EuGH erklärt Thermofenster in VW‐Dieselmotor für unzulässig

FILE PHOTO: VW logo at 2022 New York International Auto Show
Eine solche Vertragswidrigkeit sei auch nicht geringfügig, erklärte das Gericht. Folglich sei eine Rückabwicklung des Kaufvertrags nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Dieses Urteil bzw. diese Vorabentscheidung* ist für die nationalen Schadenersatzprozesse richtungsweisend: Sogenannte Thermofenster in Dieselfahrzeugen sind nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unzulässig, wenn die Abgasreinigung nur einer engen Temperatur-Spanne voll funktionsfähig ist. "Wenn die Emissionen nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll gereinigt würden, außerhalb dieses Bereichs aber nicht, handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung", urteilte der EuGH am Donnerstag.

Eine solche Vertragswidrigkeit sei auch nicht geringfügig, erklärte das Gericht. Folglich sei eine Rückabwicklung des Kaufvertrags nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Entscheidung betrifft Motoren des Volkswagen-Konzerns vom Typ EA 189. In diesen Motoren war im Diesel-Skandal eine illegale Abschalteinrichtung festgestellt worden, mit der die Abgasgrenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden, auf der Straße aber nicht.

"Damit ist Schluss mit der Argumentation der Dieselhersteller und auch deutscher Behörden, dass diese Thermofenster für die Schonung des Motors dienen und daher legal seien," sagt  Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereines (VSV). "Der VSV vermittelt daher weiterhin risikolose Schadenersatzklagen gegen die Dieselhersteller vor deutschen Gerichten."

Null Abgasrückführungsquote

"Käufer von Fahrzeugen der Marke Volkswagen mit einer Software, durch die die Abgasrückführung des Fahrzeugs nach Maßgabe insbesondere der ermittelten Temperatur verringert wird, klagen vor österreichischen Gerichten auf Aufhebung ihrer zwischen 2011 und 2013 geschlossenen Kaufverträge", teilt der EuGH mit."Nach den Angaben dieser Gerichte gewährleistet diese Software die Einhaltung der auf Unionsebene festgelegten Grenzwerte für Stickstoffoxid (NOx) – Emissionen nur, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt (im Folgenden: Thermofenster). Außerhalb dieses Fensters wird die Abgasrückführungsquote linear auf null gesenkt, was zu einer Überschreitung der Grenzwerte führt."

Und weiter heißt es vom EuGH: "Der österreichische Oberste Gerichtshof, das Landesgericht Eisenstadt und das Landesgericht Klagenfurt haben dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Zulässigkeit eines solchen Thermofensters und zu etwaigen Ansprüchen der Kläger vorgelegt, soweit es sich nach der europäischen Regelung, die zu dem für die Sachverhalte maßgeblichen Zeitpunkt galt, um Verbraucher handelt. Mit seinen heutigen Urteilen entscheidet der Gerichtshof, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb des Thermofensters gewährleistet, eine nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 grundsätzlich unzulässige Abschalteinrichtung darstellt."

Stickoxidemissionen steigen

VW hatte diese Mechanismus mit einem Software-Update behoben, der aber mit dem Argument der Motorschonung ein Thermofester enthält. Dieses erklärte der EuGH nun für unzulässig. Bei einem Thermofenster wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert. Bei bestimmten Temperaturen, die je nach Hersteller und Motor unterschiedlich sein können, wird die Abgasreinigung reduziert oder gar abgeschaltet, was zur Folge hat, dass die Stickoxidemissionen steigen. Die Auto-Hersteller argumentieren, dass das zur Schonung des Motors notwendig sei.

"Der alleinige Umstand, dass diese Einrichtung zur Schonung von Anbauteilen wie Abgasrückführventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter beiträgt, die vom Motor getrennt sind, macht sie deshalb noch nicht zulässig", so der EuGH. "Anders könnten die Dinge stehen, wenn nachgewiesen wäre, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines dieser Bauteile verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine solche Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung solche Risiken abwenden kann. Es ist Sache der vorlegenden Gerichte zu prüfen, ob dies auf die Abschalteinrichtung, mit der die fraglichen Fahrzeuge ausgestattet sind, zutrifft. Der Gerichtshof weist jedoch in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ausstattung mit einer Abschalteinrichtung nicht allein deswegen notwendig sein kann, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen."

Das sagt VW zum Urteil

Die Volkswagen AG interpretiert das Urteil ganz anders: "Sie sieht sich durch das Urteil des EuGH in ihrer Rechtsauffassung bestätigt: Nach den Kriterien, die der EuGH in seinem Urteil aufgestellt hat, bleiben die in Fahrzeugen des VW-Konzerns verwendeten Thermofenster zulässig. Sie schützen vor unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigungen oder Unfall. Die Risiken wiegen so schwer, das sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen", heißt es in einer Stellungnahme. "Die Abgasrückführung der von dem Verfahren betroffenen EA189 Fahrzeuge ist bis zu 10 Grad Celsius Außentemperatur und damit über die meiste Zeit des Jahres zu 100 Prozent aktiv. Die Auswirkungen des Urteils auf Volkswagen sind deshalb gering."

Laut VW müssen nun die nationalstaatlichen Behörden und Gerichte "nach wie vor im Einzelfall entscheiden, ob ein konkretes Thermofenster zulässig ist". Zivilrechtliche Klagen, die einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch auf das Vorhandensein eines Thermofensters stützen, behauptet VW, werden weiter erfolglos bleiben.

*Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

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