungsmittel, Finanzkrise). Haben wir zu viel Augenmerk auf die dritte?

Ich denke, die Politik hat es ganz gut hinbekommen, eine große Depression zu verhindern. Das Problem, dass uns das Wasser jeden Tag mehr ausgeht, wird aber noch zu wenig erkannt.

Sehen Sie eine Lebensmittelknappheit auf uns zukommen?

Jede Sekunde müssen wir zwei Menschen mehr auf der Welt ernähren, in derselben Zeit sinkt die Agrarfläche wegen Erosion und Verstädterung. Wir haben ein langfristiges Problem.

Der Arabische Frühling als erster Vorbote?

Er war nichts anderes als die Reaktion der Tunesier auf eine Weizenpreissteigerung von 76 Prozent. Es war naiv, zu glauben, dass es um einen politischen Frühling geht, mittlerweile sind wir bekehrt. Die große Frage ist, wie wir bei der drohenden Wasserknappheit die Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten.

Wer kann das Problem lösen?

Nur die Staaten, der Privatsektor und die NGOs gemeinsam. Die Investitionen, die nötig sind, sind so groß, dass sie kein Staat mehr allein stemmen kann. Der Privatsektor allein kann das Problem auch nicht lösen, schon allein, weil Wasser natürlich zur staatlichen Verantwortung gehört. NGOs haben mit ihren Projekten langfristig nichts geändert.

Werden es Konzerne wie Nestlé und Unilever sein, die die Welt ernähren werden?

Nein. Nestlé hat weltweit 1,5 Prozent Marktanteil, die größten 20 Unternehmen zusammen keine zehn Prozent. Die Lebensmittelproduktion ist im Gegensatz zu anderen Branchen, wie die Autoindustrie, sehr dezentralisiert.

Und greift immer mehr in die Wertschöpfungskette ein. Wie viele Vertragsbauern hat Nestlé?

Derzeit 670.000. Der Konsument will heute wissen, woher der Kaffee in der Nespresso-Kapsel kommt. Wir wollen den Prozentsatz der direkt – also nicht über Händler – gekauften Rohstoffe in den nächsten Jahren verdoppeln, vor allem bei Kaffee und Kakao. Nicht wegen des Preises, sondern wegen der Qualität und Nachvollziehbarkeit. Natürlich auch, weil es der Konsument in Zeiten von Social Media fordert.

Wird Nestlé bald mehr als die Hälfte des Geschäfts in Asien machen?

Mengenmäßig ja, wertmäßig wegen der Währungseffekte nicht. China ist schon unser zweitwichtigster Markt nach den USA.

Auch dank der Übernahmen von chinesischen Firmen, oder?

Ja, ungefähr zwei Drittel des Umsatzes machen wir dort mit chinesischen Marken, die wir gekauft haben.

Der 69-jährige Kärntner ist seit 1968 für Nestlé tätig. Von 1997 bis 2008 war er CEO, seit 2005 zudem Präsident des Verwaltungsrats, dem er noch bis 2017 vorsteht. Der Bergsteiger hat an seinem 50. Geburtstag zum zweiten Mal die Mutter seiner drei Kinder geheiratet. Sie haben drei Enkelkinder. Im Ranking der Manager mit Top-Gagen (EU inkl. Schweiz) war er 2013 mit einer Jahresgage von 6,5 Millionen Euro auf Platz 4. Er ist Vorsitzender der neuen Formel-1-AG und im World Economic Forum engagiert.

Nestlé Zum weltgrößten Nahrungsmittelkonzern gehören rund 6000 Produkt-Marken (u. a. Nespresso, Schöller, Nescafe, Alete, Kitkat, Nesquik, Maggi, Smarties, Nestea oder Buitoni). 2013 hat Nestlé 10 Mrd. Franken (8,2 Mrd. Euro) Gewinn geschrieben und 92,2 Mrd. Franken umgesetzt.

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