Erste Bank-Chef: "Kosten der Krise frühestens Ende 2021 sichtbar"
KURIER: Sparefroh-Geschenke gibt es heuer wegen Corona zwei Wochen statt an einem Tag. Ist das für den Erste Bank-Chef erfreulich oder bedenklich?
Bernd Spalt: Das ist eine der Konsequenzen der Pandemie. Diese Gesundheitskrise ist nichts, was ein paar Monate dauert, sondern ein paar Quartale. Mein Appell ist, dass wir alle versuchen müssen, wieder Solidarität und Normalität zu erreichen.
An wie viele Quartale denken Sie?
Bis wir zu einer gesundheitlichen Verbesserung der Situation kommen, wird es noch ein Jahr dauern. Aber es wird keinen Status Quo ante geben.
Der gebürtige Vorarlberger Bernhard Spalt, 52, leitet den Bankkonzern seit heuer. Er ist auch Obmann der Sparte Banken in der Wirtschaftskammer. Der gelernte Jurist begann seine Karriere 1991 in der Rechtsabteilung der Ersten. Als Risikoexperte war er in Vorständen diverser Osteuropa-Töchter der Gruppe (Tschechien, Ungarn, Rumänien, Slowakei) tätig, bevor er wieder nach Österreich kam und im Jänner 2020 Andreas Treichl an der Spitze folgte.
Es geht auch um gesunde Wirtschaft. Die Sparquote steigt trotz niedrigster Zinsen. Gleichzeitig soll der Konsum angeregt, die Konjunktur belebt werden, was nicht gelingt.
Der erste Lockdown und die Folgen führten dazu, dass das Konsumverhalten radikal eingeschränkt wurde, dass Umsätze und Gewinne einbrechen, Liquidität knapp wird und überbrückt werden muss. Jetzt müssen wir gemeinsam ein Drehbuch entwickeln.
"Wir sollten nicht in die Falle tappen, zu glauben, dass es uns mit Schuldzuweisungen bessergeht."
Was steht in diesem Drehbuch?
Wie wir aus dieser Krise kommen. Wir haben massiv eingeschränkt, dann wurde wieder aufgesperrt und alle waren glücklich. Jetzt sind nicht mehr alle glücklich, weil die Solidarität zerbricht Das Gefühl, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, ist uns abhandengekommen. Die Frage, die wir beantworten müssen: Wie kommen wir zu Wachstum und zu Zuversicht?
Die Reise geht in eine andere Richtung in Frankreich, Israel, Großbritannien - Was bedeutet ein zweiter Lockdown?
Wir sollten nicht in die Falle tappen, zu glauben, dass es uns mit Schuldzuweisungen bessergeht. Ich möchte auf Länder sehen, die es möglicherweise besser machen. In Skandinavien und Asien kann man sich einiges abschauen. Ein zweiter Shutdown wird der Wirtschaft schaden und die Zuversicht mindern.
Was können wir von anderen Ländern lernen?
Deutschland hat zum Beispiel gezeigt, dass vor allem Arbeitsgruppen, die interdisziplinär besetzt sind, helfen. Rechtsphilosophen, Medizinern, Soziologen, Finanzexperten und andere können ein Bild bauen, wie es weitergehen kann. In einer unsicheren Zeit müssen Hypothesen entwickelt werden, die eine holistische Betrachtung erlauben. Es geht darum, mutig zu sein.
Fehlt Österreich ein Virologe wie Dr. Drosten in Deutschland?
Uns allen täte gut zu überlegen: Wen kann ich befragen, um das Bild ausgewogener, kompletter und robuster zu machen? Wir müssen alternative Ansätze zulassen.
Welche wirtschaftlichen Alternativen brauchen wir? Reichen Härtefallfonds, Kurzarbeit und Co aus, die spätestens am 31.3.2021 enden?
Jede Krise hat ihre Phasen und geht vorbei. In der ersten Phase haben Regierung, Banken, Aufsicht und Regulatoren richtig reagiert. Jetzt sind wir in der zweiten Phase, in der die kurzfristigen Rettungsleinen durch langfristige Programme ersetzt werden müssen. In einem habituell eigenkapitalschwachen Markt wie Österreich ist die Etablierung eines außerbörslichen Kapitalmarktes wesentlich.
