Ringen um EU-Notverordnung zur Energieversorgung

Das Problem der Energiewende ist nicht die Errichtungsdauer von Windrädern, sondern wie lange es dauert, bis man mit dem Bau beginnen kann
Kritiker befürchten, dass bei der Beschleunigung des Ökostrom-Ausbaus der Umweltschutz ausgehebelt wird.

Am Dienstag, treffen die EU-Energieminister zu einer weiteren Verhandlungsrunde zusammen. Die EU sucht eine gemeinsame Antwort auf die Energiekrise und die Zeit drängt. Verhandelt wird über eine Notverordnung, die die Energieversorgung sicher und leistbar halten soll.

Zuletzt war eine Einigung zwischen den Mitgliedsstaaten vor allem an der Ausgestaltung eines Preisdeckels im Gas-Großhandel gescheitert. Damit wurden aber auch Initiativen aufgeschoben, über die weitgehend Einigkeit besteht, etwa zum gemeinsamen Gas-Einkauf oder zur Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus. Denn dieser geht zu langsam, wie zuletzt auch die Internationale Energieagentur in einem Report kritisiert hat. Ein aktuelles Beispiel aus Österreich: 2012 plante die Wien Energie den Bau von 21 Windrädern bei Trumau. Ende dieses Jahres geht der auf acht Windräder verkleinerte Windpark endlich in Betrieb.

Dass sich das Ausbauziel von 100 Prozent Ökostrom bis 2030 so nicht ausgehen werde, hört man aus der Energiewirtschaft schon länger. Von den zusätzlichen Ambitionen, um schneller von russischen Energieimporten unabhängig zu werden, wie heuer beschlossen wurde, ganz zu schweigen. Die Hindernisse liegen europaweit aber weniger in fehlender Investitionsbereitschaft, sondern daran, dass Zulassungs- und Prüfverfahren zu lange dauern.

Höheres Interesse

Der Lösungsvorschlag: Kleinere Anlagen sollen als genehmigt gelten, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb einer gesetzten Frist nach Einreichung des Projekts widerspricht. Bei größeren Anlagen sind kürzere Bearbeitungsfristen vorgesehen.

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Begründet wird das mit dem „höheren öffentlichen Interesse“ der Energiewende für die Sicherheit und die Gesundheit der Bevölkerung.

Umweltverträglichkeitsprüfungen müssten trotzdem gemacht werden, sofern diese für die Art der Anlage vorgeschrieben sind, heißt es aus dem Klimaschutzministerium auf Anfrage des KURIER. Beschleunigt werden diese in absehbarer Zeit übrigens nicht. Denn die bereits im Juli paktierte Reform wird nicht wie geplant heuer beschlossen. Die ÖVP will einige Aspekte nachverhandeln.

Auch die grundlegenden Mitspracherechte der Bevölkerung können durch die EU-Notfallverordnung nicht außer Kraft gesetzt werden, heißt es aus dem Ministerium. Viele Erneuerbaren-Projekte stoßen auf Widerstand bei der Bevölkerung und werden durch Einsprüche oft jahrelang an der Umsetzung gehindert.

Die Vorbereitung für den Winter 2023/’24 beginnt jetzt

von Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Franz Maier vom Umweltdachverband sieht darin dennoch ein grundsätzliches Problem. Denn wenn Erneuerbaren-Projekte generell als höheres öffentliches Interesse definiert werden, schaffe dies Realitäten. In den UVP-Verfahren und bei Einsprüchen von Anrainern würde sich dadurch „praktisch ein Automatismus“ ergeben. Denn die Behörden müssten dann nach geltendem Recht im Sinne der „höheren Interessen“ entscheiden, sagt Maier. Der Artenschutz würde damit sozusagen von vorneherein überstimmt. Dass die Notverordnung auf 18 Monate befristet wäre, beruhigt Maier nicht. Er befürchtet, dass eine einmal beschlossene Variante zur Dauerlösung verlängert wird.

Gas-Lücke

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnte in einer Pressekonferenz am Montag erneut zur Eile. Denn während die Versorgung für diesen Winter gesichert sein dürfte, könnte es kommendes Jahr noch schwieriger werden.

IEA-Vorsitzender Fatih Birol

IEA-Chef Fatih Birol

Es sei davon auszugehen, dass Russland nächstes Jahr noch weniger oder gar kein Gas mehr nach Europa liefern werde. Bleiben die Lieferungen aus, klafft 2023/24 laut Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) eine Lücke von 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Zum Vergleich: Die EU hat 2021 etwa 380 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht. Aus Russland wurden 140 Milliarden Kubikmeter Gas importiert, heuer waren es noch 60 Milliarden Kubikmeter.

Die IEA hat einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt, wie diese Lücke geschlossen werden könnte. Kosten würde das etwa 100 Milliarden Euro, so IEA–Chef Fatih Birol (siehe Infokasten).

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