Menschen sollen mehr in Unternehmen investieren anstatt aufs Sparbuch einzuzahlen?
Die Sparquote wird dieses Jahr auf 14 Prozent steigen. Es gibt also Kapital, das investiert werden kann. Österreichs Wirtschaft ist eine starke und wird von klein- und mittelständischen Unternehmen getragen. Sie machen zwei Drittel der Bruttowertschöpfung Österreichs aus und werden das Land aus der Krise führen, wenn sie ausreichend Eigenkapital aufweisen können.
Konkret heißt das?
Wenn ich an dem Aufschwung in zwei, 5, 10 Jahren partizipieren will, dann muss ich in KMUs investieren.
Ihre Idee ist auf Unternehmen gemünzt, denen es eigenkapital-technisch schon vor Corona relativ gut gegangen ist. Österreich ist bekanntlich nicht gut aufgestellt. Warren Buffet sagte: Bei Ebbe sieht man, wer bei Flut ohne Badehose geschwommen ist. Stehen wir vor einer massiven Pleitewelle?
Die Zahl der Insolvenzen wird stark steigen, denn die letzten Jahre waren nur durch Wachstum und Gewinne getragen. Es wird nicht jedes Geschäftsmodell erhalten bleiben, weil es schon vorher verwundbar war, aber grundsätzlich hat Österreichs Wirtschaft auch in ihrer Granularität phantastische Voraussetzungen, einen Aufschwung mitzumachen. Das ist die Attraktion! Dass ein Investment in KMUs keine kurzfristigen Spekulationsgewinne erlaubt, das muss jedem klar sein.
Wenn wir die KESt dramatisch senken, dann würden sich Menschen auch leichter an börsennotierten Unternehmen beteiligen?
Wasser auf meine Mühlen. Es geht um die steuerliche Anreize und um die Benachteiligung von Eigenkapital versus Fremdkapital. Kreditzinsen können Sie absetzen, Fremdkapital nicht. Das ist total sinnlos. Um Rahmenbedingungen herzustellen, brauchen wir nicht die EU. Einiges steht auch im Regierungsprogramm. Wir brauchen keine beihilfenrechtlichen Genehmigungen, wir können es einfach machen.
Wann genau soll das passieren?
Wir müssen das Regelwerk jetzt umsetzen.
"Ich glaube nicht, dass der Staat oder eine Bank langfristig ein guter Eigentümer ist."
In Deutschland wird über staatliche Beteiligungen nachgedacht. Denkbar für Österreich?
Ich glaube nicht, dass der Staat oder eine Bank langfristig ein guter Eigentümer ist.
Vorübergehend – wie US-Präsident Obama das nach der Finanzkrise 2008/2009 getan hat?
Als Anschub, um zu zeigen, dass man an die Wirtschaftlichkeit glaubt: ja. Generell wirtschaftspolitisch: nein.
"Bis wir zu einer gesundheitlichen Verbesserung der Situation kommen, wird es noch ein Jahr dauern. Aber es wird keinen Status Quo ante geben."
Die Maastricht-Kriterien stehen nur noch am Papier. Müssen wir uns von ihnen verabschieden und neue Parameter finden?
Ja. Denn ein Resultat dieser Krise wird sein, dass alle Staaten mehr Schulden haben werden. Wir müssen uns also überlegen, wie wir diese Schulden zurückzahlen. Daraus ergeben sich neue Parameter.
Wann werden wir wissen, was uns die Krise gekostet hat?
Frühestens Ende 2021, wahrscheinlich erst Ende 2022. Dann werden wir auch sehen, was davon effektiv war und was davon effizient.
Wo liegt der Unterschied?
Der Shutdown war sicher effektiv. Weil die Neuinfektionen rapide gesunken sind. Aber war er effizient? Sprich: Welche Ressourcen mussten dafür eingesetzt werden und wieviel wirtschaftliche Kraft wurde dafür vernichtet, um dieses Ziel zu erreichen? Die Antwort wird die Geschichte zeigen.
Schulden könnte man mit Inflation oder massiven Sparprogrammen abbauen.
Theoretisch ja. Aber das ist nicht der richtige Weg. Wichtig in einer Krise ist es, antizyklisch zu agieren. Die normale Reaktion in einer Krise ist, sofort zu sparen. Das aber verschärft eine Krise nur.
"Jetzt sind wir in der zweiten Phase, in der die kurzfristigen Rettungsleinen durch langfristige Programme ersetzt werden müssen."
Und was ist der richtige Weg?
Eine Idee, wie man neues Wachstum erzeugen kann. Der 750-Milliarden-EU-Wiederaufbauplan ist so eine Idee. Weil er in neue Wachstumsmärkte investiert: In Digitalisierung, in Technologien für den Klimaschutz, in Gesundheit. Damit schafft man nicht nur Arbeitsplätze, sondern sichert Europa möglicherweise einen Wettbewerbsvorteil auch gegenüber den USA und China.
Also noch mehr Schulden machen, um aus der Krise zu wachsen…
Ja. Zunächst mussten Schulden gemacht werden, um die Liquiditätskrise in der Wirtschaft zu bekämpfen. Das war ein Muss. Der zweite Teil der Schulden sollte eben in Wachstumsmärkte investiert werden. Das sind Schulden, die sich später auszahlen.
Sollte man bei Unternehmen, die jetzt schon wissen, dass sie ihre Kreditraten auch 2021 nicht zurückzahlen können, die Stundungsfrist nicht jetzt schon vorziehen?
Nein. Man sollte sich an die Vertragsvereinbarungen halten.
In der Halbjahresbilanz der Erste Group wurde die Kreditausfallsquote mit nur 2,4 Prozent angegeben. Das war überraschend niedrig.
Das muss so sein. Banken sind ein Spiegel der Wirtschaft. Allerdings mit einem verzögerten Effekt. In den vergangenen Jahren hatten wir einen Aufschwung, mit historisch niedrigen Kreditausfällen. Und durch die vielen Hilfsprogramme, kann das Thema Zahlungsausfall jetzt noch gar keines sein. Erst dann, wenn die Hilfen zu Ende gehen, werden wir die Wahrheit sehen.
Die Erste ist in nahezu allen CEE-Ländern aktiv. Welches Land macht Ihrer Meinung derzeit die beste Corona-Politik?
Im Frühjahr haben sich alle Länder an Österreich orientiert und sind in den Maßnahmen weitgehend unserer Strategie gefolgt. Jetzt haben sich die Neuinfektionen in Ländern wie Tschechien sehr dramatisch entwickelt. Und hier verfolgen die Ländern nun ihre eigenen Strategien.
Wie sehr sind Sie persönlich von den Reisewarnungen betroffen?
Sehr. Wir veranstalten nahezu alle Meetings und Investorentreffen digital, auch unsere Hauptversammlung am 10. November
Und Homeoffice?
Im März haben wir auf fünf Prozent Anwesenheit reduziert. Danach haben wir die Belegschaft in drei Teile geteilt, deren Mitglieder sich in der Anwesenheit nie begegnen dürfen. Was wir allerdings merken ist, dass es leichter war, die Mitarbeiter ins Homeoffice zu bringen als sie wieder zurück zu holen. Vermutlich weil die Menschen mit der Zeit zuhause die richtige Balance zwischen Privat und Beruf gefunden haben.
Was lernen Sie aus der Krise?
Viel. Wir haben mit der Wirtschaftsuniversität 18.000 von unseren ingesamt 47.000 Mitarbeitern befragt und 40.000 valide Antworten erhalten. Darin geht es um Führung von Teams, die nie da sind, bis hin zu psychologischen Auswirkungen der Krise. Denn eines ist klar: Wir werden nach der Krise anders arbeiten als vor der Krise.
Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der österreichischen Regierung?
Die Entschlossenheit in der ersten Phase war sehr gut. Jetzt wünsche ich mir mehr vorausschauende Planungskompetenz. Wo stehen wir in drei Monaten, in sechs und so weiter.
Wird aus der Gesundheits- und Wirtschaftskrise eine Bankenkrise?
Sicher nicht.
Wie oft wurden Sie schon getestet?
Drei Mal.
Die heutige Erste Group Bank AG wurde 1819 als "Erste österreichische Spar-Casse" gegründet. Rund 47.000 Mitarbeiter betreuen laut Eigenangaben rund 16,1 Millionen Kunden in insgesamt mehr als 2.300 Filialen in den sieben Ländern Österreich, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Serbien, Kroatien.
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